Andreas Rödder: "Wer hat Angst vor Deutschland? Geschichte eines europäischen Problems"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
368 Seiten, 20 Euro
Im Spiegelkabinett der Projektionen
Deutschland wurde über lange Zeit vor allem eins – gefürchtet. Der Historiker Andreas Rödder geht dieser Angstgeschichte nach: Er verflicht das jeweilige Bild, das Deutschland von sich hatte, mit den Ressentiments und Missverständnissen seiner Nachbarn.
Angst ist ein Grundgefühl, das uns hilft, Gefahren zu erkennen. Seit Urzeiten in uns verankert, mahnt sie uns zur Vorsicht – aus Selbstschutz und um zu überleben. So lehrt es die Psychologie. Tiefsitzende, dauerhafte Ängste, die nicht vergehen wollen, sind oft Folge traumatischer Erlebnisse. Um nach deren Ursachen zu forschen, ist der Therapeut gefragt. In seinem Buch "Wer hat Angst vor Deutschland?" übernimmt der Historiker Andreas Rödder die Rolle eines solchen Traumaforschers.
Rekonstruktion aus der Historie
Die Angst vor Deutschland rekonstruiert Rödder aus der Geschichte: Seit der Reichsgründung 1871 war Deutschland seinen Nachbarn unheimlich, als es sich mit einer dynamisch wachsenden Wirtschaft inmitten Europas als Großmacht etablierte. Es galt als militaristisch und unberechenbar, zumal es auch noch einen "Platz an der Sonne" beanspruchte. Vollends katastrophal aber die Erfahrung unserer Nachbarn mit der nationalsozialistischen Herrschaft. Wie das Misstrauen bis heute nachwirkt, zeigt Rödder noch einmal am Widerstand gegen die deutsche Vereinigung, anhand der Euro-Rettung und zuletzt bei der Flüchtlingskrise 2015.
Die chronologisch aufgereihte historische Rückblende erzählt der Autor, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz, konsequent als Mentalitäts- und Wahrnehmungsgeschichte. Er verflicht das jeweilige Bild, das Deutschland von sich hatte, mit dem seiner Nachbarn, so dass eine Art historisches Spiegelkabinett entsteht, ein Panorama aus Missverständnissen, Fehlurteilen, Projektionen.
Das Grundübel: Stilisierung zum Opfer
Als Grundübel europäischer Beziehungen macht er die Neigung aus, sich selbst als Opfer zu sehen, wobei er nie vergisst, vor der eigenen Tür zu kehren, wenn er eine direkte Linie zieht von der wilhelminischen Larmoyanz bis zur deutschen Klage Anfang des 21. Jahrhunderts "Zahlmeister Europas" zu sein. Dabei verfolgt der Zeithistoriker ein einziges Ziel: Aus der Geschichte zu lernen, um zu verstehen, weshalb etwa Griechen uns skeptisch sehen.
Dazu hat er Wissenschaftler und Journalisten eingeladen, die sich in Kurzinterviews positionieren. So liest man aus polnischer Perspektive die Mahnung an die deutsche Adresse, den Nachbarn als gleichwertig anzuerkennen, aus britischer Sicht eine harsche Kritik am "Sich-Wegducken" in der Sicherheitspolitik.
Erfreulich knapp und pointiert ist seine historische Analyse, sehr anschaulich sind seine Ausflüge in die Alltagsgeschichte, um die Genese der emotionalen Stereotype, der wechselseitigen Ressentiments zu illustrieren, vom Fußball bis zu Monthy Python-Parodien etwa oder James-Bond-Filmen mit den Deutschen als ewigen Bösewichten.
Warmlaufen als Politikberater
Mit seinem Buch liefert Rödder auch einen Kompass für politisches Handeln. So plädiert das CDU-Mitglied auch für eine flexible EU, eine, die in Sachen Währungspolitik einen Schritt zurückmacht, um in der Sicherheitspolitik nach vorn zu gehen. Da hat man das Gefühl, dass er, der sich immer schon gerne in den Politikbetrieb eingemischt hat – 2016 gehörte er im rheinland-pfälzischen Wahlkampf zu Julia Klöckners Schattenkabinett – sich schon mal warmläuft als künftiger Politikberater der Post-Merkel-Ära.
Eine Rolle, die nicht die schlechteste ist für einen Historiker, der die Wissenschaft, quasi therapeutisch, als praktische Handlungsanweisung nimmt. Man muss nicht jede Position Rödders übernehmen, anregend sind seine Diagnosen allemal, sowohl für Europaskeptiker wie für Europabefürworter.