Lena Rachel Andersen und Tomas Björkman: "Das skandinavische Geheimnis: Eine europäische Geschichte von Schönheit und Freiheit"
Phänomen-Verlag 2020
572 Seiten, 24,95 Euro
Lernen, ein freier Mensch zu sein
06:46 Minuten
Auch in puncto Bildung wird oft neidisch in den Norden geschaut. Lena Rachel Andersen und Tomas Björkman erläutern in "Das skandinavische Geheimnis", welche Bildungssysteme selbstbewusste und demokratisch denkende Menschen hervorbringen.
Das dicke Buch beginnt mit einer Fragestellung. Nachdem die Autoren festgestellt haben, dass die skandinavischen Länder so wirkten, als hätten sie "alles im Griff: stabile Gesellschaften, ein hohes Maß an individueller Freiheit, ein niedriges Maß an Korruption, die glücklichsten Menschen der Welt, funktionierende öffentliche Institutionen", fragen sie: "Kann die skandinavische Erfahrung dem Rest der Welt zugute kommen?"
Um dies zu beantworten, unternehmen die beiden Autoren eine Reise in die europäische Vergangenheit und gehen dem deutschen Begriff der "Bildung" auf den Grund. Was sie sich dabei vorgenommen haben, ist enorm. Inspiriert von den Denkern und Dichtern, die sie im Buch vorstellen, haben sie nichts anderes als eine moderne Enzyklopädie der Bildungsgeschichte der letzten 350 Jahre geschrieben. Und dabei geschaut, welchen Einfluss dieser Begriff auf die Entstehung des skandinavischen Modells gehabt hat.
Sie schreiben meistens leger und für diejenigen, die eine Wiederholung des Studium Generale benötigen oder sich einfach einen anderen Blick auf die deutsche kulturelle und politische Entwicklung wünschen, haben diese Kapitel durchaus ihren Reiz. Manchmal bleiben die Autoren zwar auf der anekdotischen Ebene und die Lektüre hetzt von einem vermeintlichen Bonmot zum nächsten: "Klopstocks Wurm ist wieder da!", heißt es, als die "Ode an die Freude" von Schiller erwähnt wird, später ist von der "Weimarer Bromance" die Rede.
Um dies zu beantworten, unternehmen die beiden Autoren eine Reise in die europäische Vergangenheit und gehen dem deutschen Begriff der "Bildung" auf den Grund. Was sie sich dabei vorgenommen haben, ist enorm. Inspiriert von den Denkern und Dichtern, die sie im Buch vorstellen, haben sie nichts anderes als eine moderne Enzyklopädie der Bildungsgeschichte der letzten 350 Jahre geschrieben. Und dabei geschaut, welchen Einfluss dieser Begriff auf die Entstehung des skandinavischen Modells gehabt hat.
Sie schreiben meistens leger und für diejenigen, die eine Wiederholung des Studium Generale benötigen oder sich einfach einen anderen Blick auf die deutsche kulturelle und politische Entwicklung wünschen, haben diese Kapitel durchaus ihren Reiz. Manchmal bleiben die Autoren zwar auf der anekdotischen Ebene und die Lektüre hetzt von einem vermeintlichen Bonmot zum nächsten: "Klopstocks Wurm ist wieder da!", heißt es, als die "Ode an die Freude" von Schiller erwähnt wird, später ist von der "Weimarer Bromance" die Rede.
Aber ihr Anliegen ist lobenswert, die Dokumentation sehr reich, und man spürt regelrecht die Freude, die beide dabei haben, Wissen zu entdecken und zu teilen. Diese "Bildung" als Grundlage zur Entstehung mündiger Bürger ist das, was Andersen und Björkman wieder aufleben lassen möchten.
Parallel dazu benutzen sie immer wieder die Theorien der amerikanischen Psychologen Lawrence Kohlberg und Robert Kogan über die Stufen der moralischen Entwicklung des Menschen. Vor diesem Raster lesen sie die gesamte europäische Kulturgeschichte, und das ist der Moment, in dem die Geduld der Leser und Leserinnen etwas strapaziert wird.
Parallel dazu benutzen sie immer wieder die Theorien der amerikanischen Psychologen Lawrence Kohlberg und Robert Kogan über die Stufen der moralischen Entwicklung des Menschen. Vor diesem Raster lesen sie die gesamte europäische Kulturgeschichte, und das ist der Moment, in dem die Geduld der Leser und Leserinnen etwas strapaziert wird.
Lesenswerte Exkurse über Schultypen
Interessant für die deutsche Leserschaft ist der Teil über den Einfluss des Begriffs "Bildung" auf die skandinavische Volksbildung, wenn Andersen und Björkman die Entstehung der "Volkshochschulen" in der Mitte des 19. Jahrhunderts erläutern. Die skandinavischen "Volkshochschulen" haben mit ihrem deutschen Pendant nur den Namen gemein.
Während man hierzulande darunter allgemein "Erwachsenenbildung" in mehrwöchigen Kursen versteht, waren die skandinavischen "Volkshochschulen" vergleichbar mit Internaten oder Camps, in denen junge Erwachsenen die Möglichkeit hatten, sich einige Monate lang fachlich und ideell weiterzubilden und über ihre aktive Rolle in einer sich demokratisierenden Gesellschaft nachzudenken. Diese Schulen wurden vom Staat finanziert, nicht aber kontrolliert.
