Andreas Lesti: "Das ist doch der Gipfel. Geschichten von den Bergen der Welt"
Bergwelten Verlag, Elsbethen 2020
144 Seiten, 13,99 Euro
Nur ganz oben warten Ruhm, Ehre und Glück
05:47 Minuten
Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein waren die Berge ein Ort des Schreckens: Kälte, Eis und Lawinen. Wie sich die Berge zum Sehnsuchtsort entwickelten, beschreibt der Journalist Andreas Lesti in 15 spannenden Porträts.
Porträts, weil es mutige Männer und Frauen waren, die wissen wollten, wie es im nächsten Tal aussah und auch auf den Gipfeln. So der bretonische Schiffsjunge und spätere Arzt Belsazar Hacquet, der ab 1775 zahllose Gipfel in den Westalpen bezwang, dabei Gehzeiten, Geländeschwierigkeiten und die Naturschönheiten beschrieb und einer der ersten Bergführer war.
Mit Gipfelstürmern durch die Zeit
Andere stiegen blauäugig in die Berge, ohne Kenntnis der Gefahr: Goethe zum Beispiel. Der Dichter überschritt mit Gefährten im November 1779, viel zu spät im Jahr, den 2429 Meter hohen unbefestigten Furkapass – auf der Passhöhe versanken die Männer bis zur Hüfte im Tiefschnee. Gefährdet durch Lawinen, ohne Steigeisen, ohne passende Kleidung, aber mit viel Glück retteten sie sich ins nächste Dorf.
Andreas Lesti folgt den Gipfelstürmern durch die Zeiten. Er begleitet Humboldt auf den Teide und den Chimborazo und die österreichischen Schlaginweit-Brüder auf ihrer Expedition Mitte der 1850er Jahre durch Nordindien, wo sie in drei Jahren fast 30.000 Kilometer zurücklegten, neue Höhenrekorde aufstellen und obsessiv und wahllos sammelten: 40.000 Objekte sandten sie nach Europa; die wissenschaftliche Aufarbeitung blieb aus.
Frau gegen Frau am Berg
Und er berichtet vom Wettstreit der Amerikanerin Meta Brevoort, die immer mit ihrem Hund die Berge bestieg, und der am 21. Juli 1871 siegreichen Engländerin Lucy Walker - darum, wer als erste Frau auf dem Gipfel des Matterhorn stehen würde.
Trotz dieser frühen Gipfelstürmerinnen dauerte es aber bis in die 1980er Jahre, bis eine Frau wirklich in die Männerdomäne des hochalpinen Bergsteigens einbrach: Die Polin Wanda Rutkiewicz erklomm bis 1992 acht Achttausender und wollte die fehlenden sechs innerhalb eines Jahres besteigen. Ihr Traum endete tödlich, am Kangchendzönga auf 8300 Meter Höhe.
Kenntnisreich und lebendig
Manche Texte atmen den Geist der Berge, und beim Lesen spürt man, dass der Journalist selbst vor Ort war und die beschriebenen Regionen und Menschen gut kennt. In anderen erzählt der Autor geschickt, spannend und bilderreich Reiseberichte nach.
Nicht alle sind wirklich tiefschürfende Porträts: Das der Engländerin Jemima Morell, die im Juli 1863 mit der ersten Thomas-Cook-Reisegruppe zum Rigi kam, dient eher dazu, den beginnenden Tourismus in der Schweiz zu beschreiben – und die damals schon laut werdende Kritik. Und das Porträt über den Satanisten Aleister Crowley, der 1902 zum K2 reiste, soll wohl eher einen besonderen Farbtupfer setzen, denn Crowleys Bedeutung für den Alpinismus ist eher gering.
Dennoch gelingt Andreas Lesti mit seinen Porträts zweierlei: Er liefert eine zwar nicht abgeschlossene, aber kenntnisreiche und sehr lesenswerte, lebendige Geschichte der Eroberung der Berggipfel, und er löst einen Impuls aus: hinauf auf den nächsten Berg – und sei der nur eine Endmoräne im Flachland.