Angela Merkel in der Dauerkritik

Von Margaret Heckel |
Noch nie war Angela Merkel mit einer derartigen Welle der Kritik konfrontiert wie derzeit. Sparpaket, Gesundheitsreform, Bundespräsidentenwahl: Nichts scheint zu gelingen. Sie verliere ihre Autorität, sagen ihre Kritiker. Ihre Macht würde erodieren.
Seltsam nur, dass es immer Männer sind, die diese Vorhaltungen machen. Oft genug diejenigen, denen Angela Merkel empfindliche Niederlagen beigebracht hat. Von den Ministerinnen in Merkels Kabinett war bislang kein Wort der Kritik zu hören. Oder um es ganz provokant zu sagen: Die Damen erledigen ihre Arbeit. Die Herren streiten.

Auch Merkel selbst bleibt ruhig. Sie denkt die Dinge vom Ende her. Und die sehen erfreulich aus: Keiner ihrer Gegner aus der Ministerpräsidenten-Riege ist mehr im Rennen. Auf dem Parteitag im November kann sie die CDU endgültig nach ihrem Willen umgestalten und eine neue Generation von Politikern ins Rampenlicht schieben.

Die Kanzlerin hat einen kleinen, silbernen Würfel auf ihrem Arbeitstisch im Kanzleramt liegen. "In der Ruhe liegt die Kraft" ist darin eingraviert. Es ist ihr Motto. Merkel macht nichts, ohne vorher gründlich nachzudenken. Sie hat den Prozess einmal so beschrieben: "Zuerst ordnet man da seine Gedanken. Dann ringt man mit sich, ob man es macht oder nicht. Die Haderphase. Und dann ist es entschieden." Das ermöglicht Merkel, auch in den heftigsten Phasen politischer Turbulenzen ganz in sich zu ruhen.

Merkel hat sich auch nie mit den Grenzen abgefunden, die ihr scheinbar gezogen wurden. "Was ich nicht konnte, hat mich immer fasziniert", sagt sie. Als Kind konnte sie sich nicht auf dem Schwebebalken halten und wollte doch Eiskunstläuferin werden. Als 36-Jährige Physikerin aus dem Osten musste sie in Bonn ein Ministerium übernehmen und "wusste gar nichts", wie sie sich heute erinnert.

Je mehr solcher Grenzen einer überwindet, desto stärker wird das Wissen um das eigene Können. Und je mehr Merkel geschafft hat, desto sicherer ist sie im Umgang mit sich selbst geworden. Dieses immer weiter zunehmende Vertrauen in die eigene Stärke wird ergänzt durch Merkels beachtliche Sensibilität für die Stärken und Schwächen der anderen. Beides zusammen ermöglicht ihr eine präzise Analyse der jeweiligen Kräfteverhältnisse und leitet ihre Reaktion.

Das ist nur in den seltensten Fällen der offene Kampf. Als Naturwissenschaftlerin weiß sie zudem, dass es immer mehr als nur einen Weg zum Ziel gibt. Und wenn der eine nicht funktioniert, probiert sie den nächsten. Der politische Betrieb, vor allem aber die Männer im politischen Betrieb, sind das nicht gewohnt. Sie legen es fälschlicherweise als Schwäche Merkels aus. Und sind dann überrascht, wenn die Kanzlerin am Ende doch immer das bekommt, was sie will.

Frauen verstehen diese Vorgehensweise intuitiv. Und Frauen waren es auch, die Angela Merkel bei der letzten Bundestagswahl überproportional oft ihre Stimme gegeben haben. Sie identifizieren sich sowohl mit den Methoden Merkels als auch mit ihren Langfristzielen wie der Bildungsrepublik Deutschland und der Vereinbarkeit von Beruf von Familie. Sie stützen die Kanzlerin.

Sie tun das in ihrer Weise. Dass sie dabei eher leise als laut sind, führt dazu, dieses Phänomen zu unterschätzen. Das aber wäre ein Fehler. Der gleiche Fehler, den die männlichen Konkurrenten Merkels gemacht haben, als sie sie jahrelang unterschätzt haben.


Margaret Heckel, Jahrgang 1966, studierte Volkswirtschaft in Heidelberg und den USA. Bevor sie sich 2009 als Journalistin selbstständig machte, war sie Politikchefin der "Welt", "Welt am Sonntag" und "Berliner Morgenpost". Davor leitete sie das Politikressort der "Financial Times Deutschland" und hat für die "Wirtschaftswoche" aus Leipzig, Berlin und Moskau berichtet. Sie ist Autorin des Bestsellers "So regiert die Kanzlerin".
Publizistin Margaret Heckel
Margaret Heckel© Michael Lüder