Analytischer Nervenschauspieler mit ungeheurer Präsenz

Moderation: Gabi Wuttke · 25.07.2007
Der Film- und Theaterschaupieler Ulrich Mühe ist tot. Er starb am Sonntag 54-jährig an Krebs. Mühe wurde international bekannt durch seine Rolle als Stasi-Offizier in dem Film "Das Leben der Anderen". Der Theaterkritiker Hartmut Krug lobte Mühes "ungeheure Präsenz" auf der Bühne, die er auch in kleinen Rollen zeigte.
Wuttke: Unser Filmkritiker Jörg Taszman ist jetzt im Studio, zusammen mit unserem Theaterkritiker Hartmut Krug. Ulrich Mühe war in der DDR ein Star, vor allem auf der Bühne, Herr Krug. Wir sitzen hier alle und sind noch ziemlich geschockt über die Meldung des Vormittags. Lassen wir uns ganz chronologisch beginnen: Ulrich Mühe hat die Schauspielerei von der Pieke auf gelernt, in Leipzig und in Karl-Marx-Stadt, aber ziemlich schnell entdeckte ihn kein Geringerer als ausgerechnet Heiner Müller.

Hartmut Krug: Ja, und das ist auch kein Zufall, weil er in Karl-Marx-Stadt, in "Der Auftrag" von Heiner Müller einen der Emissäre gespielt hat, den Sasportas, und das Besondere an Ulrich Mühe ist immer gewesen, dass er selbst in kleinen Rollen sofort eine so ungeheure Präsenz hatte und so stark auffiel. Er war ein, für mich ein analytischer Nervenschauspieler, der sehr konzentriert war, der zwar körperbetont spielte, aber nie zuviel machte, eigentlich nie viel überhaupt machte. Und dass Heiner Müller eine Rolle von diesen drei Emissären von so einem jungen Darsteller fast optimal gespielt sah, hat ihn dann tatsächlich bewegt, ihn sofort nach Berlin zu holen.

Er hat dann in Heiner Müllers "Macbeth" an der Volksbühne, der in einem Berliner Hinterhof spielte, hat er mehrere Rollen gespielt, ist damit sehr bekannt geworden, hat Aufmerksamkeit erregt, ist ans Deutsche Theater im nächsten Jahr gegangen, bei der Wiedereröffnung der rekonstruierten Kammerspiele, was ein Staatsakt war, hat da mit Inge Keller Ibsens "Gespenster" als der Sohn Oswald gespielt und auch da hat er wieder gezeigt, wie jemand, der so in sich hineinverdämmert, dieser Sohn da, wie der trotzdem da sein kann und auf die Zuschauer wirken kann.

Und dann ging es einfach immer weiter mit den großen Rollen, den Heldenrollen, und das finde ich auch wieder faszinierend, was seine Schauspielerei auszeichnet, er hat die großen, scheiternden Helden wie Egmont, Clavigo, Hamlet gespielt, ein kleiner, zarter, schmaler Mann ohne Heldenstatur spielt diese großen Heldenrollen.

Wuttke: '82 hat ihn Heiner Müller geholt, '83 dann das Deutsche Theater, das war ein Tempo in einer sehr, sehr rasanten Karriere und er wurde auch ganz schnell zu einem wirklichen Star in der DDR. Was hatte er denn dort für ein Standing, wie locker, das heißt, möglicherweise auch wie straff hielt die SED die Zügel?

Krug: Na ja, er ist, was er dann später aus seiner Akte entnehmen konnte, er ist ja auch als ein denkender, als ein politischer Schauspieler angesehen worden. Er hat auch immer mal gesagt, ich will keine Ruhe geben, ich will also die gesellschaftlichen Verhältnisse und das, was ich arbeite, will ich immer wieder stören und untersuchen. Und er ist dann natürlich auch von der Stasi beobachtet worden und er ist dann sehr konsequent für seinen Werdegang.

