Ich konnte ja noch nicht mal das Etikett auf der Babynahrung lesen, “ab dem ersten, zweiten, dritten Monat”. Da bin ich zu meinen Apotheker gegangen, der kannte mich ja schon von Kind auf an, und er hat mir dann jeden Monat in der Apotheke die Babynahrung verkauft. War zwar teurer, aber ich brauchte kein Betteln.
Analphabetismus
Ute Holschumacher hat nicht lesen und schreiben gelernt. Als Mutter kommen neue Herausforderungen auf sie zu. © privat
"Ich konnte nicht mal das Etikett auf der Babynahrung lesen"
31:20 Minuten
Ute Holschumacher hat nie Lesen und Schreiben gelernt. Als Kind wird sie gehänselt, als Erwachsene gemobbt. Nach einer schweren psychischen Krise gibt sie ihrem Leben mit Anfang 50 noch einmal eine Wendung.
Ute Holschumacher wächst in schwierigen Verhältnissen auf. Zusammen mit ihren neun Geschwistern und ihren Eltern lebt sie in einer Zweizimmerwohnung in Berlin. Ihre Mutter versucht ihr Bestes, ist aber mit ihrer Arbeit und den vielen Kindern oft überfordert. Utes Vater hingegen ist Alkoholiker und gewalttätig. Auch in der Schule hat Ute große Probleme: Sie kommt nicht mit, lernt weder lesen noch schreiben.
Als sie mit 15 Jahren endlich ausziehen kann, scheint ein unabhängiges Leben zum Greifen nah. Sie findet eine eigene Wohnung und einen Job als Zimmermädchen. Dass sie nicht lesen und schreiben kann, spielt keine Rolle. Dann wird sie auch noch schwanger und gründet ihre eigene kleine Familie.
Überall nur Grenzen
Doch als Mutter kommen neue Herausforderungen auf Ute zu.
Immer wieder stößt sie an Grenzen, wenn es um die Jobsuche oder spontane Ausflüge geht. Sie öffnet sich nur wenigen Menschen, schottet sich immer mehr ab und leidet unter Depressionen.
An diesem Tiefpunkt in ihrem Leben muss sich Ute entscheiden: Will sie ihr Leben lang von ihrem Umfeld abhängig sein? Oder lernt sie mit 51 Jahren doch noch lesen und schreiben?
Carina Schroeder hat Ute Holschumacher getroffen. Sie erzählt die Geschichte von einer Frau, die sich ihr Leben lang verstecken muss und erst spät entdeckt, dass so vermeintlich banale Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben Freiheit bedeuten.