Andrea Gerk und Moni Port: „Ich bin dann mal raus“

Das Gute am Prokrastinieren und Zuspätkommen

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Die Illustration von Moni Port im gemeinsam mit Andrea Gerk produzierten Buch "Ich bin da mal raus. Ideen gegen den Optimierungswahn" zeigt eine Frau, die inmitten eines chaotisch wirkenden Zimmers sitzt.
Lob des Nichtaufräumens: Andrea Gerk will in ihrem Buch neue Perspektiven bieten. © Andrea Gerk & Moni Port, Ich bin da mal raus, 2021 by Kein & Aber AG Zürich – Berlin
Moderation: Joachim Scholl |
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Aufräumen, Schritte zählen, Ernährungsregeln: Gegen Phänomene wie diese wenden sich Journalistin Andrea Gerk und Illustratorin Moni Port mit ihrem Buch "Ich bin dann mal raus". Ein Plädoyer für mehr Entspannung und neue Sichtweisen.
Warum unterziehen sich immer mehr Menschen einer Schönheitsoperation? Warum schnallen sich viele beim Joggen einen Tracker um, um Schritte, Puls und Herzschlag zu messen? Warum posten manche ihr frischserviertes superveganes Menü sofort auf Instagram? Mit Fragen wie diesen hat sich die Journalistin Andrea Gerk in ihrem neuen Buch "Ich bin dann mal raus – Ideen gegen den Optimierungswahn" gemeinsam mit der Illustratorin Moni Port beschäftigt.
Das Buch präsentiert fast 50 Maßnahmen in ebenso vielen Kapiteln, darunter Themen wie "Bis mittags im Bett liegen", "Nicht aufräumen", "Flecken sammeln statt Falten aufspritzen" oder "Das Handy ignorieren".

Körper, Ernährung, Schlaf - überall ist Perfektion gefragt

Entstanden sei das Buch aus einem Gespräch mit Moni Port. "Wir haben uns darüber unterhalten, dass uns aufgefallen war: Wo man hinkam, egal bei welchem Abendessen – das war noch vor Corona –, überall sprachen die Leute begeistert davon, wie toll sie angefangen haben zu entrümpeln, wie sehr das ihr Leben verändert hat, wie viel freier sie sich fühlen, nur weil sie mal aufgeräumt haben."
Zuerst sei die Idee gewesen, ein Buch gegen den Ordnungswahn zu machen. "Dann fiel uns aber auf: Eigentlich bezieht sich das auch ständig auf den Körper, auf die Ernährung, sogar beim Schlaf muss man perfekt funktionieren."
Sie hätten sich dann gefragt, warum das eigentlich so technisch und so fanatisch betrieben werde. Und warum es nicht stattdessen um moralisch-seelische Aspekte gehe. Denn gerade zu Beginn der Coronapandemie hätte man sich auch fragen können, erklärt Gerk: "Wie werde ich ein besserer Staatsbürger? Oder: Wie mache ich eine bessere Figur als Mensch?"
Wenn man sich Menschen ansehe, die viele toll finden, wie zum Beispiel Popstars, meint Gerk: "Wenn die immer erst mal die Abstellkammer aufgeräumt hätten, bevor sie einen coolen Song geschrieben hätten, dann sähe die Welt wahrscheinlich ziemlich leer aus."

Produktives Nichtstun und die Literatur

Das letzte Kapitel des Buchs ist überschrieben mit "Nichtstun – dolce far niente". Das ist gewissermaßen das, worauf vieles in dem Buch hinausläuft. "Hemmungslos zur Schau gestelltes Nichtstun ist out", diagnostiziert Gerk.
Als Kind habe sie erlebt, wie Frauen mit Lockenwicklern in den Haaren und einem Pott Kaffee sich über die Straße hinweg unterhielten. So etwas sehe man heute gar nicht mehr. "Dabei wissen wir, dass ohne Muße nichts entstehen kann." Wenn man zum Beispiel beim Schreiben nicht weiterkomme, mache man am besten erst mal Pause.
Das produktive Nichtstun hat einen großen Bezug zur Literatur. Sehr viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben darüber geschrieben. Der Autor Ralf Rothmann beispielsweise habe ihr erzählt, dass er immer mehr merke, dass das eigentlich Wichtige dann passiere, wenn man nicht schreibt, sondern spazieren geht oder auf der Couch liegt – und die Gedanken frei lässt.
Cover des Buchs "Ich bin da mal raus. Ideen gegen den Optimierungswahn" von Andrea Gerk mit Illustrationen von Moni Port auf einem orangefarbenen Pastellhintergrund
Wenn Andrea Gerk nicht selbst Bücher schreibt, ist sie auch als Moderatorin der "Lesart" bei Deutschlandfunk Kultur tätig.© Deutschlandradio / Kein & Aber Verlag
"Tatsächlich ist offenbar das Liegen fürs Schreiben ganz wichtig", erklärt Gerk. "Marcel Proust oder Colette haben eigentlich im Bett gelebt und da ihre wichtigsten Werke geschrieben."

Unpünktliche als Optimisten oder Ideentypen

Aber es gehe in dem Buch nicht um einen Aufruf zu Dingen wie Unpünktlichkeit, Völlerei oder zum Messietum, betont Gerk, "sondern um eine andere Perspektive darauf". Bei der Unpünktlichkeit könne die beispielsweise sein, dass – wie Psychologen sagten – Unpünktliche andere Dinge gut könnten.
"Manche sind totale Optimisten", so Gerk, "die schätzen einfach immer ihre Zeit noch als zu viel ein. Manche sind emotionale Ideentypen, denen ständig was Neues einfällt. Die verzetteln sich dann."
(abr)

Andrea Gerk und Moni Port (Illustrationen): "Ich bin da mal raus. Ideen gegen den Optimierungswahn"
Kein & Aber, Berlin 2021
288 Seiten, 15 Euro

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