Hunderte Toilettenhäuschen im Museum
In den 80ern entwickelte Andreas Slominski Tierfallen, die an minimalistische Kunstobjekte erinnern - oder präsentierte Garagentore wie abstrakte Gemälde. Nun widmet er sich einem weiteren Alltagsobjekt: dem Dixi-Klo. Und zeigt sie in den Hamburger Deichtorhallen zu Hunderten.
In der Deichtorhalle geschieht ein Wunder: Das Dixi-Klo, das draußen in der Stadt einfach nur ein Klo ist, wird in der Ausstellung "Das Ü des Türhüters" mit Werken von Andreas Slominski in den Hamburger Deichtorhallen zu Kunst! Mal als ganzes. Mal zerlegt in seine Einzelteile, die als Objekte an Wänden und in Vitrinen präsentiert werden.
Vor allem ein Raum hat es Deichtorhallenleiter Dirk Luckow angetan:
"Da geht man rein und da strahlen die wie so afrikanische Skulpturen .... was Magisches aus. Und da kann man sich nun hin und her überlegen, welcher Bezug da zur Kunst existiert oder nicht. Magie ist Magie. Und Ausstrahlung, skulpturale Präsenz, ist genau das, was Etwas zu Kunst macht."
Sagt der Kunsthistoriker. Und fügt nach einer kurzen Pause hinzu:
"Aber natürlich: Es ist immer eine Gradwanderung."
Die beginnt mit einem Spalier aus etwa 100 roten und blauen Klos einmal durch die lange Halle. Links und rechts führen einige Durchgänge in dahinter liegende Ausstellungsflächen mit weiteren Klos und Objekten. Am Ende mündet das Spalier in eine Art Apsis mit noch mehr Klos und Klo-großen Reliefbildern.
"Alles in dieser Ausstellung ist aus dieser Kabine oder den Innenformen dieser Kabine gestaltet. Also: Das Entlüftungsrohr, der Wassertank, die Klobrille. Der Klopapierhalter. Und es sind darunter durchaus spektakuläre Einzelstücke!"
Etwa der von der Decke hängende gewaltige Kronleuchter aus zwölf zum Kreis vereinten Dixi-Klos. So erinnert der Aufbau an ein Kirchenschiff: mit Leuchter, seitlichen Kapellen und Apsis. Ein Kirchenschiff aus Scheißhäusern in den heiligen Hallen der Kunst. Wunder inklusive.
"Dieses an sich ja total triviale Ding, ja? Das wird hier in den Rang von Kunstwerken erhoben. Zu Andachtswerken getürmt. Oder dann eben auch wieder näher am Design – zu einer musealen Schauvitrine umfunktioniert. Es ist die Grenze zwischen Alltag und Kunst. Immer wieder wird sie fließend, wird sie aufgelöst, wird sie spannungsreich verdichtet. Das kann man schon sagen."
Slominski interessiert sich nicht wirklich fürs Klo
Für einen Moment ist das Ganze überraschend und witzig. Doch bald beginnt man sich zu langweilen. Slominski, der in den 90er-Jahren bekannt wurde mit abgründigen und verstörenden Objekten, die auf fragwürdige vorherrschende Werte und Normen verwiesen, lässt hier die Welt draußen. Das Klo interessiert ihn nicht als Ausdruck unserer Zeit, in der wir genauso mobil sein sollen wie die Plastikhäuschen. Stattdessen behauptet er es wieder und wieder als künstlerisches Objekt.
So haben einige Klos zwei Türen und keine Kloschüssel. Und Dirk Luckow ist sich sicher:
"Das lädt ein, da drin ein Stück Zeit zu verbringen. Gerade bei den Roten (ist das) wahnsinnig auffallend: Sie gehen rein und Sie denken, Sie sind in einer James-Turrell-Installation, ja? Weil von dieser roten Duftnote optisch total umgarnt, ist das schon ein ganz besonderer Ort. So, hm?"
Angesichts einer zeitgenössischen Kunst, die oft so beliebig daherkommt, dass sie alles bedeuten kann und nichts, verleihen ihr erst Künstler, Kunsthistoriker, Kuratoren und Kunstkritiker tieferen Sinn: Wortreich beschwören sie formale und ästhetische Qualitäten, verweisen auf kunsthistorische Traditionen. Sie versehen mit Bedeutung, was vielleicht nur Nonsens ist oder angesichts der um uns herum herrschenden Probleme schlicht weg ignorant – oder nur ein Klo.
Oder will Slominski den kunsthistorischen Betrieb ironisch vorführen? Denn natürlich haben es auch die aus dem Rohstoff der Klos gepressten Reliefbilder in sich, auf denen man Klobrillen sieht, Paletten und Pinsel...
"Da verschwistern sich plötzlich der Toilettensitz und die Palette – also Kunst und Alltag – noch mal auf einer anderen Ebene. Wie in einem Stillleben. Fabelhaft komponiert, kann man sagen. Also es sitzt so richtig, ja? Also, die Formen. Wie ein Maler seine Motive zueinander komponiert..."
Hundertfache Zerlegung des Dixi-Klos läuft ins Leere
Künstler, Kuratoren, Kunsthistoriker und Kritiker bezeichnen diese dezente Raffinesse gern als "Kommentare zur Kunst".
"Das ist eben immer auch noch mal ein Kommentar auf die Kunst."
Bei aller Ironie und Absurdität der gewaltigen Installation: Wo Slominskis frühere Objekte und Installationen verunsicherten und neue Sichtweisen auf die uns umgebenden Verhältnisse provozierten, läuft die hundertfache Zerlegung des kleinen Plastikhäuschens ins Leere. Wie das Klo, das sich hoch oben an einer Wand um sich selbst dreht und zu jammern scheint: Ich bin ein Klo, ich bin ein Klo, ich bin ein Klo...
"Ja, das sag ich ja: Die Grenze zwischen Alltagsdesign, Alltagsding, was man so als trivial, banal wahrnimmt, wenn man es überhaupt wahrnimmt, und Kunst - das wird ganz fließend."
Apropos "fließend": In einem der seitlichen Räume ließ Andreas Slominski über eine der hohen Außenwände einen dicken Absaugschlauch hängen...
"Und dann hat er mir gesagt: 'Also, notfalls könnte man dann ja die ganze Ausstellung damit weg saugen'. (Lacht). Ist auch gut. Naja. Das wird wahrscheinlich jetzt nicht im Radio landen... Aber vielleicht als Kommentar von Ihnen. Ist ja so ein schöner Schlusspunkt, oder