Anachronistisch, anrüchig, abstoßend?
Die Bilder des französischen Malers Balthus waren schon überall auf der Welt zu sehen. Nun werden sie erstmals in Deutschland gezeigt - im Kölner Museum Ludwig. Zeitlebens warf man ihm vor, mit seinen Lolita-Bildern vor allem voyeuristische Phantasien zu bedienen. Er habe sich nur scheinbar immer gegen seine Zeit verhalten, meint dagegen Kaspar König, Direktor des Museums.
Gabi Wuttke: Das Centre Pompidou in Paris, das Metropolitan Museum of Art in New York, das "Museo National” in Madrid, die Tate-Gallery in London – viele, viele große Museen haben – schon sehr früh oder noch zu seinen Lebzeiten - das Werk des Malers Balthus gewürdigt. Nicht so in Deutschland. Erst jetzt, mehr als sechs Jahre nach seinem Tod, sind Gemälde und Zeichnungen des Franzosen mit schlesischer Mutter zum ersten Mal in einer Einzelausstellung auch bei uns zu sehen im Museum Ludwig in Köln. Eine "Sensation" wie der Tagesspiegel schreibt. Der Museumsleiter ist Kaspar König. Guten Tag, Herr König!
Kasper König: Ja, schönen guten Tag!
Wuttke: Stehen Sie ohne Einschränkung zu den Bildern von Balthus?
König: Ich stehe ohne Einschränkung zu unserer Ausstellung, ja. Und zwar ist das keine Retrospektive, sondern eine sehr kompakte Präsentation von den wichtigsten Werken. Und das war auch nur möglich durch die Kooperation mit Sabine Rehwald, die vor 30 Jahren über Balthus promoviert hat zu einem Zeitpunkt, wo es eigentlich so gut wie überhaupt gar keine Literatur auch über Balthus gab. Und es ist natürlich ein extremes Phänomen: a) gibt es eben die Nähe auch zur deutschen Kultur, und zum anderen eben über die Geschichte überhaupt keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Werk selber. Das fing ‛33/‛34 an, wo er eben eine sehr provozierende Ausstellung in Paris hatte, zu einem Zeitpunkt, wo sozusagen die wichtigsten avantgardistischen Strömungen irgendwie auch dem Ende zugelaufen waren und er sehr bewusst – er ist ja ein Amateur, kann man in gewisser Weise sagen, er hat natürlich viele Bilder im Louvre kopiert und so – einen dezidierten Schock auch produzieren wollte. Diese Ausstellung hat großen Wirbel gemacht, es ist nichts verkauft worden. Und dann muss man eben überlegen, was passierte in Deutschland in den 30er Jahren, also da gab es eben keine Möglichkeit durch die Nazi-Zeit, und dann nach dem Krieg, also feierten die abstrakte Malerei sozusagen … die Weltsprache der Abstraktion war sozusagen ungeheuer präsent. Und somit ist es leider nie möglich gewesen, dass ein wichtiges Werk in irgendeiner öffentlichen Sammlung in Deutschland gelandet ist.
Wuttke: Es ist ja nicht nur so, dass es in Deutschland kein Museum gibt, das einen Balthus sein Eigen nennen kann. Es gibt auch in Deutschland kaum oder gar keine Forschung zu Balthus. Aber ich möchte noch mal auf meine Eingangsfrage zurückkommen, die Sie ja so ja und nein beantwortet haben. Also keine Einschränkung bei Ihrer Ausstellung in Köln, aber schon doch gewisse Einschränkung gegenüber Balthus. Welche sind das?
König: Na ja, das hat eigentlich mehr damit zu tun, dass Balthus immer wieder auch instrumentalisiert wurde in Ausstellungen, wie in der großen in Venedig, als Antimoderner, also als jemand, der sozusagen eine Phobie hatte gegen alles, alldem, was sozusagen mit Avantgarde zu tun hatte. Und genau dieser Aspekt interessierte mich überhaupt nicht. Und mir ist es halt gelungen, Sabine Rehwald davon zu überzeugen, als Gastkuratorin mit uns diese Ausstellung zu machen. Und das ist auch extrem wichtig, weil er eine Antipode ist sozusagen zur Moderne und zugleich von der … Er ist auch ein Dandy gewesen, ein extremer Dandy, und das ist ja immer eine sehr prekäre Situation, dass Dandyismus sehr schnell umkippen kann zu einer na ja doch reaktionären Position. Und mich interessierten wirklich diese Schlüsselwerke, die eben ganz außergewöhnlich sind für das 20. Jahrhundert, die auch wirklich präsentieren zu können, und das ist uns Gott sei Dank gelungen.
