Analysen und Verrisse
"Klage" ist das Resultat von Blogs, die Rainald Goetz für die Zeitschrift "Vanity Fair" geschrieben hat. Der Autor setzt sich darin mit unterschiedlichen Themen auseinander. Zimperlich ist Goetz dabei nicht.
Sollte es stimmen, dass es einem gut geht, wenn man nicht klagen kann, dann ließe der Titel von Rainald Goetz‘ Buch "Klage" den Schluss zu, dass darin eher selten vom gefälligen Wohlbefinden die Rede ist. Tatsächlich ist Goetz hochgradig unzufrieden. Er versteht es zu klagen und klagt so indirekt an.
"Klage" ist das Resultat von Blogs, die Rainald Goetz für die Zeitschrift "Vanity Fair" geschrieben hat. Begonnen hat er mit den Aufzeichnungen im Februar 2007. Unter der Überschrift "it’s over, let’s dance" beendet er sein Internettagebuch am 21. Juni 2008. Eine reale Klage mit der Firma Debitel bildet den Auftakt von Goetz‘ klagendem Rundumschlag. Getrieben von einer ihn nie verlassenden Wut, hat sich der Klageführende in Berlin umgesehen: Er beobachtet das Geschehen auf der Pressebühne des Deutschen Bundestages, beschreibt das Gebaren auf Vernissagen, geht hart ins Gericht mit seinen schreibenden Kollegen, ist ungnädig gegenüber dem Feuilleton, berichtet von Partys, beurteilt Lesungen, kommentiert Debatten. Was ihm dabei auffällt, erinnert an Thomas Bernhards bissige Bemerkung, dass man sich um die Wut keine Sorgen machen müsse – "die kommt". Bei "Klage" handelt es sich um eine Fortsetzung von Goetz‘ 1999 erschienenem Internettagebuch "Abfall für alle".
Rainald Goetz war bereits bei seinem Auftritt während des Wettlesens zum Ingeborg Bachmann Wettbewerb in Klagenfurt bei seinem Thema, als er sich mit einer Rasierklinge die Stirn aufschnitt und seinen Text stoisch vorlas, während ihm das Blut über das Gesicht, die Finger und sein Manuskript lief. "Irre" heißt sein erster, 1983 erschienener Roman und es hat den Anschein, als würde Goetz seit diesem Debüt immer nur über ein Thema schreiben: Irrewerdend am Zustand dieser Welt, der nicht mit Herzblut zu helfen ist, klagt Goetz, gereizt bis aufs Blut, an. Grandios seine Analyse in "Klage" über Reichtum und die Reichen ("Das Kapital") und wenig später der Totalverriss von Peter Steins Berliner "Wallenstein"-Inszenierung.
Die wird nur noch durch eine Suada übertroffen, die den Schauspiele Klaus Maria Brandauer ebenso trifft wie Friedrich Schiller – Erfolgsautor Daniel Kehlmann kommt da noch vergleichsweise glimpflich weg, dem Goetz bescheinigt, er würde in seinen Romanen eine "gehobene Angestelltenkultur" bedienen. Zimperlich ist Goetz nicht, er teilt aus und wer ihm in die Klagequere kommt, dem gnade Gott. Da macht sich einer nicht Liebkind, und es wird verständlich, warum der Name von Rainald Goetz im Kontext von Rolf Brinkmann und Thomas Bernhard genannt wird. Goetz ist unerschrocken. Er buhlt nicht um Zuwendungen, sondern schreibt mit eiserner Hand dagegen an, dass man sich in einer unfertigen Welt einrichtet, als wäre sie Ordnung. Nicht alle, aber sehr viele Einträge sind glänzende Analysen gegenwärtiger Zustände. Goetz ist ein kluger, eine sensibler Beobachter und ein Meister im Enttarnen. Diese analytische Kraft, die er in Poesie zu übertragen versteht, verblasst nur dann, wenn er dem medialen Gewäsch mit Geplapper begegnet.
