Andreas Steinhöfel: "Rico, Oskar und das Mistverständnis"
Mit Illustrationen von Peter Schössow
Carlsen/Hamburg 2020
336 Seiten, 18 Euro
Über die Macht der Gefühle
06:07 Minuten
Wer Jungs verstehen will, muss Rico und Oskar kennen lernen, keine Frage. Band 5 der erfolgreichen Buchreihe von Andreas Steinhöfel gibt dazu wieder beste Gelegenheit. Es geht etwa darum, wann Ärger droht und wer - eventuell - an diesem Ärger schuld ist.
In "Rico, Oskar und das Mistverständnis" geht um Liebe, um Streit, um die Rettung eines Berliner Spielplatzes und um das, was Freundschaft ausmacht. Und es ist gewohnt brillant erzählt mit Witz, Weisheit und Wärme. Andreas Steinhöfel hat es einfach drauf.
Wir alle sind Kugelmenschen
Das beginnt schon damit, wie er vom Innenleben seiner Hauptfiguren erzählt. Etwa von Rico. Der ist in Sarah verliebt. So sehr, dass er sich nicht mehr vorstellen kann, ohne sie zu leben. Das sagt er gleich zu Anfang. Aber eben nicht so. In ein, zwei Sätzen, sondern indem er lange über die Griechen erzählt, über ihre Sicht auf die Welt und von ihren mythischen Wesen: den Kugelmenschen. Mit ihren vier Händen und Füßen und zwei Köpfen waren sie eine perfekte Einheit aus zwei Menschen. Und so stellt Rico sich das auch vor: Er und Sarah sind ein Kugelmensch.
Ein schönes Bild für die Liebe. Wahrlich. Aber auch ein geniales für dieses Buch. Denn wer Rico schon aus den Vorgängerbänden kennt, weiß um seine Affinität zu Kugeln. Zu den Kugeln im Bingo-Spiel, das er mit seiner ehemals alleinerziehenden Mutter spielte. Und zu den Gedanken, die früher kugelgleich in Ricos Kopf unkontrolliert hin- und herkullerten und ihm so das Nachdenken schwer machten.
Kugeln immer wieder Kugeln
Mehr noch: Das Bild des Kugelmenschen passt auch perfekt auf Rico und Oskar, auf diese beiden Jungen, die sich perfekt ergänzen. Die ihre Schwäche wechselseitig ausgleichen. Die einander stark gemacht haben.
Wie in der antiken Mystik bedeutet die Trennung eines solchen Kugelmenschen auch, dass sie ihre andere Hälfte vermissen. Genau das passiert: Rico fehlt Oskar. Und sein Gejammer darüber führt, weil er es nicht offen sagt, zu allerlei Missverständnissen.
Allein für diese kluge, liebenswerte Eröffnung kann man Steinhöfel nicht genug loben. Gerade mal zweieinhalb Seiten braucht er, um die Basis für die nächsten 333 Seiten zu legen. Große Kunst ist das.
Eine Schule in Sachen Menschlichkeit
Genauso wie es ihm gelingt, seine Figuren nie zu beschädigen, selbst die unsympathischen. Immer bleiben sie einem nah, immer versteht man ihre Beweggründe – seien sie noch so nieder. Und so sind Steinhöfels Bücher immer auch eine Schule in Sachen Menschlichkeit.
Junge Mädchen und Jungen lernen so, hinter das Geschehen zu schauen und sie verstehen, dass Gefühle wichtig sind, das sie gesehen und verstanden werden müssen. Immer. Denn wenn nicht, dann droht Ärger.
So wie in diesem Buch: Ärger, weil Oskar eifersüchtig ist, weil er Angst hat, Rico zu verlieren. Ärger, weil Magda Förster den Spielplatz bebauen lassen will, aber nur weil sie verbittert und einsam ist. Ärger, weil die Gang um Rico und Oskar nicht länger dem Streit der Jungen zuschauen will. Ärger, weil Frau Dahling glaubt, ihr Freund Herr von Scherten hätte einen Kurschatten.
Pefekt passende Bilder
So führt eins zum anderen und ergibt eine großartige, aufregende Geschichte. Die wie alle anderen Rico-und-Oskar-Geschichten auch wieder kongenial bebildert ist von Peter Schössow. Seine immer in gedeckten Tönen gehaltenen Bilder, gemalt mit Feder, Pinsel und Stiften, in Aquarell und mit Eiweißlasurfarben versehen, geben dem Buch sein Gesicht. Sie erinnern an Cartoons – mit den großen Köpfen der Figuren, ihren kleinen Augen und langen Nasen.
Bilder, auf denen immer auch der Hintergrund eine Rolle spielt: die Stadt, die Straße, das Haus, die Wohnung. Entstanden ist so eine eigene freche Bildsprache. Schössows Bilder erkennt man sofort und überall. Und sie passen perfekt zu Andreas Steinhöfel: weil sie vom Kleinen ins Große führen und beides in Verbindung setzen.