Ana Schnabl: „Meisterwerk“

Der Seitensprung als Kammerspiel

05:52 Minuten
Buchcover "Meisterwerk" von Ana Schnabl, Folio Verlag.
© Folio Verlag

Ana Schnabl

Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof

MeisterwerkFolio, Wien 2022

208 Seiten

22,00 Euro

Von Jörg Plath · 21.03.2022
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Eine junge Frau und ein älterer Mann verfallen einander, während das Ende Jugoslawiens bereits zu erahnen ist. Die slowenische Autorin Ana Schnabl erzählt in ihrem Romandebüt von politischen Zwängen und von der Last individueller Freiheiten.
Wer gleich seinem ersten Roman den Titel „Meisterwerk“ gibt, darf wohl recht selbstbewusst genannt werden – auch wenn in dem Roman von Ana Schnabl ein Manuskript diesen Titel trägt. Es ist unfertig, und darin liegt seine Qualität. Denn als noch nichtmeisterliches ist es fähig, Menschen auseinander und andere zusammen zu bringen, sie zu befreien oder aneinander zu binden.
Die 1985 geborene Slowenin Schnabl fiel vor zwei Jahren mit einem Band Erzählungen auf, deren Figuren ihre eigenen Probleme auf schräge, aber durchaus überzeugende Weise anderen zuschreiben. Solche Projektionen hat Schnabl, die sich, wie es im Klappentext heißt, „mit der Frau in der Psychoanalyse beschäftigt“, nun auf die Kunst ausgeweitet.

Doppelter Ehebruch

Adams Manuskript „Meisterwerk“ ist ein Selbstentwurf des Autors: Der zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Ressentiments schwankende Narziss lässt seine Hauptfigur durch die Kunst der Einsamkeit entkommen. Die ehrgeizige und nicht weniger narzisstische Verlagslektorin Ana will den Text zwar überarbeitet sehen – weniger Handlung, mehr „psychologische Prosa“ –, findet ihn aber faszinierend. Denn auch sie will einer beängstigenden, beengenden Gegenwart entkommen.
Die Frau Mitte 30 und der Mann um die 50 kommen sich sehr nah: Schnabel erzählt in Kapiteln, die mit Tagen zwischen September 1985 und April 1986 überschrieben sind, von einem doppelten Ehebruch im slowenischen Ljubljana.

Last der Freiheiten

Das Ende Jugoslawiens deutet sich bereits an. Adam arbeitet ängstlich an einer oppositionellen Zeitschrift mit, während Ana dem strauchelnden Regime widerstrebend dient. Zur Lektorin befördert wurde sie nur dank der Verpflichtung als IM. Für den Staatssicherheitsdienst soll sie Adam überwachen, und die Liebe bestärkt sie im Entschluss auszusteigen. Oder ist es der Wunsch nach Freiheit, der die Liebe erst entstehen lässt?
„Meisterwerk“ kreist um die Freiheit: die der Kunst, der Politik, des Individuums, und wie sich diese Freiheiten mit dem Leben beziehungsweise der Liebe vereinbaren lassen. Allerdings deutet Schnabl die Konkurrenz der verschiedenen Freiheitsbegriffe und viele der Konflikte in ihrem Kammerspiel mit wenigen Figuren nur an.
Ihre Stärke sind Passagen in erlebter Rede, in denen Ana und Adam mit sich selbst, der Liebe, den Verpflichtungen ringen. Allerdings wirken viele ihrer psychologischen Einsichten recht nahe liegend. Manche beruhen bloß auf einer beliebten Analytikervermutung: Sie formulieren das Gegenteil des Offensichtlichen.

Blasse Nebenfiguren

Die Ehepartner der Liebenden fallen dagegen als Figuren unkonturierter aus. Der künstlerische und individuelle Selbstentwurf Anas und Adams mitsamt ihrer Projektionen und Selbsttäuschungen steht daher im Zentrum, während die von den anderen verkörperten lebensweltlichen und politischen Zwänge zu kurz kommen. Adams schöne, sich ihm bedingungslos unterordnende Ehefrau Vera droht gar zur Karikatur zu werden.
Auch die Übersetzung kann nicht immer befriedigen: Gern stopft sie in einen längeren Satz mit Hilfe einiger Kommata noch einen zweiten Hauptsatz wie einen plötzlichen Einfall hinein. Dann zeichnen „Indizien ganzer Generationen“ eine Spirale, Jugend kann eine große Geschichte nicht „unterschreiben“, und ein Morgen „spross“ heran.

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