"Angespannte Stimmung" in Tunis vor Trauerzug für Belaïd
Der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis warnt davor, die politische Lage in Tunesien mit der in Ägypten zu verwechseln. Es gebe derzeit einen "knallharten Machtkampf", sagte Hardy Ostry, aber auch relativ stabile institutionelle Verhältnisse.
André Hatting: Mit der Jasminrevolution in Tunesien vor zwei Jahren hatte der Arabische Frühling begonnen. Aber im Mutterland der Demokratiebewegung in Nordafrika herrscht Chaos. Die Ermordung des Oppositionspolitikers Belaïd vor zwei Tagen haben Massenproteste ausgelöst. Ein Polizist wurde getötet, Demonstranten zündeten Büros der regierenden islamistischen Ennahda-Partei an. Sie ist für die linke Opposition Schuld am Mord von Belaïd. Dessen Begräbnis soll heute stattfinden. Regierungsgegner haben deswegen zu einem Generalstreik und Massenprotesten aufgerufen.
In Tunis erreiche ich jetzt Hardy Ostry, er leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen.
Hardy Ostry: Guten Morgen, grüße Sie.
Hatting: Ist schon was zu spüren von den angekündigten Protesten und Streiks?
Ostry: Na ja, es herrscht eine angespannte Stimmung in Tunis, das kann man auf jeden Fall sagen. Wir alle erwarten die Ereignisse des Tages, die hier kommen werden, gegen Mittag. Der Staatspräsident hat gestern Abend mitgeteilt, dass das Militär den Trauerzug um Chokri Belaïd schützen wird, und wir gehen alle davon aus, dass es wohl im Laufe des Tages zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen Säkularen und Islamisten kommen wird.
Hatting: Aber Sie können noch ganz normal arbeiten in Tunis, werden nicht behindert, es gibt noch keine Störungen?
Ostry: Zur jetzigen Zeit auf jeden Fall. Wir haben auch im Laufe des gestrigen Tages relativ normal arbeiten können, wenngleich das Auswärtige Amt uns darauf hingewiesen hat, vorsichtig zu sein und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
Hatting: Für die Opposition trägt die islamistische Regierungspartei die Schuld an dem Mord. Halten Sie das auch für möglich?
Ostry: Ich würde diesen direkten kausalen Zusammenhang nicht so herstellen, sondern ich würde einfach sagen, dass sicherlich die Regierung oder die islamistische Ennahda-Partei in den vergangenen Wochen und Monaten eine Atmosphäre hat schaffen lassen, die von Gewalt geprägt war und die es hat möglich werden lassen, dass überhaupt ein solches Attentat hat vonstatten kommen lassen.
Hatting: Ministerpräsident Jebali hat angekündigt, er will eine Expertenregierung einsetzen, aber die Islamisten haben es abgelehnt. Wer hat eigentlich im Augenblick das Sagen in Tunesien?
Ostry: Ich denke, das ist genau die große Frage, die sich im Moment jeder hier stellt, und ich glaube, heute, spätestens morgen wird es hier sicherlich zu einer Neuordnung der politischen Verhältnisse kommen. Weil Jebali, derselbe ja, der der Ennahda angehört, also der Islamistenpartei, hat sich auf der einen Seite mit diesem Befreiungsschlag von seiner eigenen Partei distanziert, auch von seinem eigenen Parteichef. Aber auf der anderen Seite muss jetzt natürlich eine neue Ordnung her, und ich kann nur hoffen oder kann nur glauben, dass es gelingen wird, auf der Grundlage eines nationalen Konsenses eine nationale Einheitsregierung zu schaffen, die aus dieser politischen Krise heraushilft.
Hatting: Wie genau könnte dieser Konsens aussehen?
Ostry: Der könnte so aussehen, dass sich wirklich alle Parteien am Riemen reißen und endlich an einem Tisch sich versammeln und sagen, wir schaffen eine Regierung, in die wir jeweils entsprechende Technokraten entsenden, die nicht unbedingt parteigebunden sind, um dieses Land aus der Krise zu führen.
Hatting: Das ist ja das, was der Ministerpräsident auch vorgeschlagen hat.
