Hat "Mutti" ihre Kinder im Osten verraten?
Wut, Enttäuschung, narzisstische Kränkung – all das herrsche unter ostdeutschen Wählern, meint der Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Die Flüchtlingspolitik Angela Merkels bleibe für viele ein Ärgernis. Ostdeutsche seien "enttäuscht von der Mutti" und wollten sie weghaben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Freitag Abend auf der CDU-Regionalkonferenz in Jena den Verfall der Diskussionskultur in Deutschland kritisiert. "Diskussionen müssen wieder in Würde und Respekt vor der Würde des Anderen ablaufen", forderte die Kanzlerin. Sie steht unter Druck – sowohl innerparteilich als auch in der Wählerschaft der CDU sowohl im Osten als auch im Westen.
Es herrsche eine große Unzufriedenheit unter ostdeutschen Wählern, so beschreibt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer die Stimmung. Das artikuliere sich in einem rauen Ton und in einer harschen Sprache. Die Enttäuschung über Angela Merkel hänge möglicherweise auch mit falschen Erwartungen in Zusammenhang mit der ostdeutschen Herkunft Merkels zusammen:
"Oder eben schlicht und einfach mit dem Gefühl, dass eine Ostdeutsche ihre Kinder im Osten einfach verraten hat. Dass sie eine falsche Politik gemacht hat. Man kann es vielleicht auch als narzisstische Kränkung empfinden, wenn man das etwa psychologisieren wollte."
Es herrsche eine große Unzufriedenheit unter ostdeutschen Wählern, so beschreibt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer die Stimmung. Das artikuliere sich in einem rauen Ton und in einer harschen Sprache. Die Enttäuschung über Angela Merkel hänge möglicherweise auch mit falschen Erwartungen in Zusammenhang mit der ostdeutschen Herkunft Merkels zusammen:
"Oder eben schlicht und einfach mit dem Gefühl, dass eine Ostdeutsche ihre Kinder im Osten einfach verraten hat. Dass sie eine falsche Politik gemacht hat. Man kann es vielleicht auch als narzisstische Kränkung empfinden, wenn man das etwa psychologisieren wollte."
Zorn und Wut statt rationaler Kritik
In Bezug auf Merkel seien in Ostdeutschland besondere Emotionen zu beobachten. Im Spiel seien immer Zorn und Wut. Rationale Kritik und politische Auseinandersetzung fehlten, so Vorländer:
"Das ist die Wut des trampelnden Kindes, was einfach jetzt die Frau weghaben will. Weil es enttäuscht von der Mutti ist."
Vorländer ging auch auf den Umgang Merkels mit ihren innerparteilichen Kritikern und die Vermittlung ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik ein:
"Sie hätte vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt sehr viel deutlicher machen müssen, warum sie etwas tut, was die Gründe sind. Dass es nicht nur zu Schwierigkeiten im Land führt, sondern vielleicht auch eine Chance bietet. Das hat sie zu wenig gemacht. Sie ist eben auch keine große Kommunikatorin."
"Das ist die Wut des trampelnden Kindes, was einfach jetzt die Frau weghaben will. Weil es enttäuscht von der Mutti ist."
Vorländer ging auch auf den Umgang Merkels mit ihren innerparteilichen Kritikern und die Vermittlung ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik ein:
"Sie hätte vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt sehr viel deutlicher machen müssen, warum sie etwas tut, was die Gründe sind. Dass es nicht nur zu Schwierigkeiten im Land führt, sondern vielleicht auch eine Chance bietet. Das hat sie zu wenig gemacht. Sie ist eben auch keine große Kommunikatorin."
Ist die CDU machtlos gegen den Rechtspopulismus?
Sind Merkel und die CDU ein Stück weit machtlos gegen den wachsenden Rechtspopulismus? Es werde schwierig werden, die Menschen wieder zurück zu gewinnen, meint Vorländer:
"Wer einmal weg ist, der kommt so schnell nicht wieder. Es gibt eben ein großes Thema. Und das ist die Flüchtlingspolitik. Solange Frau Merkel da nicht eine klare Wendung vollzieht – rhetorisch, faktisch ist sie ja längt passiert –, wird man da mit ihr weiterhin hart verfahren. Und wenn sie das täte, würde man dann sicher das Original der Ablehnung wählen. Und das ist die AfD."
"Wer einmal weg ist, der kommt so schnell nicht wieder. Es gibt eben ein großes Thema. Und das ist die Flüchtlingspolitik. Solange Frau Merkel da nicht eine klare Wendung vollzieht – rhetorisch, faktisch ist sie ja längt passiert –, wird man da mit ihr weiterhin hart verfahren. Und wenn sie das täte, würde man dann sicher das Original der Ablehnung wählen. Und das ist die AfD."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Auch der Generalsekretär musste es einräumen: Die Christdemokraten werden immer älter, und sie werden immer weniger. Sterbefälle und Austritte sorgen für einen kontinuierlichen Mitgliederschwund bei der CDU, und so gerät die Kanzlerin und Parteivorsitzende nicht nur, aber auch im Osten unter Druck. Mit der Regionalkonferenz in Jena hat sich Angela Merkel dem stellen wollen. Wir haben ja heute Morgen schon darüber berichtet, aber da der Osten der Republik nicht nur aus Jena besteht, suchen wir uns jetzt Expertise in Dresden. Dort an der TU lehrt Hans Vorländer Politische Theorie und Ideengeschichte. Guten Morgen, Herr Vorländer!
Hans Vorländer: Guten Morgen!
Welty: Wie unterscheidet sich denn die Situation der CDU im Osten von der im Westen?