Einen wie Rainald Goetz braucht die deutsche Literatur, weil seine Texte gefälligkeitsresistent sind. Sie lassen einen wegen ihrer Unerbittlichkeit nicht los, die verhindert, sich in seinen Texten angenehm einzurichten. Goetz sorgt permanent für trotzige, notwendige Unruhe.
Rezensiert von Michael Opitz
Rainald Goetz: Klage
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008,
428 Seiten, 22,80 Euro
"Klage" ist das Resultat von Blogs, die Rainald Goetz für die Zeitschrift "Vanity Fair" geschrieben hat. Begonnen hat er mit den Aufzeichnungen im Februar 2007. Unter der Überschrift "it’s over, let’s dance" beendet er sein Internettagebuch am 21. Juni 2008. Eine reale Klage mit der Firma Debitel bildet den Auftakt von Goetz‘ klagendem Rundumschlag. Getrieben von einer ihn nie verlassenden Wut, hat sich der Klageführende in Berlin umgesehen: Er beobachtet das Geschehen auf der Pressebühne des Deutschen Bundestages, beschreibt das Gebaren auf Vernissagen, geht hart ins Gericht mit seinen schreibenden Kollegen, ist ungnädig gegenüber dem Feuilleton, berichtet von Partys, beurteilt Lesungen, kommentiert Debatten. Was ihm dabei auffällt, erinnert an Thomas Bernhards bissige Bemerkung, dass man sich um die Wut keine Sorgen machen müsse – "die kommt". Bei "Klage" handelt es sich um eine Fortsetzung von Goetz‘ 1999 erschienenem Internettagebuch "Abfall für alle".
Rainald Goetz war bereits bei seinem Auftritt während des Wettlesens zum Ingeborg Bachmann Wettbewerb in Klagenfurt bei seinem Thema, als er sich mit einer Rasierklinge die Stirn aufschnitt und seinen Text stoisch vorlas, während ihm das Blut über das Gesicht, die Finger und sein Manuskript lief. "Irre" heißt sein erster, 1983 erschienener Roman und es hat den Anschein, als würde Goetz seit diesem Debüt immer nur über ein Thema schreiben: Irrewerdend am Zustand dieser Welt, der nicht mit Herzblut zu helfen ist, klagt Goetz, gereizt bis aufs Blut, an. Grandios seine Analyse in "Klage" über Reichtum und die Reichen ("Das Kapital") und wenig später der Totalverriss von Peter Steins Berliner "Wallenstein"-Inszenierung.
Die wird nur noch durch eine Suada übertroffen, die den Schauspiele Klaus Maria Brandauer ebenso trifft wie Friedrich Schiller – Erfolgsautor Daniel Kehlmann kommt da noch vergleichsweise glimpflich weg, dem Goetz bescheinigt, er würde in seinen Romanen eine "gehobene Angestelltenkultur" bedienen. Zimperlich ist Goetz nicht, er teilt aus und wer ihm in die Klagequere kommt, dem gnade Gott. Da macht sich einer nicht Liebkind, und es wird verständlich, warum der Name von Rainald Goetz im Kontext von Rolf Brinkmann und Thomas Bernhard genannt wird. Goetz ist unerschrocken. Er buhlt nicht um Zuwendungen, sondern schreibt mit eiserner Hand dagegen an, dass man sich in einer unfertigen Welt einrichtet, als wäre sie Ordnung. Nicht alle, aber sehr viele Einträge sind glänzende Analysen gegenwärtiger Zustände. Goetz ist ein kluger, eine sensibler Beobachter und ein Meister im Enttarnen. Diese analytische Kraft, die er in Poesie zu übertragen versteht, verblasst nur dann, wenn er dem medialen Gewäsch mit Geplapper begegnet.
Einen wie Rainald Goetz braucht die deutsche Literatur, weil seine Texte gefälligkeitsresistent sind. Sie lassen einen wegen ihrer Unerbittlichkeit nicht los, die verhindert, sich in seinen Texten angenehm einzurichten. Goetz sorgt permanent für trotzige, notwendige Unruhe.
Rezensiert von Michael Opitz
Rainald Goetz: Klage
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008,
428 Seiten, 22,80 Euro