Ostry: Nicht genau das – er hat das ja nicht genauer spezifiziert, das ist genau das Problem. Die Frage ist, wie weit dieser Konsens gehen wird. Also ich denke, er müsste so weit gehen, dass man wirklich alle Parteien mit an einen Tisch nimmt, alle Parteien, die wirklich maßgeblich einer bestimmten Prozentgrenze im Parlament vertreten sind, im jetzigen. Das Problem ist, dass die Ennahda, die Islamistenpartei, das zurückweist und im Moment sagt, nein, wir wurden davor nicht konsultiert, wir wurden da in diese Gespräche nicht eingebunden, und deswegen lehnen wir das ab. Das ist Sesselrücken wirklich am – oder Sesselfestsetzen, wenn man so will. Und das wird der Ennahda auch langfristig hier im Land nicht helfen.
Hatting: Wie schätzen Sie die Gefahr einer Islamisierung durch die Muslimbrüder ein, vor der die linke Opposition ja so schlagkräftig warnt?
Ostry: Ganz ehrlich, ich glaube, es geht im Moment nicht um die Frage der Islamisierung. Das ist sicherlich ein Thema und das ist auch ein Anliegen, was die Ennahda immer wieder, die Durchdringung der Gesellschaften mit religiösen Werten hat. Wir haben es hier im Moment mit einem knallharten Machtkampf zu tun. Es geht um die Macht, es geht darum, dieses Land weiterzuführen unter religiösen Vorzeichen.
Und von daher denke ich, sollten wir auch aus Europa oder auch aus Amerika oder als Beobachter uns gar nicht auf diese Fallen einlassen, sondern einfach ganz klar bewerten: Hier geht es um einen Machtkampf, der muss mit demokratischen Mitteln bestritten werden, und von daher sollten wir vor allem darauf setzen, dass sich die demokratischen Kräfte zusammensetzen.
Hatting: Ist die Situation in Tunesien mit der in Ägypten vergleichbar?
Ostry: Ich denke, qualitativ nicht. Qualitativ, auch vom Niveau der Auseinandersetzung her ist Ägypten noch einmal eine ganz andere Situation. Wir haben es hier in Tunesien mit einer islamistischen Bewegung zu tun, deren Köpfe weitgehend in der Vergangenheit im Gefängnis gesessen haben oder im Exil waren. Das ist in Ägypten eine ganz andere Situation. Auch das führt dazu, dass der Regierung hier ja immer wieder von Beobachtern auch vorgeworfen wird, dass sie relativ inelegant die Regierungsgeschäfte führen, und ich denke, von daher kann man die Situation mit Ägypten nicht vergleichen. Hinzu kommt, dass Tunesien über relativ stabile, legale, auch französische institutionelle Verhältnisse verfügt, die das Regieren noch einigermaßen ermöglichen, was aber nicht die Gefahr abhindert, dass das Land auch in ein Chaos stürzen kann.
Hatting: Hardy Ostry, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Ostry: Danke Ihnen.
In Tunis erreiche ich jetzt Hardy Ostry, er leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen.
Hardy Ostry: Guten Morgen, grüße Sie.
Hatting: Ist schon was zu spüren von den angekündigten Protesten und Streiks?
Ostry: Na ja, es herrscht eine angespannte Stimmung in Tunis, das kann man auf jeden Fall sagen. Wir alle erwarten die Ereignisse des Tages, die hier kommen werden, gegen Mittag. Der Staatspräsident hat gestern Abend mitgeteilt, dass das Militär den Trauerzug um Chokri Belaïd schützen wird, und wir gehen alle davon aus, dass es wohl im Laufe des Tages zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen Säkularen und Islamisten kommen wird.
Hatting: Aber Sie können noch ganz normal arbeiten in Tunis, werden nicht behindert, es gibt noch keine Störungen?
Ostry: Zur jetzigen Zeit auf jeden Fall. Wir haben auch im Laufe des gestrigen Tages relativ normal arbeiten können, wenngleich das Auswärtige Amt uns darauf hingewiesen hat, vorsichtig zu sein und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
Hatting: Für die Opposition trägt die islamistische Regierungspartei die Schuld an dem Mord. Halten Sie das auch für möglich?
Ostry: Ich würde diesen direkten kausalen Zusammenhang nicht so herstellen, sondern ich würde einfach sagen, dass sicherlich die Regierung oder die islamistische Ennahda-Partei in den vergangenen Wochen und Monaten eine Atmosphäre hat schaffen lassen, die von Gewalt geprägt war und die es hat möglich werden lassen, dass überhaupt ein solches Attentat hat vonstatten kommen lassen.