Vorländer: Ja, die war, die CDU im Osten natürlich ganz überwiegend, und das gilt für Sachsen besonders, die Partei, die nach 1990 regiert hat, die auch starke Zustimmung hatte und die dann nachher doch auch relativ schnell wieder eingebrochen ist. Und in Sachsen können Sie sehen: Sie ist zwar immer noch die führende Partei, weil sie die Regierung bestimmt in unterschiedlichen Koalitionen.
Aber hinter der Fassade hat sie doch relativ viel auch verloren an Wählerschaft. Das reicht immer noch eben zu einer führenden Rolle, aber es sind eben auch viele Wähler der CDU mittlerweile in das Lager der Nichtwähler gewechselt.
Rauer Ton, harsche Sprache der Enttäuschten
Welty: Oder in das Lager der AfD.
Vorländer: Oder in das Lager der AfD, wo man die AfD in der Zwischenzeit wählen konnte. Das heißt, es gibt da eine große Unzufriedenheit, die sich vielleicht nicht in der Mehrheit ausdrückt, aber die sich doch in einer sehr kritischen Minderheit und dann eben auch in einem sehr rauen Ton und in harscher Sprache zum Ausdruck bringt – und eben in der Enttäuschung über Angela Merkel.
Welty: Welche Rolle spielt es, dass Merkel zwar nicht im Osten geboren, aber doch dann dort aufgewachsen und sozialisiert wurde?
"Die Wut des trampelnden Kindes"
Vorländer: Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass diese besonders harsch zum Ausdruck gebrachte Enttäuschung etwas mit falschen Erwartungen zu tun hat oder eben schlicht und einfach mit dem Gefühl, dass eine Ostdeutsche ihre Kinder im Osten einfach verraten hat, dass sie eine falsche Politik gemacht hat. Man kann es auch als eine vielleicht narzisstische Kränkung empfinden, wenn man das etwas psychologisieren wollte.
Also da sind eine besondere Emotion, eine besondere Wut, ein Zorn immer im Spiel, wenn es um Frau Merkel geht, das ist gar keine rationale Kritik mehr, keine normale politische Auseinandersetzung, sondern das ist die Wut des trampelnden Kindes, was einfach jetzt die Frau weg haben will, weil sie enttäuscht von der Mutti ist.
Merkels Umgang mit ihren Kritikern
Welty: Empfinden Sie es als passend und/oder als zielführend, wie Merkel mit ihren Kritikern umgeht?
Vorländer: Sie hat ja wenig Chancen. Man schont sie ja überhaupt nicht. Sie muss darauf reagieren, und sie hält ihren Kurs, und sie sagt eben auch, hat ja gesagt: Ein Land, in dem man so harsch auch mit Flüchtlingen umgeht und miteinander umgeht und Gewalt ausübt, das ist nicht mehr ihr Land – sie hat da klare andere Vorstellungen. Und das entfremdet sie ja auch schon wieder von diesen Kritikern.
Aber sie hat keine andere Chance. Sie hätte vielleicht all das, was sie getan hat und auch in der Flüchtlingspolitik ja doch so, wie man durchaus sagen muss, tapfer durchgehalten hat – das hätte sie anders erklären müssen. Sie hätte vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt sehr viel deutlicher machen müssen, warum sie etwas tut, was die Gründe sind, und dass es nicht nur zu Schwierigkeiten im Land führt, sondern vielleicht auch eine Chance bietet. Das hat sie vielleicht zu wenig gemacht. Sie ist eben auch kein große Kommunikatorin, und da stößt sie dann eben auf den geballten Widerstand.
Und es wird von ihren Kritikern eben auch nicht wirklich kommuniziert, es wird auf der Straße vielleicht geschrien oder bei Parteitagen oder bei solchen Konferenzen wird dann der Zorn herausgebrüllt, aber es ist keine produktive Auseinandersetzung, die sich um politische Konzepte auch streitet.
Protestwähler sind zur AfD gegangen
Welty: Lässt sich das noch drehen, lässt sich das noch ändern?
Vorländer: Nein, ich glaube, dass sich das in Ostdeutschland wie aber auch bei, sagen wir, durchaus Frustrierten in Westdeutschland das nicht mehr so richtig drehen lässt. In Ostdeutschland ist die Enttäuschung schon ziemlich groß in diesen Kreisen. Und die sind jetzt bei der AfD gelandet. Manche, um den Protest gegenüber der CDU zum Ausdruck zu bringen. Aber andere fühlen sich da mittlerweile auch schon etwas heimischer. Und ich glaube nicht, dass sich das bis zum Herbst des nächsten Jahres in irgendeiner Weise legen wird.
Bestimmendes Ärgernis: Merkels Flüchtlingspolitik
Welty: Das heißt, Merkel und die CDU sind ein Stück weit machtlos gegen den wachsenden Rechtspopulismus?
Vorländer: Sie werden alles versuchen. Sie werden versuchen, die Leute wieder einzufangen und für sich zu gewinnen. Aber das ist schwierig. Ich sehe da im Augenblick keine wirkliche Chance. Wer einmal weg ist, der kommt so schnell nicht wieder. Und es gibt eben ein großes Thema, das auch als das Wichtigste angesehen wird, das ist die Flüchtlingspolitik.
Und solange eben da Frau Merkel nicht eine klare Wendung vollzieht, rhetorisch – faktisch ist sie ja längst passiert – rhetorisch wird man da mit ihr genauso hart verfahren. Und wenn sie das täte, würde man sicherlich eher das Original nämlich der Ablehnung wählen, und das ist die AfD.
Welty: Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer über Merkel, die CDU und den Osten, auch, wenn der Bundesparteitag in der kommenden Woche im Westen, nämlich in Essen, stattfindet. Herr Vorländer, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Vorländer: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.