Andreas Platthaus über 60 Jahre "Flintstones"

"Die Simpsons wären ohne die Feuersteins nicht denkbar"

07:27 Minuten
Filmstill aus der Zeichentrickserie "The Flintstones": Barney Rubble, Fred Flintstone, Bam Bam Rubble, Dinosaurier Dino, Pebbles Flintstone, Wilma Flintstone und Betty.
Familie in Serie: Die "Flintstones" liefen ab 1960 im amerikanischen Fernsehen und haben noch immer jede Menge Fans. © Picture alliance / United Archives
Moderation: Liane von Billerbeck |
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Vor 60 Jahren lief die erste "Flintstones"-Folge im US-Fernsehen. Die Serie sei aus der Not heraus optisch eher schlicht konzipiert worden, sagt der Zeichentrick-Kenner Andreas Platthaus - und habe gerade dadurch eine Schule der Animation begründet.
Liane von Billerbeck: Therapeutisch gesprochen war diese Zeichentrickserie so eine Art Familienaufstellung: "The Flintstones". Die erste von 166 Folgen lief heute vor 60 Jahren erstmals im US-Fernsehen, als "Familie Feuerstein" fand die Serie auch in Deutschland ihr Publikum.

Steinzeitfamilien mit starken Frauen

Mein Gesprächspartner war auch darunter: Andreas Platthaus, im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben und dort der Experte für Comic, Graphic Novel und Zeichentrickfilm. Herr Platthaus, Väter cholerisch, Mütter besorgt und schwatzhaft: Auch wenn die Steinzeit schon etwas her ist, heute ginge das doch gar nicht mehr, oder?
Andreas Platthaus: Ganz so sicher würde ich mir da nicht sein. Erst einmal haben wir ja wieder Abziehbilder solcher Figuren in der aktuellen Politik in Amerika, das heißt, da würde man das durchaus als ironisch betrachten. Darüber hinaus würde ich die beiden Frauen in der Welt der Feuersteins, also Wilma und Betty, deutlich verteidigen. Bei allen sicherlich wenig emanzipierten Erscheinungsweisen sind sie die eigentlich starken Figuren in diesen Familien und dominieren ihre Männer ziemlich.

von Billerbeck: Einblicke in die Steinzeit bieten die "Flintstones" ja weniger, aber Einblicke in die Gesellschaft der 1960er-Jahre ja dann doch.
Platthaus: Unbedingt. Man muss sagen, dass, als diese Serie gestartet wurde, also 1960, die Babyboomer-Generation gerade im Entstehen war. Wir hatten diesen wahnsinnigen Geburtenüberschuss in den Vereinigten Staaten, relativ große Familien. Und die Familie war das Riesenthema des neuen Mediums, des Fernsehens, in den 1950er-Jahren.
Es gab da eine Sketchserie, "The Honeymooners", die war so erfolgreich, dass wer weiß wie viele Nachahmer auf den Plan gerufen wurden. Und da überlegten sich zwei Trickfilmer, die vorher vor allem für "Tom und Jerry" gearbeitet hatten, ob das nicht auch etwas wäre, was man in die Animationsschiene hineinbringen könnte.
Sie entwickelten diese Idee der "Familie Feuerstein", der "Flintstones": zwei miteinander befreundete Familien, bei denen sich aber eben alles in der Steinzeit abspielte. Damit bekam das Ganze natürlich eine ganz wunderbare skurrile Note, in der man Dinge erzählen konnte, die vielleicht in einer normalen Sketch-Serie im Fernsehen nicht so einfach möglich gewesen wären.

Aus der Not heraus schlicht angelegt

von Billerbeck: Die Sendung läuft momentan nirgends im Fernsehen, aber irgendwie ist es ja so, dass die Bilder dennoch sehr präsent sind. Wie haben die das geschafft?
Platthaus: Sie haben erst mal aus der Not heraus die ganze Sache schlichter anlegen müssen, als das in der Kino-Animation vorher der Fall war. Gerade wenn man an die frühen "Tom und Jerry"-Folgen, die die beiden Schöpfer Joseph Barbera und William Hanna produziert haben, denkt, dann hat man ausgesprochen aufwendige Gestaltungen, wunderbare Hintergrundzeichnungen und sehr dynamische Figuren im Kopf, während die "Flintstones", wenn man sich diese Bilder noch mal vor Augen ruft, dann doch eine sehr schematische Bewegungshaltung haben.
Szene aus der TV-Zeichentrickserie "Flintstones": Barney Rubble und Fred Flintstone unterhalten sich, Wilma Flintstone schneidet Brot mit einem Haifisch-Messer.
Fred Flintstone und Barney Rubble palavern, Wilma Flintstone macht - wenig emanzipiert - die Küchenarbeit. Im Großen und Ganzen hatte sie Fred aber unter Kontrolle.© picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Man merkt, da ist relativ billig produziert worden, man hat dieselben Sequenzen immer wieder genommen, die Hintergründe sind sehr schlicht gehalten, man konnte fürs Fernsehen einfach nicht so teuer produzieren. Das sollte halbwegs preiswert sein, wir reden hier über 166 Folgen insgesamt, es hätte auch einfach vom Aufwand her überhaupt nicht funktioniert, das im klassischen Kino-Metier zu machen.
Dementsprechend ist es etwas geworden, was sich aber gerade durch diese simple Erscheinungsweise weltweit fantastisch vermarkten ließ. In gewisser Weise ist damit eine Schule der Animation begründet worden, die heute immer noch im Riesenerfolg der "Simpsons" ihre späteste Auswirkung hat, und die "Simpsons" wären ohne die Feuersteins überhaupt nicht denkbar.

