Andreas Eckert: "Geschichte der Sklaverei. Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert"
Beck Verlag, München 2021
128 Seiten, 9,95 Euro
Menschen als "Wegwerfware"
06:04 Minuten
Über elf Millionen Menschen wurden zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert wie Waren über den Atlantik verschifft. In seiner „Geschichte der Sklaverei" zeigt Andreas Eckert, dass es Sklaverei auch nach ihrer Abschaffung noch gibt - und durch alle Epochen hinweg gab.
Bei dem Wort "Sklaven" haben wir in der Regel Bilder von Schwarzafrikanern auf amerikanischen Südstaaten-Plantagen vor Augen. Wir denken an einen in ferner Vergangenheit liegenden Zeitabschnitt. Offiziell ist die Sklaverei abgeschafft und nicht mehr erlaubt – wenngleich sich einzelne Länder mit dem Verbot Zeit ließen, Mauretanien etwa wartete bis 1980.
Doch de facto ist die Versklavung anderer Menschen auch heute weit verbreitet. Anders als in früheren Zeiten geschieht sie vielerorts meist im Verborgenen. Über 40 Millionen Menschen, vor allem Kinder und Frauen, leben gegenwärtig laut dem Global Slavery Index in "moderner Sklaverei". Dazu zählen Zwangsarbeit, Zwangsprostitution und häusliche Knechtschaft.
Menschen, wie Waren be- und gehandelt
Die meisten in sklavenartige Verhältnisse gezwungenen Menschen werden in Asien und in afrikanischen Ländern südlich der Sahara verortet. Aber auch in Europa werden Menschen nach wie vor wie Waren behandelt und gehandelt.
"Heute gibt es keine Besitzurkunden oder Kaufverträge über Sklaven, sondern gefälschte Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. Sklaven in diesem Jahrhundert sind im Gegensatz etwa zu den Hochzeiten der atlantischen Sklaverei billig und daher 'Wegwerfware'. Sie können jederzeit ersetzt werden."
Das schreibt Andreas Eckert am Ende seines schmalen Buches zur Geschichte der Sklaverei. Gegenwärtige Verhältnisse werden darin nur gestreift. Dem Historiker und Afrikaspezialisten geht es um einen Überblick über ein trauriges und beständiges Phänomen der Menschheitsgeschichte.
Durch alle Epochen hinweg
Sklaverei war, wie Eckert festhält, keineswegs eine Ausnahme, sondern im Gegenteil nahezu über alle Epochen hinweg und auf allen Kontinenten die Regel. Der Autor vermutet, dass die Versklavung anderer wohl schon mit der Sesshaftwerdung der Menschen einsetzt. Er konzentriert sich auf die Antike und den atlantischen Raum, also auf "klassische Beispiele" für Sklavereiverhältnisse. Ihn interessiert, welche Bedeutung Sklavenarbeit zu verschiedenen Zeiten zukam.
Mit Blick auf die athenische Demokratie hält er fest: "Es weist einiges darauf hin, dass diese Demokratie ohne massenhafte Sklaverei nicht funktionsfähig gewesen wäre. Angesichts ihrer reichhaltigen Verfahrensregeln und vielfältigen Partizipationsformen konnte die athenische Demokratie ohne ein beträchtliches wirtschaftliches Surplus nicht existieren", schreibt Eckert in seinem Buch.
"Dieses wurde durch die Ausbeutung von Sklavenarbeit produziert, da die männlichen Vollbürger, die eine Minderheit der Bevölkerung darstellten, ja für Volksversammlungen, Gerichtstagungen und Feste freizustellen waren. (...) Die verbreitete Abneigung gegen Lohnarbeit, die selbst arme freie Athener zu stark an Knechtschaft gemahnte, sorgte dafür, dass sklavische Hausarbeit konkurrenzlos blieb."
Ausbeutung und Handelskapitalismus
Treibende Kraft hinter dem Sklavenhandel über den Atlantik war der westeuropäische Handelskapitalismus. Die Plantagenökonomien, die in der "Neuen Welt" etabliert wurden, gründeten auf der Ausbeutung von aus Afrika exportierten schwarzen Zwangsarbeitern. Der Anbau von Zucker in Lateinamerika und der Karibik, von Tabak und Baumwolle in Nordamerika verlangte nach einer stetigen Zufuhr von Arbeitskräften.
So entwickelte sich eine der umfassendsten Zwangsmigrationen der Weltgeschichte, über elf Millionen Menschen wurden zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert wie Waren über den Atlantik verschifft. Auf jeden Einwanderer aus Europa kamen zwei Sklaven aus Afrika.
"Die Sklavenplantage war das Resultat eines traditionslosen Kombinationsexperiments, bei dem Amerika den Produktionsfaktor Boden, Europa Startkapital und Organisationsmacht und Afrika die Arbeitskräfte bereitstellte", schreibt Eckert in seinem Buch.
"Und sie steht dafür, dass der Kapitalismus, wie Karl Marx hervorhob, blutig und schmutzig zur Welt gekommen ist. Die Plantagenwirtschaft führte etwa vor, dass der Kapitalismus – und dies gilt nicht nur für die Phase seiner Durchsetzung, sondern bis heute – mit extrem unfreien Arbeitsformen vereinbar ist."
Verbot bedeutete nicht das Ende der Sklaverei
Die Amerikanische Revolution führte keineswegs zur Abschaffung der Sklavenarbeit. In den folgenden Jahren wurden sogar mehr Afrikaner nach Nordamerika verschleppt. Die Südstaaten erlebten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein "Goldenes Zeitalter" der Sklaverei. Mit der Frühindustrialisierung in Europa wuchs der Bedarf an Baumwolle.
Das Verbot des Sklavenhandels durch Großbritannien im Jahr 1807, für das Eckert einen Mix aus politischen, ideologischen und ökonomischen Faktoren verantwortlich macht, war mithin nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Sklaverei. In Afrika wurden die Einheimischen von den europäischen Kolonialmächten noch im 20. Jahrhundert etwa als Hausdiener oder Lastenträger ausgebeutet.
Andreas Eckerts informative Darstellung konzentriert sich auf ökonomische Strukturen, die Schicksale der betroffenen Menschen kommen selten zur Sprache. Anschaulichkeit und Lebendigkeit bleiben so leider allzu oft auf der Strecke. Trotzdem lohnt sich die Lektüre: Eckerts Buch bietet eine komprimierte Darstellung auf knappem Raum und öffnet die Augen für erzwungene Abhängigkeitsverhältnisse bis in unsere Gegenwart.