Während man hierzulande darunter allgemein "Erwachsenenbildung" in mehrwöchigen Kursen versteht, waren die skandinavischen "Volkshochschulen" vergleichbar mit Internaten oder Camps, in denen junge Erwachsenen die Möglichkeit hatten, sich einige Monate lang fachlich und ideell weiterzubilden und über ihre aktive Rolle in einer sich demokratisierenden Gesellschaft nachzudenken. Diese Schulen wurden vom Staat finanziert, nicht aber kontrolliert.
Die drei Stufen der Volksbildung
Der Pionier auf diesem Gebiet war der dänische Volkspädagoge Grundtvig, der 1844 die erste Volkshochschule gründete. Bald eröffneten in allen skandinavischen Ländern solche Institute, und die Autoren skizzieren drei Stufen in der Entwicklung der Volksbildung:
"Die Volksbildung, die sich in den 1860er-Jahren in Skandinavien durchzusetzen begann, verwandelte Zehntausende von jungen Menschen in inspirierte, selbstverwaltete junge Erwachsene mit einem Ziel. Sie entwickelten ein staatsbürgerliches Selbstbewusstsein und erfanden sich neu als Individuen, die das tun wollten, was gut für sie selbst, ihre lokale Gemeinschaft und ihr Land war. Wir nennen das Volksbildung 1.0."
Ihr folgte rasch eine zweite Stufe: "Die Volkshochschulen ermöglichten einen massenhaften Übergang der Landjugend zu einer sinnvollen patriotischen Selbstverwaltung als inspirierte und verantwortungsbewusste Bürger. Die Moderne stellte diese Art von Konformität in Frage und forderte die Selbst-Verwaltung der gesamten Bevölkerung; in den skandinavischen Ländern verwandelte sie sich in eine moderne Emanzipationsideologie, die durch ihre eigene Ästhetik gefördert wurde. Wir nennen sie Volksbildung 2.0."
Die dritte Stufe dieser Volksbildung, die Volksbildung 3.0, sollte demnach weder auf der nationalen, noch kontinentalen Ebene stattfinden, sondern auf der globalen. Die Migration vieler Menschen von Süd nach Nord hat die Karten neu gemischt und Andersen und Björkman plädieren für eine neue Art des Nationalismus, die nichts mit Chauvinismus oder Patriotismus gemein hat: Ein Nationalismus, der sich auf das kulturelle Erbe eines Landes besinnt und für die Erneuerung desselben offenbleibt. Schließlich fragen Andersen und Björkman "Wie könnte Bildung 3.0 aussehen?" Und weiter: Wie schafft man ihre Umsetzung?
"Die Volksbildung, die sich in den 1860er-Jahren in Skandinavien durchzusetzen begann, verwandelte Zehntausende von jungen Menschen in inspirierte, selbstverwaltete junge Erwachsene mit einem Ziel. Sie entwickelten ein staatsbürgerliches Selbstbewusstsein und erfanden sich neu als Individuen, die das tun wollten, was gut für sie selbst, ihre lokale Gemeinschaft und ihr Land war. Wir nennen das Volksbildung 1.0."
Ihr folgte rasch eine zweite Stufe: "Die Volkshochschulen ermöglichten einen massenhaften Übergang der Landjugend zu einer sinnvollen patriotischen Selbstverwaltung als inspirierte und verantwortungsbewusste Bürger. Die Moderne stellte diese Art von Konformität in Frage und forderte die Selbst-Verwaltung der gesamten Bevölkerung; in den skandinavischen Ländern verwandelte sie sich in eine moderne Emanzipationsideologie, die durch ihre eigene Ästhetik gefördert wurde. Wir nennen sie Volksbildung 2.0."
Die dritte Stufe dieser Volksbildung, die Volksbildung 3.0, sollte demnach weder auf der nationalen, noch kontinentalen Ebene stattfinden, sondern auf der globalen. Die Migration vieler Menschen von Süd nach Nord hat die Karten neu gemischt und Andersen und Björkman plädieren für eine neue Art des Nationalismus, die nichts mit Chauvinismus oder Patriotismus gemein hat: Ein Nationalismus, der sich auf das kulturelle Erbe eines Landes besinnt und für die Erneuerung desselben offenbleibt. Schließlich fragen Andersen und Björkman "Wie könnte Bildung 3.0 aussehen?" Und weiter: Wie schafft man ihre Umsetzung?
Was lernen wir daraus?
"Gute Frage. Wir wünschten, wir wüssten es. Einige der ersten Schritte müssen darin bestehen, unser Verständnis von und unsere Perspektiven auf eine Reihe von Dingen zu ändern; wir brauchen eine aussagekräftige Erzählung, und dann müssen wir neue Arten von Institutionen entwickeln und die Institutionen, die wir bereits haben, besser nutzen."
Schließlich drängt die Frage: "Was können wir aus der Vergangenheit lernen, wohin gehen wir und was können wir tun?" Sie mündet in einen Appell an die Leser und Leserinnen dieses "skandinavischen Manifests", das an einigen Stellen in einen leichten predigthaften Ton verfällt, doch selbst aktiv zu werden, der Community der beiden Autoren beizutreten und konstruktiv an dem Erhalt der Demokratie mitzuwirken.
Schließlich drängt die Frage: "Was können wir aus der Vergangenheit lernen, wohin gehen wir und was können wir tun?" Sie mündet in einen Appell an die Leser und Leserinnen dieses "skandinavischen Manifests", das an einigen Stellen in einen leichten predigthaften Ton verfällt, doch selbst aktiv zu werden, der Community der beiden Autoren beizutreten und konstruktiv an dem Erhalt der Demokratie mitzuwirken.