Anett Kollmann: "Mit fremden Federn"

Fälschen, tricksen und betrügen

Buchcover Anett Kollmann: "Mit fremden Federn"
Gewinnsucht und Geltungsdrang treiben den Hochstapler an, lautet Kollmanns These. © Hoffmann & Campe / imago/Steinach
Von Edelgard Abenstein |
Ein Postbote als Chirurg oder ein Dienstmädchen als Zarentochter: Anett Kollmann hat in "Mit fremden Federn" zahlreiche Beispiele von Hochstapelei zusammengetragen. Und sie zeigt, wie das Wechselspiel von Betrügern und Betrogenen funktioniert.
Es eint sie allesamt, dass sie sich als mehr ausgeben, als sie sind: Hochstapler, die ihre Umwelt an der Nase herumführen, indem sie sich eine andere Identität erfinden. Liebesschwindler, Männerimitatorinnen, Exotikfälscher, falsche Prinzessinnen, Investorenbetrüger.
Was sie gleichfalls eint, sind ihre Motive – Gewinnsucht und Geltungsdrang – sowie besonderes Talent, ihr Ziel zu erreichen. Erfolgreich ist ein Hochstapler nur dann, wenn er auf der Klaviatur der angenommenen Rolle virtuos zu spielen vermag. Heißt, er muss zuallererst Schauspieler sein, aber auch über psychologische Einfühlungsgabe verfügen, über Geistesgegenwart, Eloquenz, handwerkliches Können und ein gehöriges Selbstbewusstsein. Allesamt Fähigkeiten, die ihn mit der Berufsgruppe des Künstlers verbinden.

Selbstzweifel oder Reue kennen die Hochstapler nicht

Die Literatur- und Medienwissenschaftlerin Anett Kollmann hat einen Schwarm von Fallbeispielen zusammengetragen, von der Antike bis in die Gegenwart, die das belegen. Das Wort "Hochstapler" selbst gehe auf das mittelalterliche "stappler" zurück, was den Bettler bezeichnete, der nur mit amtlicher Erlaubnis seine Tätigkeit ausüben durfte. Die Vorsilbe "Hoch" weist denjenigen aus, der ohne Zertifikat unterwegs war, sich milde Gaben also erschlichen hat.
Im munteren Stil präsentiert Kollmann eine bunte Revue von falschen Messiassen, ergaunerten Königswürden, von Postboten, die sich als Chirurgen ausgaben, von einem Dienstmädchen, das lebenslang die letzte Zarentochter mimte. Selbstzweifel, Reue gar, hätten die wenigsten empfunden. Trotz niederer Beweggründe sei diesen Figuren mit Moral schwer beizukommen, da sie zumeist den Beifall ihres Publikums fanden, bei dem sich Schadenfreude gerne mit Bewunderung für die freche Anmaßung paarten.
Überhaupt, so ihre These, sei Hochstaplern ihr Geschäft seit jeher leicht gefallen, weil sie die Sehnsüchte von vielen bedienten. Wer wäre nicht gerne selbst so weitgereist, wie Karl May es von sich behauptete, der dank seiner fabelhaften Fantasie zum Weltbestsellerautor aufstieg? In gewisser Weise auch bewundernswert eine Figur wir Wolfgang Beltracchi, der als drittklassiger Maler so lange erfolglos blieb, bis er mit seinen Fälschungen die Kunstszene in großem Stil abzockte.

Die moralische Einordnung kommt zu kurz

So spannend all diese Geschichten sind: An solchen Stellen hätte man sich eine klarere Positionierung gewünscht, auch gegenüber Plagiatoren, die sich wirklich "mit fremden Federn" schmücken, die klauen und kopieren oder mit gefälschten Doktortiteln eine Karriere ergaunern. Die Autorin streift moralische Fragen nur am Rande, auch die Produzenten von derzeit hoch im Kurs stehenden Fake News spielen bei ihr keine Rolle.
Dabei ist auch das nichts anderes als eine moderne Form der Hochstapelei, genau wie das Geschäft der Börsenhaie, die eben jene Kurse erzeugen, auf die sie spekulieren, um damit Massen um ihr Geld zu bringen. Diese Betrüger als knallhart kriminell zu outen, hätte den schönen Geschichten von Schein und Sein der Gentleman-Gauner keineswegs geschadet.

Anett Kollmann: Mit fremden Federn. Eine kleine Geschichte der Hochstapelei
Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2018
256 Seiten, 22 Euro

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