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Verfassungen von Staaten komplett neu denken
Eine friedliche, unbürokratische Gemeinschaft auf dem Meer, die ihren Alltag umweltfreundlich gestaltet: Das steckt hinter der Idee von den Seasteads, bewohnbaren Plattformen auf dem Wasser. Der Filmemacher Andres Veiel sieht darin eine Chance, verkrustete Staatsformen zu hinterfragen.
Es klingt nach einer Utopie, was der US-Amerikaner Joe Quirk, Sprecher des Seasteading Institute, in der Öffentlichkeit verbreitet: Quirk wirbt für ein von Staaten unabhängiges Leben auf sogenannten Seasteads: bebauten Plattformen – floating villages – auf dem Meer. Die Idee dahinter ist ein selbstorganisiertes, umweltfreundliches Leben mit einem Minimum an Bürokratie – und einem Minimum an Steuerlast. Das Projekt nimmt bereits Formen an.
Quirk ist Ende April zu Gast auf der von unseren Studiogast Andres Veiel moderierten Veranstaltung "Rethinking State", mit zahlreichen Workshops zum Thema. Dort geht es um neue Konzepte des Zusammenlebens in der Zukunft. Veiel räumt ein, dass er die Idee von den Floating Villages durchaus zwiespältig betrachte – denn unter dem Strich handele es sich dabei natürlich um eine exklusive Gesellschaft, die vermutlich alles daran setzen werde, um keine ungebetenen "Gäste" auf ihre Inseln zu lassen.
Aber: "Die eigentliche Idee, die dahinter steht, ist die, den Staat in eine Art von Wettbewerbsverhältnis zu bringen mit anderen Staaten. Indem ich eine neue Idee von Staat ausprobiere, zeige ich: Es kann ganz anders funktionieren."
Die US-Verfassung stammt noch aus der Pferd-und-Wagen-Zeit
Das Ziel sei, Verfassungen von Staaten komplett neu zu denken. Denn viele, wie etwas die Verfassung der USA, stammten noch aus einer Zeit, als die Menschen sich mit Pferd und Wagen bewegt hätten.
Die Idee der Seasteads könne sich zudem ähnlich entwickeln wie die mobile Telefonie: Anfangs hätten nur ein paar Auserwählte Handys oder Smartphones besessen, heute gebe es kaum noch eine Region der Erde, wo es keine Mobiltelefone gebe. Die autonomen Inselsiedlungen böten die Gelegenheit zu zeigen, dass der Mensch sich umweltfreundlich mit allem nötigen versorgen könne. Dabei spielten etwa vielfältig einsetzbare Algen eine Rolle: Diese filterten das CO2 aus der Luft, könnten aber auch als Nahrung dienen.
"Man schafft Lebensgrundlagen durch eine Form der Ernährung. Man entlastet das Land, das dann weniger Energie und weniger Dünger verbraucht, weil die Seasteading-Anlagen nachhaltig Energie produzieren – durch Wasserkraft, aber auch durch Solaranlagen."
Viele Fragen sind noch offen
Bevor die Idee realisiert werden könne, müssten jedoch noch eine Reihe von Fragen beantwortet werden: Wer soll Zugang bekommen, ist es wirklich eine spürbare Verbesserung demokratischer Teilhabe – oder kommen die Vorteile nur sehr wenigen Menschen zugute?
Und: Wer finanziert das Ganze? Investoren wie der deutschstämmige Amerikaner und Trump-Unterstützer Peter Thiel sind im Gespräch. Doch wieviel Freiheit kann noch herrschen, wenn milliardenschwere Geldgeber vielleicht ein Wort mitsprechen wollen?
Der Filmemacher Andres Veiel, Jahrgang 1959, stammt aus Stuttgart. Er studierte Psychologie und absolvierte parallel eine Ausbildung in Regie und Dramaturgie am Künstlerhaus Bethanien in Berlin, unter anderem bei Krzysztof Kieślowski. Einem großen Publikum bekannt wurde Veiel 2001 durch den Dokumentarfilm "Black Box BRD" und durch "Die Spielwütigen" (2004). 2011 folgte sein erster Spielfilm "Wer wenn nicht wir", der im Wettbewerb der Berlinale Premiere hatte und der mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet wurde. Im vergangenen Jahr folgte der Dokumentarfilm "Beuys".