Bloß nicht wieder "auf die Fresse" sagen!
Underdog aus Kiel gegen "sympathische Schnodderschnauze" aus der Eifel: Vor dem Sonderparteitag der SPD in Wiesbaden haben beide Kandidatinnen für den Parteivorsitz ihre Rolle gefunden. Die Politikberaterin Verena Köttker hat für beide noch letzte Tipps parat.
Ute Welty: Nach 44 Männern ist es dann doch Zeit für eine Frau. Gleich zwei bewerben sich um den Vorsitz der SPD, nämlich Fraktionschefin Andrea Nahles und Simone Lange, Oberbürgermeisterin in Flensburg. Und die war nicht ganz so begeistert, als es nicht zu einem gemeinsamen Kaffeetrinken kam.
Simone Lange: Ja, natürlich wurmt mich das, weil ich glaube, dass die SPD viel souveräner damit umgehen kann, dass es eben mehrere Kandidaten auf solche Positionen geben, und es ist immerhin das höchste Amt der SPD in Deutschland, und ich glaube, dass es der SPD gut ansteht zu zeigen, dass wir mehrere kluge Köpfe in dieser Partei haben.
Welty: Über Lange und Nahles entscheiden morgen die Delegierten auf dem Sonderparteitag in Wiesbaden, und die Zeit heute wollen wir noch einmal nutzen für die optimale Vorbereitung der Kandidatinnen, zusammen mit Verena Köttker, Chefin von "Köttker Kommunikation". Unweit des Kanzleramtes werden Politikerinnen und Politiker auch dahingehend beraten, wie sie kommunikativ am besten punkten können. Guten Morgen, Frau Köttker!
Verena Köttker: Guten Morgen, Frau Welty!
Langes Vorteil: die frischere Kandidatin
Welty: Andrea Nahles kennen wir ja schon seit Langem auf der bundespolitischen Bühne, Simone Lange noch nicht so sehr – was ist da Vorteil und was ist da Nachteil?
Köttker: Der Vorteil von Simone Lange ist, dass sie als frische Kandidatin wahrgenommen wird. In der SPD tobt ja ein Streit zwischen den Teilen der Partei, die eine strikte Erneuerung fordern, und denen, die sagen, wir müssen aber trotzdem regierungsfähig bleiben. Insofern stehen für diese beiden Richtungen auch die beiden Kandidatinnen Andrea Nahles und Simone Lange.
Für Simone Lange ist es natürlich so, dass die mangelnde Bekanntheit ihr jetzt bei dem Sammeln von Stimmen nicht unbedingt helfen wird. Sie muss sich viel stärker profilieren als Andrea Nahles, die ja jedem ein Begriff ist und mit der jeder was verbindet, aber natürlich im Zweifel auch was Negatives verbindet, also ist Simone Lange da unbelasteter.
Welty: Vor allem Andrea Nahles hat ja keine Scheu davor aufzufallen, die Beispiele sind durchaus zahlreich.
Andrea Nahles: Bätschi, sag ich dazu nur, und das wird ganz schön teuer, bätschi! – Und ab morgen kriegen sie in die Fresse. – Dadadi dada dadadadada dada dada da, ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt.
"Ein einfaches Mädchen vom Land"
Welty: Andrea Nahles mit einem durchaus ungewöhnlichen Auftritt im Bundestag. Was meinen Sie, Frau Köttker, raten Sie Nahles für ihre Bewerbungsrede morgen zur Mäßigung?
Köttker: Also ich würde ihr empfehlen, jetzt nicht wieder den Begriff "auf die Fresse" zu benutzen, aber sie muss natürlich auf die Zwölf hauen. Die Schnodderschnauze, die sie hat, das ist etwas, was sie ruhig behalten kann, weil das macht sie sympathisch. Sie ist ja ein einfaches Mädchen vom Land, ihr Vater war Maurer, sie lebt auf einem Bauernhof in der Eifel, und das kann sie ruhig beibehalten, dass man das auch durchscheinen sieht.