Der Presslufthammer in der Steinzeit

von Billerbeck: Die Zeichner haben sich damals schicke Maschinen ausgedacht, aus Knochen und Gestein. Inzwischen ist ja dieser spielerische Umgang mit der Vergangenheit selbst Vergangenheit, damals aber war das neu.
Platthaus: Damals war das ganz neu, und es ist, finde ich, auch immer wieder ganz interessant, dass zur gleichen Zeit in Europa "Asterix" als Comic erfunden wurde, also auch in gewisser Weise ein Gegenwartsporträt, das aber zurückgesetzt wurde in eine ferne Vergangenheit.
Das hatte tatsächlich damals offenkundig etwas, was gegen diese Hypermodernität der 1950er-Jahre in Stellung gebracht werden konnte und natürlich auch eine gewisse Art von Nostalgie erzeugte. Niemand von uns hat die Steinzeit gesehen, niemand von uns hat die Römerzeit gesehen, aber wir alle wissen natürlich eine Menge darüber, und irgendwie wirkt das dann doch wie eine vertraute Welt, weil ja auch gar nichts mehr daran verändert werden kann.
Das war, glaube ich, der große Kunstgriff, dass man in etwas, das wir alle in Grundzügen kannten, dann plötzlich unsere eigene Zeit hineinprojiziert hat und dann natürlich ganz skurrile Dinge machen kann. Steinzeitmaschinen, wie sie ja im Steinbruch der Feuersteins immer wieder zu sehen sind, das hat es natürlich nie gegeben. Aber es ist fantastisch, wenn man sich überlegt, dass das, was einem jeden Tag in der Gegenwart begegnet – sei es der Presslufthammer, sei es der Bagger, der auf der Baustelle rattert – einem dann plötzlich auch in einer Steinzeitserie über den Weg läuft.

Zeichentrick hatte es leichter als der Comic

von Billerbeck: Comics sind ja inzwischen zu Graphic Novels geadelt, anfangs galten sie ja noch als anrüchig, verdächtigt, den Untergang des Abendlandes zu beschleunigen. Musste sich auch der Zeichentrickfilm erst etablieren?
Platthaus: Nein, der hatte es leichter, und der hatte den Vorzug, dass über Walt Disney seit den 1930er-Jahren eine Art Mythos geschaffen worden ist, wo es hieß: Das ist eine neue, und zwar spezifisch amerikanische Kunstform, so dass das zumindest in den Vereinigten Staaten als allerhöchster ästhetischer Ausdruck der Gegenwart betrachtet wurde.
Es war durch das Geschick von Disney gelungen, das Ganze auf alle Generationen zu übertragen. Natürlich hat der Zeichentrick skurrilerweise begonnen als Erwachsenenmedium, weil das Ganze fürs Kino gedacht war, und Kinder gingen einfach nicht ins Kino in der Stummfilmzeit. Disney ist dann erst auf den Gedanken gekommen, daraus ein Familienphänomen zu machen.
Das ist übernommen worden und wurde gerade in den 1950er-Jahren mit der Hochschätzung der Familie in den Vereinigten Staaten, aber auch sonst auf der ganzen Welt, als überaus adäquater Kunstausdruck betrachtet. Die Comics dagegen galten witzigerweise immer als ein Bastard der Kultur, weil sie gegen die Literatur gesetzt wurden. Etwas Vergleichbares gab es im Film nicht. Der Film ist ein Medium sui generis, und dementsprechend hatte der sich nicht gegen irgendetwas bereits Bestehendes und vor allem Hochgeschätztes zu behaupten.

Im Trickfilmstudio machten Frauen die Zuarbeit

von Billerbeck: Sie haben es ja schon verraten, das waren zwei Zeichner: Da stand zwar "Hanna-Barbera" am Ende immer auf der Leinwand, aber das war keine Frau, sondern William Hanna und Joseph Barbera. War Zeichentrick damals Männersache?
Platthaus: Das kann man so generell nicht sagen, aber, ganz klar: An den verantwortlichen Positionen saßen dann doch immer nur die Männer. Es arbeiteten viel mehr Frauen am Zeichentrick mit als Männer, aber die hatten all die untergeordneten Positionen. Die mussten das, was irgendwelche Star-Animatoren zeichneten als Entwürfe, dann eben akribisch auf die Zeichentrickfolien übertragen und die Hintergründe anfertigen, also das, was als wenig kreative Tätigkeit betrachtet wurde, ausführen.
Das hat sich dankenswerterweise auch in den 1960er-Jahren dann geändert, wenn man an eine Künstlerin wie Mary Blair denkt, die für den Look vieler Disney-Zeichentrickfilme in dieser Zeit verantwortlich war, und man könnte auch noch ein paar andere Frauen nennen, die damals dann plötzlich erfolgreich wurden. Da hat sich etwas verändert, aber die Zeichentrickproduktion des Studios Hanna-Barbera, die war, denke ich mal, so patriarchalisch, wie sie am Anfang auch die "Flintstones" machen wollten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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