Wuttke: Also wenn ich sage, zum Beispiel bei dem Bild "La Rue", wo ein Mann auf dem linken Bildrand zu sehen ist, der von hinten ein Mädchen greift und dabei zu sein scheint, ihr unter den Rock zu greifen, dann würden Sie mir mit Balthus antworten, das seien meine persönlichen Projektionen, das sei keine Bedrohung. Diese Frage stellt sich für Sie im Zusammenhang mit Balthus nicht?
König: Ja, dieses Panorama, das ist ja eher wie ein Stillstand, eine Permanentszene von einem … wie bei einem Theaterstück, wo eben diverse Protagonisten aus verschiedenen Theaterstücken plötzlich vollkommen beziehungslos auf der Bühne sind. Und das ist einmal ein Bezug zu Lewis Carroll …
Wuttke: "Alice in Wonderland".
König: "Alice in Wonderland", zum anderen zu Struwwelpeter, dann natürlich auch Beziehung sozusagen zur Malerei der Renaissance. Also dieses Bild ist eines der ganz großen eindrücklichen Bilder, die im 20. Jahrhundert produziert wurden. Diese Vergewaltigungsszene sozusagen, dieser Schock, der ist dann ja noch einmal von ihm in den 60er Jahren modifiziert worden. Dieses Bild hat James Thrall Soby erworben – das ist ein sehr wohlhabender Mann, der sich ganz und gar der Kunst gewidmet hat – und im "Museum of Modern Art" wichtige Ausstellungen gemacht hat von de Chirico und u.a. auch von Balthus, und er war bereit, dieses Bild dem Museum zu schenken. Und da hat eben das Museum drauf bestanden, dass diese doch sehr prekäre Szene zu verändern sei, sonst würde man diese Schenkung nicht annehmen. Und das hat wiederum Balthus dann auch gemacht. Er ist diesem Wunsch nachgekommen. Man hat das Bild wieder nach Europa geschickt – er selber war nie in Amerika –, und er hat eben genau diese sehr aggressive Geste sozusagen verändert. Also das wäre zu simpel, das jetzt auf dieses Momentum hin zu reduzieren. Er wurde ja auch dann sehr stark kritisiert in den 30er Jahren in Paris und man nannte ihn den Freud der Malerei. Das greift aber ein wenig zu kurz.
Wuttke: Kasper König, der Chef des Museum Ludwig im Deutschlandradio Kultur. Herr König, Sie sind ein Bewunderer von Balthus und Sie haben auch schon gesagt, er war auch zu Lebzeiten sehr umstritten. Es war gerade in der "FAZ" zu lesen, man hält ihn dort für einen, nicht nur kunsthistorischen, sondern auch handwerklichen Versager. Nun muss man vielleicht mal daran erinnern, dass Neo Rauch sich in seinem Werk "Die Fuge" direkt auf Balthus bezieht. Deshalb die Frage an Sie: Wie weit reicht der Einfluss von Balthus?
König: Ja, der Einfluss von Balthus, der ist nicht zu unterschätzen, aber mehr aus der Haltung heraus, als Position. Und die Frage der Handwerklichkeit, die ist auch gar nicht entscheidend. Es geht ja hier um Kunst. Und wenn Sie also … Es gibt große Maler wie Magritte, der auch von sich behauptete, ein großer handwerklicher Maler zu sein, und das ist er weiß Gott nicht, aber er ist eben ein Produzent sozusagen von Ideen, Zusammenhängen, die es in dieser Form bisher nicht gegeben hat. Und das ist vergleichbar also auch mit Balthus. Die Frage der Handwerklichkeit ist meiner Meinung nach sekundär, das ist schon richtig, das ist ein Widerspruch. Auf der einen Seite hat er also sich mit alter Kunst sehr intensiv beschäftigt, aber er ist kein akademischer Maler. Und es ist eben auch zum Teil sehr prekär, dass diese Bilder nicht in dieser Verfassung sind, wie das also im 18. Jahrhundert sozusagen üblich war. Das ist aber vielleicht auch ein Gewinn und Verlust sozusagen der Moderne, und das hindert uns nicht daran, wenn wir denn die Möglichkeit haben, diese Werke zu präsentieren. Das ist schon richtig, das ist ein Argument, aber meiner Meinung nach ein Sekundärargument. Viel interessanter ist ja, dass ein Balthus sozusagen immer sich scheinbar gegen die Zeit verhalten hat, und es gibt ja keine Zeitlosigkeit. Es gibt auch einen gewissen Rekurs sozusagen auf eine Salonmalerei. Das ist ja etwas, was bei den Surrealisten ähnlich war. Die hatten ja auch eine Phobie gegen alle abstrakte Dogmen und griffen ja auch immer wieder zurück auf Formen quasi des 19. Jahrhunderts, die dann eben vollkommen anders transportiert wurden.
