André Postert: "Kinderspiel, Glücksspiel, Kriegsspiel"

Spiele als Spiegel der Gesellschaft

"Kinderspiel, Glücksspiel, Kriegsspiel" von André Postert
Ansatz eines Jugendsachbuchs: "Kinderspiel, Glücksspiel, Kriegsspiel" von André Postert. © dtv-Verlagsgesellschaft/picture alliance/dpa/Foto: Helmut Meyer zur Capellen
Von Edelgard Abenstein · 10.01.2019
Puppen mit Pickelhaube, "Fang-den-Hut" mit Hakenkreuz auf dem Spielfeld, in Ghettos angefertigte Schachfiguren – in deutschen Kinderzimmern herrschte ehemals neben der Unterhaltung auch die Politik. Das neue Buch von André Postert erzählt davon.
Dass Spiele seit jeher ein Spiegel der Gesellschaft sind, weist der Historiker André Postert in seinem neuen Buch mit kurzen Ausblicken in die Geschichte nach. Schon in der Steinzeit haben Menschen ihre Gegenwart im Kinderspiel verkleinert nachgestellt; mit Friedrich dem Großen konnte man in Form einer winzigen Zinnfigur zu Pferde spielen; während der Französischen Revolution waren Mini-Guillotinen zum Köpfen von Püppchen im Einsatz.
Im Zentrum des Buches aber steht die Epoche zwischen der letzten Jahrhundertwende und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Von Holzeisenbahnen bis zu windschnittigen Blechautos, vom "Schwarzen Peter", der um 1900 als "einfältiger Wilder" auf den Quartettkarten prangte, bis er in den 20er Jahren zum Schornsteinfeger oder Jazzpianisten mutierte, von niedlichen Plüschsoldaten mit Rettungshunden an ihrer Seite bis zu martialischen Holzfiguren, die Kriegsgefangene abführen – Postert zeichnet anhand von Spielsachen plastisch den Wandel in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik nach.

"Geschichte in Geschichten"

Dabei folgt er dem didaktischen Ansatz eines Jugendsachbuchs, in dem "Geschichte in Geschichten" veranschaulicht wird. Er zieht eine Flut von Quellen heran, Inventar aus Volkskundemuseen, Tagebücher, Briefwechsel, aber auch Filme und Romane wie Fritz Langs "Mabuse" oder Falladas "Wolf unter Wölfen". Auch Walter Benjamin, zeitlebens ein Liebhaber von Kinderspielzeug und ganz nebenbei ein leidenschaftlicher Glücksspieler, wird aufgerufen - oder der Psychiater Hans Prinzhorn, der mit Gefängnisinsassen und traumatisierten Soldaten experimentierte, wie Spiele über "die Leere der Zeit" hinweghelfen.
Eine theoretische Grundierung aber fehlt. Was Psychologen, Philosophen, Mathematiker herausgefunden haben darüber, welche Rolle Gier, Neid oder Belehrungswille als Triebkräfte beim Spiel übernehmen, interessiert den Autor weniger. Außer altbekannten Erkenntnissen wie Schillers Diktum vom Menschen, der "nur da ganz Mensch ist, wo er spielt", tauchen Spieltheorien kaum auf.

Spiele sind nicht harmlos

Die aufschlussreichsten Funde kommen aus der Zeit der NS-Diktatur. Postert thematisiert eine Spielwarenindustrie, die ihre auf dem Weltmarkt einst führende Stellung nach der Wirtschaftskrise komplett eingebüßt hatte. Wie die beiden Marktführer in vorauseilendem Gehorsam Propaganda ins Kinderspiel einschleusten, weil sie sich Gewinne versprachen, schildert er eindrucksvoll: Die Puppenerfinderin Käthe Kruse, die mit dem Hitlerjungen "Friedebald" auf den Markt kam, der auch als SA-Püppchen zu haben war; im Hause Steiff wurde ein spezieller Polit-Bär hergestellt, mit Kulleraugen und Knopf im Ohr.
Unakademisch, was manchmal leider auf Kosten der Übersichtlichkeit geht, dafür umso detailreicher, weist das Buch mit einer Menge an überraschenden Geschichten nach, dass Spiele keineswegs immer harmlos sind.

André Postert: Kinderspiel, Glücksspiel, Kriegsspiel - Große Geschichte in kleinen Dingen 1900 - 1945
dtv-Verlagsgesellschaft, München 2018
400 Seiten, 26 Euro

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