Andy-Warhol-Retrospektive in New York

Ein Künstler als Prophet des 21. Jahrhunderts

Besucher schauen sich in der US-Retrospektive zum Werk des Künstlers im New Yorker Whitney Museum Andy Warhols Kunstwerk "Marilyn Diptych" an.
"Warhol – From A to B and back Again" ist die bis jetzt größte Retrospektive im neuen Haus des Whitney Museums. © Christina Horsten / dpa
Von Andreas Robertz |
Das Whitney Museum in New York zeigt Andy Warhol: Erstmals seit 1989 gibt es in den USA wieder eine große Ausstellung über den für viele amerikanischsten aller Künstler. Denn er verschmolz Kunst und Kommerz mit Ironie und einem Sinn für Dramatik.
Andy Warhol hätte sicher keine Schwierigkeiten gehabt, sich in unserer Zeit zurechtzufinden: YouTube, das Internet, Smartphones, das ganzes Arsenal der Bildbearbeitung, vom Kopieren und Schneiden bis zum Kolorieren auf dem Touchscreen und natürlich unsere Selfie-Kultur der unaufhörlichen Selbstdarstellung millionenfach "geliked" und "geshared".
Andy Warhol also - ein Prophet des 21. Jahrhunderts, so jedenfalls sieht ihn Kuratorin Donna de Salvo: "Wir leben in einer digitalen Kultur, die nach Warhol kam. Trotzdem glaube ich, diese neue Generation hat einen unmittelbareren Zugang zu seiner Arbeit als wir. Sie verstehen und interpretieren sie durch die Brille der digitalen Kultur, des Bombardement von Bildern. Es war sein künstlerischer Genius aus dieser Flut etwas auszusuchen, zu isolieren und bildhaft zu bearbeiten."
Und tatsächlich, wenn man durch "Andy Warhol – From A to B and back Again" geht, stellt sich die Frage nach seiner Aktualität nicht. Viele seiner Arbeiten wirken nach wie vor frisch, sein Humor, seine Ironie, der Sinn für Dramatik und seine Philosophie, Kunst direkt aus dem Alltäglichen abzuleiten, ist immer noch irgendwie cool und entspricht dem Zeitgeist. Schon wenn man die Hauptgalerie betritt, steht man vor einer drei mal elf Meter Leinwand mit einem Siebdruck aus militärischen Tarnmustern: "Camouflage" von 1986, ein Jahr vor seinem Tod.

Die Ausstellung erzählt auch die Biografie Warhols

Das Thema des Versteckens, des Tarnens ist ein immer wiederkehrendes Motiv der Ausstellung, sei es in der codierten homoerotischen Bildsprache seiner frühen Werbekampagnen, in Auseinandersetzung mit heterosexuellen Idolen wie Marylin Monroe, Elvis Presley oder Marlon Brando oder in den erotischen Doppeldeutigkeiten in seiner "Most Wanted Men"-Kampagne, in der er 1964 die Porträts der 13 meist gesuchten Verbrecher Amerikas groß auf eine Leinwand zog. "Wenn man sich seine Arbeit in den Fünfzigern ansieht, all diese offenen homoerotischen Momente, und dann Marylin: Ist sie in Drag? Ist sie eine schwule Ikone, eine heterosexuelle Ikone? Das Spiel mit Begierden ist eines der wichtigsten Mittel in Warhols Trickkiste", so Donna de Salvo.
Die Ausstellung zeigt nicht nur die Chronologie seiner Erfolge, Coca-Cola, Dollarscheine, Campbell Suppen, Marylin Monroes und Maos, sondern auch die Biografie eines jungen homosexuellen Künstlers, Sohn slowakischer Immigranten, der nach New York kam, um sein Glück zu finden. Donna de Salvo: "Es war sehr mutig. Das ist gerade für ein jüngeres Publikum interessant, alles musste codiert sein. Schwul zu sein in der Zeit war so viel schwieriger als heute."

Seine großen Themen in seinen großen Werken

Erfolg und Verlangen, zwei der großen Themen seines Lebens, die man immer wieder in seinen Arbeiten sehen kann. Aber es sind nicht nur seine eigenen Sehnsüchte und Begierden, es ist vor allem die Gier Amerikas nach Ruhm und Geld, Optimismus und Gewalt, der er einen Spiegel vorhält.
In der Ausstellung begegnet man einem überraschend politischen Warhol. "Ich habe mich auf eine Menge politische Arbeiten konzentriert, die sich mit Themen wie der UdSSR, der Stationierung von Langstreckenraketen, mit Nicaragua oder Reagan auseinandersetzen. Diese Arbeiten waren zu seinen Lebzeiten nie veröffentlicht. Es hat mich fasziniert, dass er sich damit beschäftigt hat", erklärt Donna de Salvo.
Und dann steht man plötzlich vor einem gewaltigen fünf mal vier Meter Mao aus dem Jahr 1972 mit blauem Hintergrund, rosigen Wangen und roten Lippen. Ein Video zeigt, wie er im Studio das Bild selbst koloriert. "Verschiedene Teile der Ausstellung sagen verschiedene Dinge über Warhol, aber es gibt diesen gemeinsamen Strang. Ich hoffe, man kann diese enorme Beständigkeit sehen, auch wenn es anders aussieht."

Das Besondere: selten gezeigte Großformate

Es sind genau diese Kontraste, die die Ausstellung eindrücklich und überaus abwechslungsreich machen. Am Ende eine letzte Galerie mit selten gezeigten Großformaten aus den Jahren vor seinem Tod. Man ist wieder bei dem Camouflage Thema angekommen.
Auf zwei mal sieben Meter hat er in Gedenken an seine in der AIDS Krise verstorbenen Freunde Da Vincis "Letztes Abendmahl" mit dem Camouflage Muster vom Eingang überzogen, schwarze Druckspuren vom Kopiervorgang durchziehen das Bild, machen die Szenerie fast unerkennbar. Die Emotionalität der Arbeit ist völlig überraschend.
"Warhol – From A to B and back Again" ist in Umfang und Ambition sicher die größte Retrospektive, die das Whitney Museum in seinem neuen Haus bis dato unternommen hat und setzt in ihrem Verständnis um die Komplexität eines Andy Warhols Maßstäbe. Und sie kommt zur genau richtigen Zeit, denn das Denken in den USA droht immer enger zu werden. Wenn es nach Donald Trump ginge, der das amerikanische Geburtsrecht ändern will, wäre der Einwandersohn Andy Warhol nicht Amerikaner geworden.
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