Andreas Platthaus: "Auf den Palisaden. Amerikanisches Tagebuch"

302 Häuser auf der Joggingstrecke

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Buchcover von Andreas Platthaus "Auf den Palisaden. Amerikanisches Tagebuch", Rowohlt, Berlin 2020.
Andreas Platthaus liefert auf 416 Seiten viele wunderbare Beobachtungen, aber auch manch überflüssiges Detail seines Stipendiatendaseins in Kalifornien. © Rowohlt
Von Tabea Grzeszyk |
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Andreas Platthaus hat einige Monate im Thomas Mann-Haus in Los Angeles gewohnt und Tagebuch geschrieben. Er liefert präzise Beobachtungen aus einem extrem gespaltenen Land - erwähnt aber auch viel Nebensächliches. So ist das Buch nur ein durchwachsenes Lesevergnügen.
"Die Fellows sollen nicht im Schatten der Palmen von Pacific Palisades liegen, sondern auf den Palisaden stehen", erklärt Andreas Platthaus den Titel seines amerikanischen Tagebuchs "Auf den Palisaden". Der Leiter des Literaturressorts der Frankfurter Allgemeinen Zeitung residierte von April bis Juli 2019 als Fellow im Thomas Mann-Haus in Los Angeles, untergebracht im ehemaligen Schlafzimmer des Literaturnobelpreisträgers.

Nah dran an Thomas Mann

Thomas Mann lebte von 1941 bis 1952 in Kalifornien, in unmittelbarer Nähe zu weiteren deutschen Intellektuellen wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Lion Feuchtwanger, Hanns Eisler oder Arno Schönberg. Das Wohnviertel Pacific Palisades gilt bis heute als "Mythos des deutschen Exils".
Auf diesen prominenten Spuren bewegte sich Andreas Platthaus während seiner Recherchen für ein Buch über den deutschamerikanischen Künstler Lyonel Feininger – und hat darüber zugleich eifrig Tagebuch geführt.

Im Alltag das große Ganze

Natürlich ist Platthaus ein wunderbar präziser Beobachter und souveräner Erzähler, der in kleinsten Alltagsphänomenen das große Ganze aufblitzen lassen kann. Etwa wenn er den "Kikiz Food Delivery"-Lieferwagen beschreibt, aus dem heraus zwei Frauen werktags hispanische Bauarbeiter mit deftigem Frühstück versorgen, und uns damit die Parallelwelt mexikanischer Arbeiter inmitten eines sich abschottenden Amerikas vor Augen führt. Doch war es wirklich nötig, jeden einzelnen der 124 Tage im Residenzhaus schriftlich festzuhalten und zu veröffentlichen?
Blättert man durch das umfangreiche Tagebuch, so entpuppt sich nicht jeder Eintrag als literarischer Geniestreich. Im Kapitel "29. Juni" fragt man sich gar, ob Fellow Platthaus unter Lagerkoller leidet, als er sich unter der kalifornischen Sonne über den Geruch einer Rasenverlegung ereifert: "Erstaunlich, was für eine olfaktorische Belästigung frischverlegter Rasen bedeuten kann. Selten hat man meiner Nase einen derartigen Tort angetan. Ich fliehe aus dem Thomas Mann House, dessen letzte Gartenbrache gerade begrünt wird."

Ist Frühsport wirklich wichtig?

Tatsächlich klafft so manche Langeweile zwischen den Buchdeckeln. Leserinnen und Leser folgen Platthaus bei seinen täglichen Freizeitbeschäftigungen, etwa dem morgendlichen Frühsport ("Auf meiner Werktags-Laufstrecke durch das Riviera-Wohngebiet von etwa sechs Kilometern Länge komme ich an exakt 302 Häusern vorbei"), bei seinem Ausflug zur San Andreas Spalte ("Wo hat man denn schon einmal eine natürliche Gefahr, die so heißt wie man selbst?") oder während der Befragung des amerikanischen Sonderermittlers Robert Mueller im Kongress, die Platthaus live am Fernseher verfolgt ("Fast sieben Stunden ohne Überraschungen").
Dazwischen plaudert er mit prominenten Persönlichkeiten, geht ins Kino und besucht Museen, recherchiert im Getty-Institut oder lässt sich von Comic-Strip-Zitaten zum Besuch abgelegener Orte wie der "Dresden Room"-Lounge inspirieren. Bei aller Detailschärfe summieren sich die 416 Seiten Tagebuch auf diese Weise zu einem durchwachsenen Lesevergnügen.

Andreas Platthaus: Auf den Palisaden. Amerikanisches Tagebuch
Rowohlt, Berlin 2020
416 Seiten, 24 Euro

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