Ana Schnabl: Grün wie ich dich liebe grün. Erzählungen
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, Bozen 2020
176 Seiten, 20 Euro
Eine gerissene Inszenierung von Intitmität
05:37 Minuten
Ana Schnabl lässt in "Grün wie ich dich liebe grün" Menschen zu Wort kommen, die sich jenseits der gesellschaftlichen Norm bewegen. Alkoholiker und Depressive kehren in diesem ersten Erzählband der slowenischen Autorin mit größter Offenheit ihr Innerstes hervor.
In einer Geschichte des Bandes "Grün wie ich dich liebe grün" werden die Leser als Zuhörer und Mitglieder eines Therapiekreises angesprochen. Der Ich-Erzähler ist Patient und soll als solcher nichts zurückhalten, sondern alles mitteilen. Ähnlich gesprächig sind viele Figuren der 1985 geborenen Slowenin Ana Schnabl. Doch wissen sie auch, wie sie den Eindruck rückhaltloser Offenheit erzeugen.
Sie sind gerissene Vermittler, meist Vermittlerinnen des Innersten, immer auf die Effekte größter Ehrlichkeit schielend. Das sorgt für eine oft grandiose, auch intellektuell gedeckte Intensität der Geschichten. Schnabls preisgekrönter Debütband führt in die Welt von Individuen, die allerlei Absonderlichkeiten mit viel rhetorischer Überzeugungskraft kultivieren.
Die Außenwelt als gefährliche Herausforderung
Kein Wunder, dass psychisch Abweichende nicht selten sind in "Grün wie ich dich liebe grün". Eine Depressive voller Selbsthass steht in der Apotheke um ein Medikament an, sich mit den anderen Kunden vergleichend. Ein Alkoholkranker entwendet seiner Frau Geld und träumt ein letztes Mal den Traum eines liebevollen Familienlebens. Ein Haschischraucher schildert sein glückliches Leben, beschwert allein von den lästigen Menschen um ihn herum, der Mutter und der Partnerin. Eine junge Frau lässt Verfall und Tod der beneideten schönen Zwillingsschwester einfach geschehen.
Die Außenwelt und ihre Normen sind als überaus gefährliche Herausforderung präsent, aber nur schemenhaft, halb bewusst. Lediglich der Alkoholkranke nimmt sich nach der Konfrontation mit dem Diebstahl durch die bestohlene Ehefrau das Leben, ohne den Grund zu benennen – es ist wohl Scham. Ana Schnabl lässt ihre Figuren geschickt auf einem schmalen Grat wandeln und lädt auch die Leser auf ihn ein.
Eine Freakshow ist das Buch nicht
Eine Freakshow ist der Erzählungsband daher nicht, eher eine entschiedene Stellungnahme für abweichende Weltsichten und Verhaltensweisen. Sie treten bei exzessivem Alkoholgenuss auch in bürgerlichen Familien offen zutage, wie das schnell entgleisende Abendessen zeigt, bei dem der Sohn den Eltern die neue Freundin präsentiert. Und eine abweichende Weltsicht kennt beinahe jedermann: die Liebe, das Begehren. Schnabl schildert es in der Titelerzählung sehr sinnlich und körperlich.
Meist steht eine Frau im Mittelpunkt der Erzählungen – Ana Schnabl, so heißt es im Klappentext, beschäftigt sich mit der Frau in der Psychoanalyse. Leider neigt die Autorin dazu, die Figuren neben der jeweiligen Hauptperson zu vernachlässigen: Die neue Freundin des Sohnes hält die eigenen Beklemmungen beim Treffen mit dessen Eltern aufmerksam fest und widmet sich den Fehltritten der bald betrunkenen, erniedrigten und betrogenen Mutter dann so sehr, dass ihr Freund beinahe vergessen wird. So überrascht es wenig, dass die Geschichten mit mehreren Personen am Ende des Bands ein wenig abfallen. Viele Geschichten des Debüts zeichnet jedoch eine gerissene Inszenierung der Intimität aus.