Er ist ja dann einer der Mitinitiatoren und auch einer der Redner der großen Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989 gewesen, und dieses Wissen von ihm, immer genau schauen, wo lebe ich, ich denke darüber und ich entscheide mich, hat dann dazu geführt, dass er ja dann aus dem Osten erst einmal weggegangen ist, also seinen Horizont geweitet hat, in Wien gespielt hat, in Hamburg gewesen ist und an allen großen, in Salzburg mit Thomas Langhoff und in Wien mit Claus Peymann, mit Luc Bondy später dann noch gearbeitet hat.

Ganz zum Schluss hat er nur noch sehr wenig Theater gespielt. Ich erinnere mich an die letzte Rolle hier in Berlin 2005 in Sarah Kanes "Zerbombt", einem schrecklichen Stück, wo er einen Vergewaltiger, der gleichzeitig dann auch wieder selber zum Opfer wird, gespielt hat, so zurückgenommen wie nur irgendetwas.

Wuttke: Sie haben gerade eben schon das Stichwort Film genannt, Jörg Taszman, auch die DEFA hat Ulrich Mühe ziemlich schnell entdeckt und '84 schon kam dann sein Durchbruch im Kino.

Jörg Taszman: Ja, ich meine, da war er natürlich, das war "Hälfte des Lebens", das war von Hermann Zschoche, das war eine Hölderlin-Geschichte. Hölderlin war sowieso unter DDR-Intellektuellen unwahrscheinlich beliebt, also, das war dann eine Rolle, in die er sich auch wirklich reingespielt hat, weil es gab ja unwahrscheinlich viele DEFA-Filme, die hat man sich nicht angeschaut, aber das war so ein Film, da ist man eben reingegangen und da ist Mühe eben auch entdeckt worden.

Er hat dann auch im weiteren DEFA-Filmen mitgespielt, kleinere Rollen wie "Die Frau und der Fremde", der immerhin einen Goldenen Bären auf der Berlinale gewonnen hat, aber es war dann eigentlich erst bei Bernhard Wicki, "Das Spinnennetz", das war eigentlich ein westdeutscher Film, der stellenweise mit der DEFA zusammen gedreht wurde, also schon fast eine Art inoffizielle Co-Produktion damals der beiden noch existierenden deutschen Staaten. Und das war ein Film, der sehr lange Dreharbeiten hatte, ich glaube, Mühe hatte sich bei diesem Film auch verletzt, es war ein Film, den er zusammen mit Klaus Maria Brandauer gespielt hat.#

Und ich erinnere mich, da gab es, glaube ich, diese Anekdote, dass einer von beiden, entweder Brandauer oder Mühe, ich weiß nicht mehr so genau, so doll zugehauen hat, dass sich der andere so verletzt hat, dass die Dreharbeiten unterbrochen werden mussten. Und da spielte Mühe zum Beispiel einen Karrieristen, und das war eigentlich so die erste Rolle, wo er dann auch außerhalb der DDR eigentlich wirklich wahrgenommen wurde eben, als Filmschauspieler in diesem Fall.

Wuttke: Nach der Wende hat Ulrich Mühe den Beruf der Gerichtspathologen ziemlich aufgewertet als feinsinniger Analytiker Robert Kolmaar in der ZDF-Serie "Der letzte Zeuge". Sein größter Erfolg war aber wohl der oscarprämierte Kinofilm "Das Leben der Anderen". Bei der Verleihung soll er schon von seiner Krankheit gewusst haben. Was war denn dieser Film für ein Meilenstein in seiner Karriere, was hätte, Jörg Taszman, noch aus seiner Karriere werden können?

Taszman: Also, dieser Film war ihm unwahrscheinlich wichtig. Ich hatte eben das Glück gehabt, ihn vor etwa einem Jahr zu interviewen, also, kurz vor dem Kinostart von "Das Leben der Anderen" und er war auch diesem jungen Regisseur, Florian Henckel von Donnersmarck, sehr dankbar, dass er ihn das hat spielen lassen. Er hat sich da auch ziemlich eingebracht, er hat sich an vieles eben erinnert, aus seiner Zeit, obwohl er in diesem Film ja einen Stasi-Offizier spielt, aber er beobachtet ja zum Beispiel auch eine Theaterschauspielerin und das hat ihn natürlich auch an seine eigene Theaterzeit erinnert.