Wuttke: Herr König, ich danke Ihnen sehr. Über den Maler Balthus Kasper König, der Chef des Museum Ludwig in Köln. Danke Ihnen sehr, wünsche Ihnen einen schönen Tag und viel Erfolg …
König: Danke. … Der Erfolg, das ist erstaunlich, weil es ist ja ein Künstler, der hierzulande wenig bekannt ist, und es scheint also, momentan ist es wirklich, wird es sehr gut besucht.
Wuttke: Sie hatten mal wieder den richtigen Riecher. Danke, Herr König.
König: Ja, danke. Tschüss.
Kasper König: Ja, schönen guten Tag!
Wuttke: Stehen Sie ohne Einschränkung zu den Bildern von Balthus?
König: Ich stehe ohne Einschränkung zu unserer Ausstellung, ja. Und zwar ist das keine Retrospektive, sondern eine sehr kompakte Präsentation von den wichtigsten Werken. Und das war auch nur möglich durch die Kooperation mit Sabine Rehwald, die vor 30 Jahren über Balthus promoviert hat zu einem Zeitpunkt, wo es eigentlich so gut wie überhaupt gar keine Literatur auch über Balthus gab. Und es ist natürlich ein extremes Phänomen: a) gibt es eben die Nähe auch zur deutschen Kultur, und zum anderen eben über die Geschichte überhaupt keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Werk selber. Das fing ‛33/‛34 an, wo er eben eine sehr provozierende Ausstellung in Paris hatte, zu einem Zeitpunkt, wo sozusagen die wichtigsten avantgardistischen Strömungen irgendwie auch dem Ende zugelaufen waren und er sehr bewusst – er ist ja ein Amateur, kann man in gewisser Weise sagen, er hat natürlich viele Bilder im Louvre kopiert und so – einen dezidierten Schock auch produzieren wollte. Diese Ausstellung hat großen Wirbel gemacht, es ist nichts verkauft worden. Und dann muss man eben überlegen, was passierte in Deutschland in den 30er Jahren, also da gab es eben keine Möglichkeit durch die Nazi-Zeit, und dann nach dem Krieg, also feierten die abstrakte Malerei sozusagen … die Weltsprache der Abstraktion war sozusagen ungeheuer präsent. Und somit ist es leider nie möglich gewesen, dass ein wichtiges Werk in irgendeiner öffentlichen Sammlung in Deutschland gelandet ist.
Wuttke: Es ist ja nicht nur so, dass es in Deutschland kein Museum gibt, das einen Balthus sein Eigen nennen kann. Es gibt auch in Deutschland kaum oder gar keine Forschung zu Balthus. Aber ich möchte noch mal auf meine Eingangsfrage zurückkommen, die Sie ja so ja und nein beantwortet haben. Also keine Einschränkung bei Ihrer Ausstellung in Köln, aber schon doch gewisse Einschränkung gegenüber Balthus. Welche sind das?
König: Na ja, das hat eigentlich mehr damit zu tun, dass Balthus immer wieder auch instrumentalisiert wurde in Ausstellungen, wie in der großen in Venedig, als Antimoderner, also als jemand, der sozusagen eine Phobie hatte gegen alles, alldem, was sozusagen mit Avantgarde zu tun hatte. Und genau dieser Aspekt interessierte mich überhaupt nicht. Und mir ist es halt gelungen, Sabine Rehwald davon zu überzeugen, als Gastkuratorin mit uns diese Ausstellung zu machen. Und das ist auch extrem wichtig, weil er eine Antipode ist sozusagen zur Moderne und zugleich von der … Er ist auch ein Dandy gewesen, ein extremer Dandy, und das ist ja immer eine sehr prekäre Situation, dass Dandyismus sehr schnell umkippen kann zu einer na ja doch reaktionären Position. Und mich interessierten wirklich diese Schlüsselwerke, die eben ganz außergewöhnlich sind für das 20. Jahrhundert, die auch wirklich präsentieren zu können, und das ist uns Gott sei Dank gelungen.
Wuttke: Also wenn ich sage, zum Beispiel bei dem Bild "La Rue", wo ein Mann auf dem linken Bildrand zu sehen ist, der von hinten ein Mädchen greift und dabei zu sein scheint, ihr unter den Rock zu greifen, dann würden Sie mir mit Balthus antworten, das seien meine persönlichen Projektionen, das sei keine Bedrohung. Diese Frage stellt sich für Sie im Zusammenhang mit Balthus nicht?
König: Ja, dieses Panorama, das ist ja eher wie ein Stillstand, eine Permanentszene von einem … wie bei einem Theaterstück, wo eben diverse Protagonisten aus verschiedenen Theaterstücken plötzlich vollkommen beziehungslos auf der Bühne sind. Und das ist einmal ein Bezug zu Lewis Carroll …
Wuttke: "Alice in Wonderland".
