Unsichtbares Komitee: "An unsere Freunde"
Nautilus, Hamburg 2015
160 Seiten, 14,90 EUR
Aus der Feder der Mutigen und Entschlossenen
Die Mitglieder und Freunde des "Unsichtbaren Komitees" hatten vor einigen Jahren mit einer recht breit beachteten Schrift den "Kommenden Aufstand" prognostiziert. Nun haben sie nachgelegt, allerdings formulieren sie nicht mehr ganz so kämpferisch.
"Es gibt kein Esperanto des Aufstands"
Es war im Jahr 2010 als ein Büchlein für Furor in den deutschen Feuilletons sorgte. Es prophezeite "den kommenden Aufstand", so der Titel. Und seine Beurteilung war bemerkenswert: Von konservativer Seite als linksradikal geschmäht, links als "antimoderne Hetzschrift". Und die SZ feierte es als eine "Ästhetik des Widerstands" für das neue Jahrtausend", die FAZ erkannte darin gar das "wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit".
So wichtig immerhin - in den Augen des französischen Staates - das einer der vermeintlichen Autoren als terroristischer Drahtzieher zeitweise verhaftet wurde. Die Sprache des Manifests war blumig-agitatorisch, irgendwo zwischen Guy Debord und Gilles Deleuze.
Jetzt ist von den Autoren des "Unsichtbaren Komitees" ein Nachfolgewerk auf deutsch erschienen. Sprachlich haben die Autoren ein wenig abgerüstet. Sie waren in Tunis, Kairo, Athen, Istanbul unterwegs, überall dort, wo Menschen auf die Straßen gingen, und mussten feststellen:
"Die Aufstände sind also gekommen, nicht die Revolution".
Verachtung für Demokratisches, Rationales und Intellektuelles
Dennoch ist das Komitee hoffnungsfroh, denn in der Praxis auf den Plätzen, von Kairo bis Madrid, in der dortigen spontanen Organisation des Lebens im Widerstand finden sie die Keimzelle für eine andere Gesellschaft, den Vorschein auf ein anderes Leben. Was aber fehle sei eine "von allen geteilte Einschätzung der Lage", eine gemeinsame Sprache, die die Aufstände überall auf der Welt schlagkräftig verbinde. Diese "Sprache" will das Unsichtbare Komitee anstoßen.
Leider gibt es viele Sätze in diesem Buch, die in Deutschland gelesen, ein ungutes Gefühl hinterlassen.
Die Autoren feiern in so frech naiver Weise den Unmut von der Straße, die "echte Wut", das unverfälscht Authentische "vom Herzen nicht vom Hirn", dass einem Bange werden kann.
Das Recht des Mutigen und Entschlossen, der Kampf als Grundlage des Lebens wird zelebriert:
"Der Konflikt ist der Stoff, aus dem ist, was ist."
Für Demokratisches, Rationales, Intellektuelles bleibt nur Verachtung. Hauptfeind ist in anti-modernistischer Manier "der Westen", bzw. "der Westler aller Hautfarben". Und der Feind ist wichtig. Freund und Feind.
Spannende Gedankenansätze doch auch viel Blumig-Agitatorisches
Zugestanden, es gibt auch immer wieder spannende Gedankenansätze. So stellt das Unsichtbare Komitee fest, die Krise sei für den Kapitalismus keine Herausforderung mehr. Die Krise sei nicht mehr das Schreckgespenst des Kapitalismus. Vielmehr sei die Krise inzwischen eine "politische Methode der Verwaltung der Bevölkerung", eine Regierungstechnik. Die Krise werde dort konstatiert, wo man etwas marktkonform umzustrukturieren gedenke. Allerdings wird diese Analyse dann in solch rhetorischen Höhen katapultiert, dass man ihr nur wehmütig nachschauen kann; Stichwort blumig-agitatorisch.
Bemerkenswert ist, dass momentan kein Manifest ohne Verweis auf die Bedeutung der Technologie für unser Leben auskommt. In Zeiten von Smart Cities und Smartwatches ist die Technologie tief in den Menschen vorgedrungen, und die Theorie-Aktivisten erkennen das Technologie nicht (mehr) wertfrei, nicht unpolitisch ist. Politische Pamphlete unterstreichen deshalb die Bedeutung technologischen Wissen. Vor einiger Zeit schon plädierte der sogenannte Akzelerationismus dafür, politische Aktivisten sollten sich der Technik annehmen und sie anders denken, umprogrammieren. Das "Unsichtbare Komitee" zieht einen andern Schluss: Technologisches Wissen ist wichtig – um zu zerstören. Technophil und technophob.
Die größte Schwäche ist mehr als eine Schwäche: Die, die explizit auch "An unsere Freunde" in der arabischen Arebellion anknüpfen wollen, die, die in anti-imperialistischer Manier "den Westen" als Hauptfeind ausmachen, sind gnadenlos eurozentrisch, in der gesellschaftlichen Analyse, in ihrer Perspektive, in der Theorie.
Man kann in "An unsere Freunde" durchaus Entdeckung machen, Anregung finden. Anknüpfen, kann man nicht, eher sich reiben.