Eigentlich wollte André Franquin, geboren am 3. Januar 1924 im Brüsseler Vorort Etterbeek, zum Trickfilm. 18 Monate lang hatte er an der Kunsthochschule Saint-Luc studiert, nach dem Zweiten Weltkrieg fing er beim kleinen Studio C.B.A. an, doch das musste schon im Jahr darauf den Betrieb einstellen.
Also machte der junge Mann als Comiczeichner Karriere. Sein schwungvoller und ausdrucksstarker Zeichenstil, gepaart mit einer unerschöpflichen Fantasie, verhalf ihm zum Erfolg.
"André Franquin ist schon ein ganz spezieller Typ", sagt der deutsche Comiczeichner Flix. "Denn er hat zum einen Humor, zum zweiten hat er eine Leichtigkeit bei seinem Strich, die ich als Kind schon gesehen habe, dann versucht habe nachzumachen, und sehr schnell begriffen habe, wie unfassbar schwer es ist, etwas leicht wirken zu lassen. Aber das konnte er."
Abenteuer mit Augenzwinkern: Spirou und Fantasio
Im Jahr 1947 begann Franquin seine Arbeit beim "Spirou Almanach". Die Figuren Spirou und Fantasio stammen nicht von Franquin (diese wurden 1938 von Rob-Vel kreiert), aber er hat ihnen neues Leben eingehaucht und ihre Welt erweitert.
Zu den neuen Figuren zählen der Wissenschaftler Graf von Rummelsdorf (im Original: Champignac) und der Schurke Zyklotrop, Fantasios Vetter Zantafio und die Reporterkollegin Steffanie. Zwei Jahrzehnte lang sollte er die Serie prägen - damit gilt er als ihr eigentlicher Vater.
Das freche Fabeltier aus dem Urwald: Marsupilami
Im Jahr 1952 führe Franquin ein sonderbares Tier bei Spirou ein: Es sieht aus wie eine Art Affe, ist aber knallgelb und trägt schwarze Flecken wie ein Leopard und es hat einen acht Meter langen Schwanz, der so ziemlich alles kann, was die Fantasie hergibt und für die Handlung benötigt wird.
Das Marsupilami stammt aus dem südamerikanischen Dschungel Palumbiens und bringt nur ein Wort von sich: "Huba!"
Marsupilami ist belgisches Kulturerbe: In Middelkerke, Westflandern, hat man ihm ein Denkmal gesetzt.© imago / Belga / Philippe Clément
Schnell entwickelte sich das freundliche Fabeltier zu einem Publikumsliebling. Im Gegensatz zu den anderen Figuren, die Franquin für Spirou schuf, durfte er die Rechte am Marsupilami behalten. Es machte sich später selbstständig in einer eigenen Serie.
Ein sympathischer Tolpatsch: Gaston
Neun Monate lang trieb sich diese hochgewachsene, hagere Gestalt mit der Knollennase ohne Erklärung auf den Seiten von Spirou herum, bis sie am 5. Dezember 1957 erstmals ihren ersten halbseitigen Gag bekam. Dieser "arbeitslose Held" ist ein Bürobote, der eigentlich nichts tut, außer in seinem Verlag für Chaos zu sorgen. Tollpatsch Gaston wurde so populär, dass er in den 60ern sogar auf der Titelseite von Spirou zu sehen war.
Franquin mochte seine Kreation "Gaston" lieber als "Spirou und Fantasio".© Carlsen Verlag
Franquin hing mehr an seiner eigenen Kreation als an Spirou und Fantasio, stellte im Februar 1968 seine Gaston-Serie von halbseitigem auf ganzseitiges Seitenformat um und gab 1971 schließlich Spirou ganz zugunsten von "Gaston Lagaffe" auf.
Die dunkle Seite Franquins: "Schwarze Gedanken"
André Franquin galt lange als "netter Zeichner" - heiter, humorvoll, kinderfreundlich. Nachdem er sich von Spirou befreit hatte, wollte er beweisen, dass er auch anders konnte. Seine Serie "Schwarze Gedanken" (1977 bis 1982) zeigen ihn von einer makabren Seite. Die Zeichnungen sind schwarz-weiß und ungeschliffen, ja geradezu wild. Franquin selbst bezeichnet sie als "eine Art Gegenentwurf" zu Gaston, wie ein "rußverschmierter Gaston".
Es sieht nicht nur düster aus, es geht darin auch grausam und zynisch zu - es sind Comics für Erwachsene, die auch vor Politik und Gesellschaftskritik nicht haltmachen. "Fantastisch" nennt der Comic-Künstler Felix Görmann alias Flix die "Schwarzen Gedanken", sie seien "ein absolutes Meisterwerk, eines der persönlichsten und besten Werke, die er geschaffen hat."
Wilder Stil, düsterer Humor: "Schwarze Gedanken" gilt als André Franquins Meisterwerk.© Carlsen Verlag
"Ich hatte viel Spaß daran, sie zu zeichnen", sagte Franquin einmal. "Mein einziges Ziel mit dieser Serie war es, die Leser zum Lachen zu bringen."
Doch sie zeigen den Künstler auch von einer anderen Seite. Immer wieder litt er unter Depressionen, musste in den 80ern sogar jahrelang die Arbeit einstellen. Franquin zeichnete danach weniger als früher, seine letzten Gaston-Storys ließen den Esprit von früher vermissen und 1991 hörte er als Künstler ganz auf.
"Das Medium Comic verleitet zur Depression", sagt Flix. "Man erschafft eine Welt und ein Comic lebt von der Gleichförmigkeit. Dinge wiederholen sich immer wieder. Der Leser liebt die Wiederholung. Für den Machenden ist die Wiederholung aber wahnsinnig anstrengend und auch ermüdend. Damit klarzukommen, ist schwer. Das führt zu Schwermut. Comiczeichner sind viel alleine, sitzen viele Stunden still am Schreibtisch und die Welt draußen zieht gefühlt an ihnen einfach vorbei und sie sind kein Teil davon. Das ist nicht einfach. Und das sieht man auch in diesen Bildern.“
Franquin starb am 5. Januar 1997, kurz nach seinem 73. Geburtstag, an Herzversagen.
Zum 100. Geburtstag von André Franquin bringt der Carlsen-Verlag mehrere Bände heraus: Übers Jahr verteilt erscheinen die acht Bände seiner "Spirou und Fantasio"-Serie in neuer Überarbeitung. Außerdem erscheint eine Deluxe-Ausgabe des Spirou-Gaston-Crossovers "Die Bravo Brothers". Am 27. Februar folgt die Marsupilami-Story "Ein Nest im Urwald" neu unter dem Titel "Huba - eine Liebesgeschichte".
"Gaston: Aus dem Leben eines Chaoten" (ab 8.1.) ist der erste deutsche Nachdruck eines Taschenbuchs, das 1965 in Frankreich veröffentlicht wurde. Die Strips sind zwar aus Alben bekannt, wurden aber von Franquin für diese Ausgabe neu gezeichnet.
"Schwarze Gedanken" erscheint am 31. Januar erstmals in einer vollständigen Gesamtausgabe.
Außerdem hat der deutsche Künstler Flix bereits vor einigen Jahren zwei Bände mit Franquin-Figuren veröffentlicht: "Spirou in Berlin" und "Das Humboldt-Tier: Ein Marsupilami-Abenteuer".