König: "Alice in Wonderland", zum anderen zu Struwwelpeter, dann natürlich auch Beziehung sozusagen zur Malerei der Renaissance. Also dieses Bild ist eines der ganz großen eindrücklichen Bilder, die im 20. Jahrhundert produziert wurden. Diese Vergewaltigungsszene sozusagen, dieser Schock, der ist dann ja noch einmal von ihm in den 60er Jahren modifiziert worden. Dieses Bild hat James Thrall Soby erworben – das ist ein sehr wohlhabender Mann, der sich ganz und gar der Kunst gewidmet hat – und im "Museum of Modern Art" wichtige Ausstellungen gemacht hat von de Chirico und u.a. auch von Balthus, und er war bereit, dieses Bild dem Museum zu schenken. Und da hat eben das Museum drauf bestanden, dass diese doch sehr prekäre Szene zu verändern sei, sonst würde man diese Schenkung nicht annehmen. Und das hat wiederum Balthus dann auch gemacht. Er ist diesem Wunsch nachgekommen. Man hat das Bild wieder nach Europa geschickt – er selber war nie in Amerika –, und er hat eben genau diese sehr aggressive Geste sozusagen verändert. Also das wäre zu simpel, das jetzt auf dieses Momentum hin zu reduzieren. Er wurde ja auch dann sehr stark kritisiert in den 30er Jahren in Paris und man nannte ihn den Freud der Malerei. Das greift aber ein wenig zu kurz.
Wuttke: Kasper König, der Chef des Museum Ludwig im Deutschlandradio Kultur. Herr König, Sie sind ein Bewunderer von Balthus und Sie haben auch schon gesagt, er war auch zu Lebzeiten sehr umstritten. Es war gerade in der "FAZ" zu lesen, man hält ihn dort für einen, nicht nur kunsthistorischen, sondern auch handwerklichen Versager. Nun muss man vielleicht mal daran erinnern, dass Neo Rauch sich in seinem Werk "Die Fuge" direkt auf Balthus bezieht. Deshalb die Frage an Sie: Wie weit reicht der Einfluss von Balthus?
König: Ja, der Einfluss von Balthus, der ist nicht zu unterschätzen, aber mehr aus der Haltung heraus, als Position. Und die Frage der Handwerklichkeit, die ist auch gar nicht entscheidend. Es geht ja hier um Kunst. Und wenn Sie also … Es gibt große Maler wie Magritte, der auch von sich behauptete, ein großer handwerklicher Maler zu sein, und das ist er weiß Gott nicht, aber er ist eben ein Produzent sozusagen von Ideen, Zusammenhängen, die es in dieser Form bisher nicht gegeben hat. Und das ist vergleichbar also auch mit Balthus. Die Frage der Handwerklichkeit ist meiner Meinung nach sekundär, das ist schon richtig, das ist ein Widerspruch. Auf der einen Seite hat er also sich mit alter Kunst sehr intensiv beschäftigt, aber er ist kein akademischer Maler. Und es ist eben auch zum Teil sehr prekär, dass diese Bilder nicht in dieser Verfassung sind, wie das also im 18. Jahrhundert sozusagen üblich war. Das ist aber vielleicht auch ein Gewinn und Verlust sozusagen der Moderne, und das hindert uns nicht daran, wenn wir denn die Möglichkeit haben, diese Werke zu präsentieren. Das ist schon richtig, das ist ein Argument, aber meiner Meinung nach ein Sekundärargument. Viel interessanter ist ja, dass ein Balthus sozusagen immer sich scheinbar gegen die Zeit verhalten hat, und es gibt ja keine Zeitlosigkeit. Es gibt auch einen gewissen Rekurs sozusagen auf eine Salonmalerei. Das ist ja etwas, was bei den Surrealisten ähnlich war. Die hatten ja auch eine Phobie gegen alle abstrakte Dogmen und griffen ja auch immer wieder zurück auf Formen quasi des 19. Jahrhunderts, die dann eben vollkommen anders transportiert wurden.
Wuttke: Herr König, ich danke Ihnen sehr. Über den Maler Balthus Kasper König, der Chef des Museum Ludwig in Köln. Danke Ihnen sehr, wünsche Ihnen einen schönen Tag und viel Erfolg …
König: Danke. … Der Erfolg, das ist erstaunlich, weil es ist ja ein Künstler, der hierzulande wenig bekannt ist, und es scheint also, momentan ist es wirklich, wird es sehr gut besucht.
Wuttke: Sie hatten mal wieder den richtigen Riecher. Danke, Herr König.
König: Ja, danke. Tschüss.