Rechtsextreme Netzwerke und die Behörden
12:57 Minuten
NSU-Terror, Hannibal, Neukölln-Komplex – das sind nur drei Beispiele von rechter Gewalt, in denen von Behördenversagen oder sogar von Verquickung mit Rechten gesprochen werden kann. Recherchieren und informieren die Medien genug darüber?
Der Vorwurf, dass Beamte von Sicherheitsbehörden oder sogar Richter Mitglieder von rechtsextremen Netzwerken sind, wiegt schwer. Doch zeigen mehrere Fälle: Verstrickungen zwischen staatlichen Behörden und rechtsextremen Netzwerken sind nicht von der Hand zu weisen.
Bei der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund zum Beispiel - da war während des Mordes an Halit Yozgat in Kassel im Jahr 2006 ein Beamter des Verfassungsschutzes anwesend. Seine Rolle wurde nie wirklich geklärt. Während der Aufarbeitung des Falles aber wurden Akten vernichtet, was wiederum zu mehreren Rücktritten in Landesämtern für Verfassungsschutz führte.
Ein weiteres Beispiel: Unter dem Namen "Hannibal" wurde im Jahr 2018 eine Art Schattenarmee bekannt, zu dessen Netzwerk Bundeswehr-Reservisten, Beamte der Kriminalpolizei, Angehörige von Spezialeinsatzkommandos, Richter, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und anderer deutscher Sicherheitsbehörden gehören sollen.
Und beim sogenannten Neukölln-Komplex, einer rechten Anschlagsserie in Berlin-Neukölln, mussten in dieser Woche zwei Staatsanwälte ihren Hut nehmen.
"Es führt auch dazu, dass man sich langsam fragt, wer schützt uns da eigentlich, will uns da überhaupt jemand schützen oder gibt es da intern bei den Sicherheitsbehörden so erhebliche Widerstände, dass möglicherweise Ermittlungen auch vereitelt worden sind", sagt der Neuköllner Christian von Gélieu im RBB Fernsehen.
"Es führt auch dazu, dass man sich langsam fragt, wer schützt uns da eigentlich, will uns da überhaupt jemand schützen oder gibt es da intern bei den Sicherheitsbehörden so erhebliche Widerstände, dass möglicherweise Ermittlungen auch vereitelt worden sind", sagt der Neuköllner Christian von Gélieu im RBB Fernsehen.
Im Februar 2017 brannte sein Auto, die Vermutung: eine Tat von Neonazis, weil Gélieu sich privat gegen rechts engagiert. Doch die Ermittlungen stockten – und nicht nur in seinem Fall.
Wie verstrickt sind Behörden ins rechte Milieu
Bis Juni dieses Jahres wurden in den neun Monaten davor 137 rechte Straftaten registriert. In sieben Jahren gab es 2800 Brandstiftungen. Seit Jahren wird von Opfern Aufklärung gefordert. Jetzt deutet sich an: Verstrickungen der Behörden ins rechte Milieu könnten eine Rolle spielen.
Wie tief reichen diese Verstrickungen? Und was tun eigentlich die Medien dagegen? Andreas Förster, Rechtsextremismus-Experte bei der "Berliner Zeitung", resümierte 2018 nach der Urteilsverkündung im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund NSU:
"Mir selbst sind allerdings ehrlich gesagt damals nicht die Gedanken gekommen, dass es da einen rechtsextremistischen Hintergrund geben könnte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, diese Mordserie tatsächlich damit in Verbindung zu bringen."
Dass die rechtsextremen Verbindungen von den Behörden teilweise gezielt vertuscht wurden, daran dachte erst recht lange niemand.
Bis heute ist die Rolle der Sicherheitsbehörden wenig aufgearbeitet. Verfassungsschutz, Justiz und Polizei scheinen verstrickt gewesen zu sein, kein Journalist hatte dies vorher erkannt oder recherchiert.
Bis heute ist die Rolle der Sicherheitsbehörden wenig aufgearbeitet. Verfassungsschutz, Justiz und Polizei scheinen verstrickt gewesen zu sein, kein Journalist hatte dies vorher erkannt oder recherchiert.
Anders lief es im Fall "Hannibal".
"Was wir gemacht haben, ist ja zu zeigen, dass es eine strukturelle Vernetzung in bestimmten Sicherheitsfunktionen gibt. Also wir haben auf allen möglichen Mitgliedsebenen Menschen gefunden, die eigentlich dafür da sind, den Staat zu schützen oder auch den Staat überhaupt zu formen", sagt Christina Schmidt. Sie ist Journalistin bei der Tageszeitung TAZ und deckte 2018 zusammen mit den Journalisten Martin Kaul und Daniel Schulz ein rechtes Netzwerk mit besten Beziehungen in Behörden auf. Hier haben Recherchen eine Gefahr aufgezeigt, bevor Pläne für Terroranschläge umgesetzt werden konnten.
Der Verfassungsschutz hingegen hatte nach eigenen Angaben seit 2016 Kenntnisse des Netzwerks, handelte jedoch nicht.
Deutlich wird also: Es hat sich viel geändert seit dem fast gesamtgesellschaftlichen Versagen rund um den NSU – doch stellen aktuelle Erkenntnisse wie beim Neukölln-Komplex die Frage: Weiß die Gesellschaft genug über rechte Verstrickungen und werden Behörden ausreichend kritisch von den Medien hinterfragt?
Berichterstattung änderte sich erst nach NSU-Enttarnung
"Vor der Enttarnung des Kerntrios des NSU 2011, da sind alle Journalist*innen ausnahmslos und völlig unkritisch deim institutionellen Rassimus der Polizei gefolgt, nämlich dem Polizei-Narrativ, die Mörder von neun migrantischen Zuwanderern, die können nur aus der türkisch-kurischen Community kommen", sagt Heike Kleffner.
Die Journalistin und Geschäftsführerin des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt schreibt seit den 1990er-Jahren über rechte Gewalt, Neonazis und die Situation von Geflüchteten. "Das hat die Berichterstattung zu einem Schlag ins Gesicht für die Opfer gemacht – über ein knappes Jahrzehnt."
Bei dem Komplex Hannibal sei die TAZ lange Zeit "ganz allein auf weiter Flur" gewesen, in ihren sehr vorbildlichen Recherchen zum Netzwerk von rechtsextremen Elite-Soldaten. Zunächst belächelt sei den meisten erst später klar geworden, dass es sich hier um rechtsterroristische Netzwerke handele, "die tatsächlich politische Gegner*innen internieren und im Zweifel auch liquidieren wollen".
Im Falle des Neukölln-Komplexes hätten wiederum lokale Medien die Polizeiberichterstattung von Anfang an kritisch hinterfragt. "Und sie haben vor allen Dingen mit den Betroffenen, mit ihren Anwältinnen und Anwälten und mit den vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Beratungsstellen zusammen recherchiert", sagt Heike Kleffner. "Da haben die Medien wirklich eine sehr wichtige Rolle gespielt, das Problem in den Fokus von sehr vielen Menschen und auch den politischen Verantwortlichen zu rücken."
(Jochen Dreier/cwu)