Hatting: Ministerpräsident Jebali hat angekündigt, er will eine Expertenregierung einsetzen, aber die Islamisten haben es abgelehnt. Wer hat eigentlich im Augenblick das Sagen in Tunesien?
Ostry: Ich denke, das ist genau die große Frage, die sich im Moment jeder hier stellt, und ich glaube, heute, spätestens morgen wird es hier sicherlich zu einer Neuordnung der politischen Verhältnisse kommen. Weil Jebali, derselbe ja, der der Ennahda angehört, also der Islamistenpartei, hat sich auf der einen Seite mit diesem Befreiungsschlag von seiner eigenen Partei distanziert, auch von seinem eigenen Parteichef. Aber auf der anderen Seite muss jetzt natürlich eine neue Ordnung her, und ich kann nur hoffen oder kann nur glauben, dass es gelingen wird, auf der Grundlage eines nationalen Konsenses eine nationale Einheitsregierung zu schaffen, die aus dieser politischen Krise heraushilft.
Hatting: Wie genau könnte dieser Konsens aussehen?
Ostry: Der könnte so aussehen, dass sich wirklich alle Parteien am Riemen reißen und endlich an einem Tisch sich versammeln und sagen, wir schaffen eine Regierung, in die wir jeweils entsprechende Technokraten entsenden, die nicht unbedingt parteigebunden sind, um dieses Land aus der Krise zu führen.
Hatting: Das ist ja das, was der Ministerpräsident auch vorgeschlagen hat.
Ostry: Nicht genau das – er hat das ja nicht genauer spezifiziert, das ist genau das Problem. Die Frage ist, wie weit dieser Konsens gehen wird. Also ich denke, er müsste so weit gehen, dass man wirklich alle Parteien mit an einen Tisch nimmt, alle Parteien, die wirklich maßgeblich einer bestimmten Prozentgrenze im Parlament vertreten sind, im jetzigen. Das Problem ist, dass die Ennahda, die Islamistenpartei, das zurückweist und im Moment sagt, nein, wir wurden davor nicht konsultiert, wir wurden da in diese Gespräche nicht eingebunden, und deswegen lehnen wir das ab. Das ist Sesselrücken wirklich am – oder Sesselfestsetzen, wenn man so will. Und das wird der Ennahda auch langfristig hier im Land nicht helfen.
Hatting: Wie schätzen Sie die Gefahr einer Islamisierung durch die Muslimbrüder ein, vor der die linke Opposition ja so schlagkräftig warnt?
Ostry: Ganz ehrlich, ich glaube, es geht im Moment nicht um die Frage der Islamisierung. Das ist sicherlich ein Thema und das ist auch ein Anliegen, was die Ennahda immer wieder, die Durchdringung der Gesellschaften mit religiösen Werten hat. Wir haben es hier im Moment mit einem knallharten Machtkampf zu tun. Es geht um die Macht, es geht darum, dieses Land weiterzuführen unter religiösen Vorzeichen.
Und von daher denke ich, sollten wir auch aus Europa oder auch aus Amerika oder als Beobachter uns gar nicht auf diese Fallen einlassen, sondern einfach ganz klar bewerten: Hier geht es um einen Machtkampf, der muss mit demokratischen Mitteln bestritten werden, und von daher sollten wir vor allem darauf setzen, dass sich die demokratischen Kräfte zusammensetzen.
Hatting: Ist die Situation in Tunesien mit der in Ägypten vergleichbar?
Ostry: Ich denke, qualitativ nicht. Qualitativ, auch vom Niveau der Auseinandersetzung her ist Ägypten noch einmal eine ganz andere Situation. Wir haben es hier in Tunesien mit einer islamistischen Bewegung zu tun, deren Köpfe weitgehend in der Vergangenheit im Gefängnis gesessen haben oder im Exil waren. Das ist in Ägypten eine ganz andere Situation. Auch das führt dazu, dass der Regierung hier ja immer wieder von Beobachtern auch vorgeworfen wird, dass sie relativ inelegant die Regierungsgeschäfte führen, und ich denke, von daher kann man die Situation mit Ägypten nicht vergleichen. Hinzu kommt, dass Tunesien über relativ stabile, legale, auch französische institutionelle Verhältnisse verfügt, die das Regieren noch einigermaßen ermöglichen, was aber nicht die Gefahr abhindert, dass das Land auch in ein Chaos stürzen kann.
Hatting: Hardy Ostry, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Ostry: Danke Ihnen.