Und dieser Film ist ein Riesenerfolg geworden, nicht nur in Deutschland, sondern wirklich weltweit, also, der hat allein außerhalb Deutschlands, nein, außerhalb der USA, 57 Millionen Dollar eingespielt. Das ist der größte deutsche Filmerfolg in den USA zum Beispiel aller Zeiten und, ich glaube, auch nach der Wende überhaupt der größte, internationale Kinoerfolg.

Und Ulrich Mühe stand vor einer internationalen Karriere, das kann man wirklich sagen. Da wurden natürlich Hollywoodbosse auf ihn aufmerksam, es sind ihm Rollen angeboten worden, die er jetzt schon hat absagen müssen, und das finde ich besonders tragisch für ihn, weil er war ein sehr ehrgeiziger Mann, das hat man auch gemerkt und so eine internationale Karriere hätte ihn bestimmt sehr, sehr gereizt.

Wuttke: Wir haben schon darüber gesprochen, dass Ulrich Mühe die große Demonstration in Ostberlin am 4. November '89 mitorganisiert hat. Er galt als kluger, als eloquenter und auch als sehr, sehr uneitler Mensch, allerdings die Beschuldigung, seine Exfrau Jenny Gröllmann sei IM gewesen, hat sein Image einigermaßen beschädigt. Wie haben Sie beide ihn erlebt, als Menschen? Herr Krug?

Krug: Als einen sehr bescheidenen, einen sehr zurückhaltenden Menschen, wie Sie schon gesagt haben, aber auch als jemand, der sehr komisch sein konnte, denn das muss man ja noch sagen, nicht nur in dieser Filmdoppelrolle "Goebbels und Geduldig" von Kai Wessels hat er ja seine Komik gezeigt, sondern auch auf der Bühne, in "Boundary" oder in "Die Hose" von Carl Sternheim, der konnte einen feinen Humor haben, es war, mit ihm zu reden war wirklich sehr angenehm und es war auch immer ein intellektueller Austausch und nicht nur ein Reden über irgendetwas oder so, nicht nur ein journalistisches Reden. Also, es war einer von den Schauspielern, bei denen man das Gefühl hatte, mit dem möchte ich weiter eigentlich auch reden und die Interviews mit ihm, die fingen an und hörten fast nicht auf.

Wuttke: Man sagt aber auch, er wirkte nach außen so besonnen, aber er sei - und er hat ja immer schon auch wirklich ein Magenproblem gehabt - er sei jemand, der sehr viel runtergeschluckt hat. Jörg Taszman, wie haben Sie ihn erlebt?

Taszman: Also, zu diesem Runterschlucken kann ich nichts sagen, ich weiß nur, dass ich vor meinem Interview doch sehr, sehr großen Respekt davor hatte und mich da vielleicht auch besser drauf vorbereitet hatte als auf andere, weil mir schon klar war, bei dem Mann, da musst du dir wirklich überlegen, was du ihn fragst. Und das war dann ein sehr, sehr angenehmes Treffen, was auch dann wirklich nur - wie das bei solchen Interviews dann eben so üblich ist, weil man ja nicht der einzige ist, der ihn dann interviewt - das war eine halbe Stunde, aber es war eine sehr, sehr spannende halbe Stunde, und ich kann das nur bestätigen, was Herr Krug sagt, das hatte dann auch so einen Gesprächscharakter mehr als so ein reines Frage-Anwort-Spiel. Und er war eben jemand, der dann auch wirklich viel erzählt hat, der auch nachgedacht hat, er hatte nicht schon alle Antworten parat gehabt, und hat einen unwahrscheinlich sympathischen Eindruck wirklich auf mich gemacht, und deswegen war ich heute auch sehr, sehr betroffen, wie ich das gehört habe.

Wuttke: Und dazu nickt Hartmut Krug. Jörg Taszman und Hartmut Krug über den Schauspieler Ulrich Mühe, der mit 54 Jahren am Sonntag gestorben ist. Am Freitag um 19.30 Uhr können Sie Ulrich Mühe bei uns hier im Deutschlandradio Kultur hören, wenn er Antoine de Saint-Exupéry liest, vielleicht waren die beiden ja Seelenverwandte.