Zwischen Reizfigur und Retterin
Wegen ihrer Flüchtlingspolitik wird Angela Merkel von den einen scharf kritisiert, von den anderen frenetisch gefeiert. Viele dieser Bewertungen seien übertrieben, sagt der Politologe Josef Janning. Nur eins muss sich die Kanzlerin tatsächlich vorwerfen lassen.
Beim CDU-Parteitag in Essen will sich Angela Merkel heute erneut zur Bundesvorsitzenden ihrer Partei wählen lassen - genau an jenem Ort, wo sie das Amt erstmals übernommen hatte. Seit elf Jahren ist sie nun Kanzlerin, doch selten war der Ärger über ihre Politik so groß wie im Moment. Während sie manchen als letzte Retterin der Westens erscheint, beschimpfen andere sie als deren Zerstörerin. Wir haben mit dem Politologen Josef Janning über die Kanzlerin, die Wahrnehmung ihrer Person und ihre Rolle in der EU gesprochen.
Besonders in der englischsprachigen Presse lasse sich ein "Pendelschwung, der geradezu hektisch ist", feststellen, sagt Janning im Deutschlandradio Kultur. "Wenn sie etwas der amerikanischen Presse glauben, dann war Merkel vor acht Wochen fast am Ende ihrer Regierung. Und nun ist sie gewissermaßen die Verteidigerin und Fackelträgerin der freien Welt. Das passt irgendwie nicht zusammen."
Sonderrolle der deutschen Kanzlerin in der EU
Deutschland und die Kanzerlin besäßen dennoch ein ganz besonders Gewicht in der EU, denn "gegen Deutschland läuft überhaupt nichts". Mit der Bundesrepublik laufe es jedoch auch nur dann, wenn die deutsche Politik sich bemühe klug auf die Interessenlagen anderer Mitgliedsstaaten einzugehen. "Dabei hängt viel von der deutschen Initiative ab. Das macht die besondere Rolle Berlins, die besondere Rolle Merkels aus."
Versäumt habe die Kanzlerin - ebenso wie viele ihrer Amtskollegen in der EU - allerdings eine adäquate Kommunikation über die Notwendigkeiten der europäischen Politikgestaltung, so Janning. Der wesentlichen Fehler der Staats- und Regierungschefs sei gewesen, "dass sie das Ruder in die Hand genommen haben, den Menschen aber gleichzeitig nicht voll Mitteilung gemacht haben, was sie da eigentlich tun."
Zu wenig Erklärungen für die Bürger
Merkel hätte den Bürger "eigentlich sagen müssen, 'was ich hier tue, tue ich aus der Notwendigkeit heraus, eigene Handlungsgrenzen und auch Handlungsschwächen durch europäisches Handeln auszugleichen'. Die Kanzlerin hätte versuchen müssen, zu erklären, warum es erforderlich sei Kompromisse zu machen und bestimmte Politikfelder auf die EU zu übertragen. Janning: "Diese Kommunikation findet in der Regel nicht statt. Sie findet auf keinen Fall so statt, dass die Menschen es tatsächlich verstehe.