Anetta Kahane

Zu wenig Aufmerksamkeit für Antisemitismus

07:59 Minuten
Anetta Kahane sitzt vor einem Mikrofon.
Anetta Kahane stellt eine "aggressive Hilflosigkeit" gegenüber antisemitischen Vorfällen fest: So würden etwa Lehrer sagen, sie wüssten gar nicht, was sie dagegen tun könnten. © picture alliance / photothek / Felix Zahn
Anetta Kahane im Gespräch mit Nicole Dittmer |
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Wie alltäglich ist der Vorfall, den der Musiker Gil Ofarim aus einem Leipziger Hotel schildert? Für die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane ist er „typisch“, auch was den Versuch der Schuldabwehr betrifft.
Die Antisemitismusvorwürfe des Musikers Gil Ofarim gegen die Mitarbeiter eines Leipziger Hotels haben einen Tag nach der Veröffentlichung seines Instagram-Videos, in dem er erzählte, wie er wegen seiner Davidstern-Kette nicht einchecken durfte, zahlreiche Reaktionen hervorgerufen.
Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur hatte Ofarim selbst gesagt, Antisemitismus sei in Deutschland leider alltäglich und erhalte in der Regel weniger Aufmerksamkeit: "Ich habe jetzt nur das Glück oder das Pech, dass ich Person des öffentlichen Lebens bin, und habe ein Sprachrohr und erreiche Menschen damit. Aber den ganzen anderen Menschen, denen das tagtäglich passiert, da hört man nichts davon. Und so was geht dann unter. In den meisten Fällen [steht] Aussage gegen Aussage und das wars dann."
RTL-Journalist Nikolaus Blome betonte ebenfalls, der Vorfall sei keinesfalls ein Einzelfall, über andere Fälle werde nur deutlich weniger berichtet:
"Und das ist ja nicht mehr wegzudiskutieren das Faktum, dass Antisemitismus nicht gesellschaftsfähig geworden ist, aber [sich] offenkundig immer weiter in die Gesellschaft reinfrisst, beziehungsweise für jüdische Mitbürger zum Gegenstand ihres Alltags wird. Und das darf es eigentlich nicht sein."

Ein "typischer Vorfall"

Anetta Kahane ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, die sich mit verschiedenen Projekten gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einsetzt. Sie hält den Fall in Leipzig für einen "typischen Vorfall": In Deutschland fühle sich die des Antisemitismus beschuldigte Person häufiger im Unrecht als die betroffene Person selbst.
So hat in Leipzig der beschuldigte Hotelangestellte seinerseits Strafanzeige gegen Ofarim wegen Verleumdung gestellt.

"Aggressive Hilflosigkeit"

Im Jahr 2020 habe es etwa 2500 erfasste antisemitische Vorfälle gegeben, sagt Kahane. Die Dunkelziffer sei aber wahrscheinlich viel höher: "Die Tatsache, dass viele Juden sich nicht trauen, oder keine Lust haben, sich an die Polizei oder die Öffentlichkeit zu wenden, besteht darin, dass sie wirklich sehr schlechte Erfahrungen machen, wenn sie das tun. Also Abwehr, Schuldumkehr – wie in diesem Fall, oder man macht sich darüber lustig."
Es gebe zudem eine "aggressive Hilflosigkeit", wenn an Schulen zum Beispiel Lehrer sagen, sie wüssten gar nicht, was sie tun könnten. Dabei wüssten sie in anderen Fällen der Gewaltanwendung durchaus, was zu tun sei – nur beim Antisemitismus nicht, sagt Kahane. Das sei eine sehr negative Entwicklung, "gerade für die Jüdinnen und Juden, die sich dann nicht mehr trauen, sich öffentlich als solche zu zeigen".
Um auf Antisemitismus aufmerksam zu machen, hat die Amadeu Antonio Stiftung soeben wieder die Aktionswochen gegen Antisemitismus gestartet. "Wir und sehr viele jüdische Organisationen sind sehr empört darüber, wie wenig Aufmerksamkeit es für dieses Phänomen Antisemitismus in Deutschland gibt", sagt Kahane.
(sed)
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