"Stellt euch vor, die Nazis hätten unsere Computertechnik gehabt"
Andreas Eschbach hat ein Buch über die Kombination Digitale Medien und Nationalsozialismus geschrieben. "Ich wollte mir das immer ausmalen, wie das ist. Und weil es kein anderer getan hat, musste ich es selber tun", so der Autor.
Frank Meyer: Wenn es in Nazi-Deutschland schon Computer gegeben hätte, wenn es schon das Internet gegeben hätte, und E-Mails und Mobiltelefone und soziale Medien, was wäre dann passiert? Hätte es dann noch Widerstand gegen die Nazis geben können? Wäre jeder mit einer abweichenden Meinung aufgespürt worden? Über solche Fragen schreibt der Autor Andreas Eschbach in seinem Roman "NSA – Nationales Sicherheitsamt". Das ist ein mächtiges Buch mit knapp 800 Seiten, im Lübbe-Verlag ist es erschienen. Andreas Eschbach hat schon mehrere Bestseller veröffentlicht, auch im Ausland werden die viel gelesen. Er ist einer der bekanntesten Science-Fiction-Autoren in Deutschland. Jetzt ist er in Ulm für uns im Studio.
Guten Tag, Herr Eschbach!
Andreas Eschbach: Guten Tag!
Meyer: Sie haben mal über Ihre Themenauswahl gesagt, Herr Eschbach, "Ich schreibe immer das Buch, das ich selbst lesen will." Warum wollten Sie jetzt ein Buch über die Kombination Digitale Medien und Nationalsozialismus lesen?
Eschbach: Ich wollte mir das ausmalen, wie das ist. Und weil es kein anderer getan hat, musste ich es selber tun, weil mir das in den Diskussionen immer ein bisschen zu früh abgebrochen hat. Viele Leute können sich beim Thema Überwachung nichts Schlimmeres vorstellen, als dass ihnen irgendein großer Internethändler anbietet, die sie auch haben wollen. Und da habe ich dann immer gesagt, nee, nee, das ist noch nicht das Schlimmste, was passieren kann. Und was wäre denn das Schlimmste? Hab ich gesagt, ja, stellt euch mal vor, wenn die Nazis schon unsere Computertechnik gehabt hätten. Und als ich das mal in einer Diskussion gesagt habe, habe ich innegehalten und gedacht, das ist ein Buch.
Meyer: Und wie ist das in Ihrer Fiktion jetzt, sind die Nazis richtig große Fans der neuen Technologien? Wahrscheinlich.
Nicht wirklich ein Roman über die Nazizeit
Eschbach: Ich male das eben aus, was dann dieses Nationale Sicherheitsamt – das hilft dann beim Aufspüren von irgendwelchen Flüchtigen und so. Und Leute mit missliebiger Meinung, die irgendwann mal was gegen den Führer gesagt haben, und sei es vor zehn Jahren – das ist ja, was diese elektronischen Medien auszeichnet, alles, was Sie jemals gesagt haben, kann gegen Sie verwendet werden, wenn sich der Wind in der Regierung dreht. Und das wird auch getan. Und eigentlich ist es, muss man, glaube ich, sagen, es ist eigentlich nicht wirklich ein Roman über die Nazizeit, sondern man kann die Frage ja auch umgekehrt stellen: Was wäre, wenn unsere heutige Technik in die Hände einer totalitär gesinnten Regierung fiele. Und dass das mal wieder passiert, ist ja heute nicht so unvorstellbar.
Meyer: Das ist wohl wahr, wenn wir die Entwicklung in mehreren europäischen Ländern anschauen. Wie haben Sie das dann aufgebaut? Wie funktioniert bei Ihnen die digitale Überwachung, in Ihrer Fiktion, da in den 1940er-Jahren? Ist das im Prinzip das, was wir heute schon erleben, oder mussten Sie das noch weiter ausbauen?
