"Ein Machiavelli der 80er-Jahre"
Warum hat die westdeutsche Linke Helmut Kohl eigentlich jahrelang als Provinzler unterschätzt? Das fragt sich Regisseur Andres Veiel ("Black Box BRD") anlässlich des Todes des Altkanzlers. "Ich bin noch nicht fertig mit ihm", sagt er.
Als Helmut Kohl 1982 Kanzler wurde, war das für viele westdeutsche Linke eine Art politischer Super-GAU. Gleichzeitig sahen sie in Kohl eine lächerliche Figur, deren zur Schau getragene Provinzialität reichlich Anlass für Spott bot. Und unterschätzten den Kanzler damit kolossal, wie Regisseur Andres Veiel, Jahrgang 1959, in der Rückschau einräumt.
Die Gegenkultur der 1980er einfach "ausgesessen"
"Wir haben alle diesen Mann damals nicht ernst genommen, dachten, von was redet der? Was meint der mit der Wende: Saumagen, pfälzisch? Die ganze Erscheinung. Die ganze Assoziation von Birne", erinnert sich Veiel im Deutschlandfunk Kultur. Man habe damals nicht damit gerechnet, dass Kohl sich so lange an der Macht halten würde, sondern sei von einem kurzen "Fallback" in eine längst überwunden geglaubte Zeit ausgegangen. Doch der Kanzler habe die ganze Gegenkultur der achtziger Jahre, ob Friedens- oder Anti-AKW-Bewegung, einfach "ausgesessen".
Persönlich hat Veiel Kohl bei der Recherche zu seinem Film "Black Box BRD" (2001) kennengelernt, der die Ermordung des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen durch die RAF 1987 nachzeichnet. Erst da habe er verstanden, was Kohl ausmacht, so der Regisseur.
"Er war eben nicht der gemütliche Pfälzer, der dann abends noch den Saumagen zu sich genommen hat und die Pantoffeln angezogen hat und die Füße hochgelegt hat", betont Veiel. "Er war auch ein Stratege." So habe Kohl bereits 1987 die Möglichkeit einer deutschen Wiedervereinigung kommen sehen und diese dann strategisch geplant. "Er hat genau gesehen: Ungarn ist ein ganz wichtiger Baustein. Er hat sehr viel Geld nach Ungarn gegeben, dass die Grenze geöffnet wird, in dem Fall auch mit und zusammen der Deutschen Bank, also, er hat das Schritt für Schritt vorbereitet."
"Ich bin noch nicht fertig mit ihm"
Heute frage er sich, wie es möglich war, dass er Helmut Kohl so lange als "Birne" und "Fußnote der Geschichte" betrachtet habe und dessen Machtbewusstsein und strategische Raffinesse erst so spät erkannt habe. "Er war für mich ein Machiavelli der achtziger Jahre, und ich bin noch nicht fertig mit ihm", so Veiel. "Jetzt erst recht nicht."