Es macht sie eher sympathisch, und das passt auch zur SPD, aber es darf dann nicht vulgär werden, und dieses "auf die Fresse" ist natürlich etwas, was eher als vulgär wahrgenommen wird. Nehmen wir mal an, sie will jetzt in drei Jahren auch als Kanzlerkandidatin dann antreten, dann muss sie natürlich auch staatsmännisch können, und deswegen muss sie da die Grenze finden zwischen, ich sag mal, sympathischer Schnodderschnauze und eben dann auch darüber hinauszugehen.
Welty: Wie sieht Ihre Empfehlung für Lange aus?
Köttker: Simone Lange macht das ehrlich gesagt relativ geschickt, finde ich, weil sie bringt sich ja so ein bisschen in diese Opferrolle, und das ist taktisch relativ klug, weil ihre Strategie ist es ja, Andrea Nahles als Teil des Gestrigen dastehen zu lassen, die die Dinge einer SPD, die die Dinge untereinander auskungelt.
Und da passt natürlich diese Opferrolle – die reden nicht mit mir, die da oben, ich da unten, ich steh für die Basis, ihr steht für die alte SPD – ziemlich gut rein, und sie hat Andrea Nahles damit ja auch in die Defensive gebracht, das heißt, sie musste darauf reagieren. Und jetzt ist Simone Lange ja ehemalige Kriminalbeamtin, und wahrscheinlich haben diese Kriminalbeamten eben einige Tricks auf Lager und sind einfach auch psychologisch geschult.
"Über die Debatte Mann/Frau sind wir hinweg"
Welty: Aber ist es denn tatsächlich klug, auf diese Opferrolle abzuzielen? Gehört das nicht auch zu einem Instrumentarium, das man klassischerweise auch als die Waffen einer Frau bezeichnet?
Köttker: Ja, wie gesagt, ich glaube, in der Strategie von Simone Lange, die Frau Nahles als Teil des Gestrigen darstellen will, passt das mit der Opferrolle in diese Strategie. Ansonsten würde ich das immer mit Nein beantworten, aber in dem Fall passt das, weil Simone Lange möchte ja gerne dafür stehen, dass sie Teil der Basis ist und für die Erneuerung der SPD steht. In ihrer Rede jetzt wird es auch darum gehen, Nahles zu unterstellen, dass sie das eben nicht kann, weil sie zur alten SPD gehört. Und dieses Thema "Waffen einer Frau", da tue ich mich ein bisschen schwer mit, weil man würde das jetzt bei Angela Merkel ja auch nicht diskutieren.
Welty: Die SPD ist ja nicht die erste Partei unter der Führung einer Frau, die CDU – Sie haben gerade Angela Merkel schon erwähnt – macht diese Erfahrung seit vielen Jahren. Auf welche Effekte kann oder muss sich die SPD einstellen?
Köttker: Auf welche Effekte?
Welty: Ja, durch die Führung einer Frau.
Köttker: Ich glaube ehrlich gesagt, dass wir über diese Debatte Mann/Frau hinweg sind. Also wenn Sie sich angucken, wir haben jetzt hier zwei Frauen, die um den Parteivorsitz kandidieren, wir haben in der CDU eine Frau als Parteivorsitzende, das Kuriosum ist ja ehrlich gesagt inzwischen eher die CSU mit Horst Seehofer. Ich glaube, diese Debatte Mann/Frau ist überholt heutzutage, es geht eher darum, wer ist der richtige Kandidat, um die Partei neu auszurichten, und diese Frage würde ich eher diskutieren.
Welty: Vor dem SPD-Sonderparteitag in Wiesbaden Verena Köttker im "Studio 9"-Gespräch, Chefin von Köttker Kommunikation. Frau Köttker, herzlichen Dank!
Köttker: Vielen Dank, Frau Welty, schönen Tag noch!
Welty: Ihnen auch!
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