Eschbach: Nein, das ist das, was wir heute haben. Ich habe einfach nur die Erfindung des Computers zurückdatiert. Da gab es interessanterweise auch einen historischen Moment, wo das hätte passieren können. Als ein gewisser Charles Babbage in England versucht hat, einen mechanischen Computer zu bauen. Der hätte also mit Dampfkraft und Lochkarten funktioniert. Er war etwas sprunghaft, der gute Mann hat sich dann die Finanzierung des Staates verscherzt, indem er Projekte abgebrochen hat und so weiter. Da ist nichts draus geworden, aber das wäre so ein Anknüpfungspunkt gewesen, da hätte viel passieren können. Und dann ist einfach alles, was wir heute kennen, einfach früher passiert, und es gibt das "Volkstelefon", also das Mobiltelefon für jedermann. Und es gibt das "Weltnetz" und "Elektropost" und dergleichen mehr.
Meyer: Sie haben also auch alle Begriffe eingedeutscht, die wir heute eher im Englischen kennen. Bei Ihnen werden auch Anne Frank und die Widerstandsgruppe um Sophie Scholl durch die digitalen Überwachungsmöglichkeiten aufgespürt. Wie kommt es dazu?
Erkenntnisse über jemanden via Daten
Eschbach: Ein Punkt, den sich die meisten nicht klarmachen, ist, dass man auch relativ harmlose Daten, wenn man sie geschickt miteinander verknüpft, dazu verwenden kann, um Erkenntnisse über jemanden oder etwas zu gewinnen, was man dem so nicht ansieht. In der Einstiegsszene, in der die Familie Frank aufgespürt wird, geschieht das über den erhöhten Kalorienbedarf, den diejenigen, die die versteckt haben, in ihren Einkäufen dokumentiert haben. Man muss dazusagen, es ist auch das Bargeld abgeschafft – das ist auch ein sehr nützliches Mittel für eine Diktatur –, sodass man genau weiß, was jeder gekauft hat. Und man kann jetzt diese Einkäufe umrechnen, was sind das für Artikel? Wenn es Lebensmittel sind, wie viele Kalorien haben die? Und wenn sich dann eben rausstellt, jemand kauft viel mehr Kalorien, als er selbst verzehren kann, dann werden die eben aufmerksam und sagen, halt, wen versteckt der da?
Meyer: Ihre Hauptfigur, die ganz maßgeblich auch an solchen Programmen mitwirkt, das ist eine begeisterte Programmiererin, Helene Bodenkamp heißt sie. Eine "Programmstrickerin" in der Sprache Ihres Buches. Das ist aber keine hundertprozentige Anhängerin der Nazis, oder?
Eschbach: Nein, die ist ganz normale Bürgerin, die halt einen Job macht und in diesem Amt angefangen hat und sich da nicht weiter drüber Gedanken macht. Ein Mensch wie du und ich praktisch.
Meyer: Und dann zeigen Sie mit dieser Figur auch, wie eine unreflektierte Begeisterung für die digitalen Möglichkeiten die übelsten Folgen haben kann?
Eschbach: Die Begeisterung dafür ist gar keine Voraussetzung. Es reicht, wenn die Daten da sind und jemand sagt, so, die werten wir jetzt aus. Ob man das begeistert tut oder nicht, das spielt keine Rolle. Für sie ist das einfach ein Job, und ins Zweifeln kommt sie erst, als sie eben in persönliche Konflikte gerät und sie selbst jemand verstecken möchte.
Meyer: Und dass eine Frau hier die Programme schreibt und dass Sie diese Frau in den Mittelpunkt stellen, ist das aber auch auf der anderen Seite so eine Art Verbeugung vor der Rolle, die Frauen gespielt haben in der Geschichte des Computers und der Programmierung?
Eschbach: Die Idee kam mir, als ich eben bei Charles Babbage angefangen habe. Damals war es so, dass er mit einer englischen Mathematikerin zusammengearbeitet hat, Ada Lovelace, die so als die Urmutter des Programmierens überhaupt gilt, die also die wesentlichen Elemente des Programmierens, Schleifen, Verzweigungen und so weiter, das hat sie sich alles ausgedacht. Sie hat auch schon erkannt, dass man mit einem Computer nicht nur rechnen kann, sondern man kann auch, so hat sie schon geschrieben, Bilder in Zahlen umrechnen, diese Zahlen manipulieren und daraus Erkenntnisse gewinnen. Oder Musik, und so weiter. Und wenn das damals angefangen hätte, dann wäre so eine Arbeitsteilung – die Männer für die Hardware, die Frauen für die Software – eine natürliche Entwicklung gewesen.
