André Kubiczek: Skizze eines Sommers
Rowohlt Berlin Verlag, 19,95 Euro
Die letzten großen Ferien vor dem Internat
In dem Roman "Skizze eines Sommers" hat der 16-jährige René die ganzen Ferien sturmfreie Bude. André Kubiczek erzählt einfühlsam von ein paar Jugendlichen in den 80er-Jahren im Potsdam zu Mauerzeiten. Von ihren Melancholieanfällen und ersten Lieben. Frei von Ostalgie.
Zu Beginn von André Kubiczeks Roman "Skizze eines Sommers" glaubt man sich in einer seltsamen Zeitschleife zu befinden. Nicht, weil die Handlung ganz offensichtlich in der DDR vor dem Mauerfall angesiedelt ist, in den mittleren 80er-Jahren, sondern weil die große Zeit der DDR-Kindheits- und Jugenderinnerungen schon etwas zurückliegt, gute 15, 16 Jahre.
Anfang des neuen Jahrtausends war es, als die autobiografisch motivierten Romane und erzählenden Sachbücher reihenweise von sehr jungen Autoren und Autorinnen geschrieben wurden, man denke nur an Jana Hensels "Zonenkinder", Falko Hennigs "Trabanten", Jana Simons "Denn wir sind anders" oder Jochen Schmidts "Triumphgemüse". Oder eben auch an André Kubiczeks Debütroman "Junge Talente". Dieser erzählt von einem jungen Mann aus einem Ostharzer Städtchen, der sich ein paar Jahre vor der Wende auf in die Großstadt macht, in ein Ost-Berlin voller Punks, alternder Hippies, Dandies und Flygirls, mit Musik von den Smiths, Killing Joke oder New Model Army.
Noch mehr Musik, weniger skurrile Typen
Tatsächlich ist sich André Kubiczek mit seinem bisherigen Romanwerk sehr treu geblieben. Auch spätere Romane von ihm behandeln den Zeitraum um die deutsche Wende herum: die paar Jahre davor, die paar wilden, ungeordneten Jahre danach, zuletzt in "Das fabelhafte Jahr der Anarchie". Insofern ist das Sujet von "Skizze eines Sommers" gar nicht so erstaunlich, schließt der Roman geradezu einen Kreis zu "Junge Talente", mit noch mehr Musik, noch mehr Coming-Of-Age, allerdings mit weniger skurrilen Typen, denn die Heranwachsenden aus der Umgebung des 16-jährigen Ich-Erzählers René sind allesamt brav und sympathisch.
René lebt zusammen mit seinem Vater in einer Potsdamer Neubausiedlung. Die Mutter ist gestorben, und in diesem Sommer muss der Vater die ganzen Schulferien seines Sohnes über beruflich nach Genf. René ist also allein zu Haus. Die Mutter seines Freundes Mario von oben kocht ein bisschen für ihn, ansonsten kommt er jedoch gut klar, es sind schließlich die letzten Ferien, bevor er ins Internat nach Halle muss.
Dekadente Lektüren
Nach und nach lernt man Renés Freundeskreis kennen: Michael und Dirk, die wie René am liebsten Baudelaire, Rimbaud oder Huysmans lesen (nur sind die Bücher dieser Autoren in der DDR schwer zu erwerben, zu "dekadent") sowie Mario, der ein Frauenschwarm ist, aber kein Intellektueller. Und dann sind da die Mädchen, in die René sich verliebt oder die sich in ihn verlieben: Bianca und ihre Freundin Connie, Rebecca und Victoria, sie alle mit den unterschiedlichsten sozialen Hintergründen. Dazu kommen das "Orion", eine Disco, ein paar Potsdamer Cafés und die schönen Grünanlagen der Schlösserstadt.
Nein, spektakulär ist das nicht: Kubiczek erzählt vom Alltag von ein paar Jugendlichen in der DDR, mit Melancholieanfällen, ersten Lieben und Trennungen. Dazu läuft im Hintergrund ziemlich viel Musik von Prefab Sprout über Echo And The Bunnymen bis hin zu Durutti Column, an dessen Song "Sketch of a Summer" der Titel des Romans angelehnt ist, von Bands, die hier von René alle gegen den Mainstream in Stellung gebracht werden - wie man das damals als wackerer Subkultur-Anhänger damals so machte.
"Ein ganz schrecklicher Mist, wenn Ihr mich fragt"
Aber wie Kubiczek davon erzählt, das ist schon sehr besonders, wie er den Ton trifft, der oft rührend ist, aber nie über die Maßen sentimental. Die Dialoge sind stimmig, selbst die durchgängige Anrede des Lesers passt: "Ein ganz schrecklicher Mist, wenn Ihr mich fragt". Kubiczek versteht es gut, sich in die Gefühlswelten eines 16-Jährigen hineinzuversetzen. Kubiczek-Leser, gerade die seines autobiografischen Romans "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" dürften manches Deja-vu haben. Die verstorbene Mutter, der Potsdamer Schauplatz, die Großeltern im Harz, da lässt sich auch in diesem Roman so manche Spur in die Autobiografie des Autors verfolgen. Was aber eigentlich keine Rolle spielt, genauso wenig wie die DDR-Diktatur, die zwar ihre ersten Netze auswirft, aber noch keinen größeren Einfluss auf das Leben der Protagonisten ausübt.
"Skizze eines Sommers" ist bei aller Zeitgeschichte frei von Ostalgie, hat etwas Allgemeingültiges-Generationsübergreifendes, und von ziemlich nahe winken hier Wolfgang Herrndorfs "Tschick" und Bov Björgs "Auerhaus" herüber, deren literarische Qualität Kubiczek problemlos erreicht. Dazu kommt seine Ausdauer. Wenn Bücher wie "Skizze eines Sommers" dabei herauskommen, darf André Kubiczek sich gern auch die nächsten 20 Jahre mit der Zeit kurz vor und nach der Wende beschäftigen.
Korrekturhinweis: Wir haben die Überschrift geändert, da wir fälschlicherweise die Handlung des Buches im Sommer '89 wähnten. Tatsächlich spielt der Roman in den mittleren 80er-Jahren.