Meyer: Sie haben ja vorhin schon gesagt, es macht sie so ein bisschen fassungslos, dass die meisten Leute sich bei diesen Überwachungsfragen nur vorstellen können, sie kriegen dann von den Großkonzernen unerwünschte Werbung oder auch unerwünschte Produkte. Eine Grundlage dieser Entwicklung, die Sie ja auch beschreiben in Ihrem Roman, ist ja die Sorglosigkeit, mit der die meisten Leute ihre Daten herschenken, auch wenn man es vermeiden könnte. Man muss ja zum Beispiel nicht mit Google suchen. Was löst das in Ihnen aus, diese Sorglosigkeit – was ja auch ein Antrieb war sicher für dieses Buch? Macht Sie das fassungslos, macht Sie das wütend?
"Wir sind in einem ziemlichen Schlingerkurs unterwegs"
Eschbach: Nein, ich kann es verstehen. Weil im Moment gibt es ja nichts so Dramatisches zu befürchten. Aber man weiß halt nicht, was kommt. Und wir haben jetzt in letzter Zeit gesehen, es ist keineswegs so, dass wir auf unverrückbaren Schienen hin zu immer mehr Menschenrechten und immer mehr Freiheit fahren, sondern dass wir in einem ziemlichen Schlingerkurs unterwegs sind. Und da fehlt dann einfach das Vorstellungsvermögen. Wenn ich zum Beispiel höre, dass anscheinend vernünftige Leute für die Abschaffung des Bargelds plädieren, da sage ich, Leute, ihr könnt euch nicht vorstellen, was für eine Katastrophe ihr damit möglicherweise heraufbeschwört.
Meyer: Und diese Fantasie befeuern Sie ja jetzt mit Ihrem Roman. Was würden Sie sich denn wünschen, wie wir anders umgehen mit den digitalen Medien, den digitalen Möglichkeiten?
Eschbach: Man müsste das zunächst mal auf einer ganz anderen Basis diskutieren. Da müssten dann Gespräche in Gang kommen, die darüber hinausgehen, welches Betriebssystem man verwendet oder ob jetzt Google gut oder böse ist, sondern einfach ein bisschen ein Verständnis dafür wecken, mit was wir es da zu tun haben eigentlich. Ungefähr auf dem Level, wie wir zum Beispiel imstande sind, über Autos zu diskutieren, so müsste man über Daten diskutieren können. Ich versuche einfach, mit diesem Buch ein bisschen eine Vorstellungswelt zu schaffen, was theoretisch möglich ist.
Meyer: Ich hab es vorhin schon gesagt, Sie haben ja schon diverse Bestseller geschrieben. Sie haben für die "Perry-Rhodan"-Reihe geschrieben. Es gibt einen Roman von Ihnen, "Ausgebrannt" heißt der, da haben Sie ein Zukunftsszenario entworfen über eine Welt nach dem Ende des Ölzeitalters. Dieses neue Buch nun, diese böse, finstere Fiktion von der Nazizeit mit digitalen Möglichkeiten, ist das in Ihrem Werk für Sie eigentlich ein neues Kapitel, oder setzen Sie etwas fort, was Sie in anderen Büchern auch in anderer Weise gemacht haben?
Eschbach: Über so Sachen denke ich eigentlich nicht nach. Für mich ist jedes Buch ein neues Buch, und es beginnt eigentlich immer mit einer Idee, die mich nicht loslässt. Und dann überlege ich nicht, ob das jetzt eine Weiterentwicklung oder eine – wie das jetzt ins Gesamtbild passt, sondern ich überlege bloß, ob ich ein Jahr meines Lebens dran verwenden will, das Buch zu schreiben. Und wenn ja, dann schreibe ich es. Und es wird mir oft vorgehalten, dass meine Bücher immer so anders seien – das kommt eben daher, dass ich mich sozusagen ganz der Idee unterwerfe, die da zu mir kommt.
Meyer: "NSA – Nationales Sicherheits-Amt", so heißt das neue Buch von Andreas Eschbach. Im Lübbe-Verlag erschienen mit 796 Seiten, 22 Euro ist der Preis. Herr Eschbach, vielen Dank für das Gespräch!
Eschbach: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.