Anglizismen im neuen Duden

"Weder Fortschritt noch Verfall"

Eine Auswahl der neuen Wörter im Duden.
Viele moderne Wörter kommen inzwischen aus dem Englischen und werden eingedeutscht. Für Sprachkritiker Bastian Sick ein ganz normaler Vorgang. © Deutschlandradio
Bastian Sick im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Im neuen Duden begegnen uns 5000 neue Wörter, viele von ihnen sind Anglizismen. Fortschritt oder Kulturverfall? Weder noch, sagt Bastian Sick. Der Bestsellerautor meint: Eine Sprachpolizei brauchen wir nicht.
Von heute an liegt der neue Duden stapelweise in den Buchhandlungen. Die 27. Auflage des Standardwerks zur deutschen Rechtschreibung enthält rund 5.000 neue Wörter. Sie zeigen, dass sich die deutsche Sprache stetig ändert. So sind jetzt Darknet, facebooken und Livestream im neuen Duden enthalten - Wörter, die vor 20 Jahren noch niemand kannte.
Es gibt nicht wenige, die nun einen Kulturverfall beklagen - die beständige Übernahme von englischen Wörtern ins Deutsche ist Kritikern ein echter Dorn im Auge.
Der Sprachkritiker Bastian Sick
Der Sprachkritiker Bastian Sick© picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Der Bestsellerautor und Sprachexperte Bastian Sick sieht das völlig anders. Im Deutschlandfunk Kultur verwies er auf das gewandelte Selbstverständnis der Duden-Redaktion. Der Duden habe lange als normatives Standardwerk gegolten, inzwischen arbeite die Redaktion eher deskriptiv, sagte er.

Entschieden gegen staatliche Eingriffe

Das ist laut Sick auch richtig - denn das qualitative Bewerten von Wortneuschöpfungen sei sehr schwierig. Sprache sei etwas "unglaublich Demokratisches": "Wir alle entscheiden, welche Wörter verwendet werden." Sick sieht den neuen Begriffen, die der Duden aufgenommen hat - auch wenn sie ihren Ursprung in einer Fremdsprache wie etwa Englisch haben -, weder "Fortschritt noch Verfall": Die Sprache wandele sich, weil sie sich anpassen müsse - beispielsweise an neue Technologien.
Einen strikten gesetzlichen Schutz der Sprache, wie er etwa in Frankreich betrieben wird, hält Sick eher für schädlich. Alle Eingriffe des Staates in die Sprache hätten zu "nichts Gutem" geführt, betonte der Autor: "Wenn der Staat uns vorschreiben will, wie wir zu sprechen, zu schreiben haben, ist der nächste Schritt, dass er uns auch vorschreiben will, wie wir zu denken haben. Und das haben wir in zwei Diktaturen zu Genüge erlebt."
Eine Sprachpolizei lehnt Sick ab: "Ich bin ein großer Freund der Polizei und auch der Sprache, aber man muss da keine Alarmsirenen tönen und keine Handschellen klicken lassen, wenn mit der Sprache auf kreative oder auf unkonventionelle Weise umgegangen wird."
(ahe)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Heute erscheint der neue Duden. 5.000 Wörter sind darin neu aufgenommen worden, darunter auch viele Anglizismen, im Wörterbuch der deutschen Sprache. Darüber will ich jetzt mit Bastian Sick sprechen. Der Autor hat ja mit Büchern wie "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" Millionen Menschen auf die Feinheiten und auf die Fallstricke der deutschen Sprache aufmerksam gemacht. Ich grüße Sie!
Bastian Sick: Einen wunderschönen guten Morgen!
von Billerbeck: Der Duden beschreibt ja Veränderungen der Sprache. Die Redaktion beobachtet und hat quantitative Kriterien, wann eine neue Wortschöpfung Eingang findet. Wäre es nicht besser, die Redaktion würde Neologismen qualitativ bewerten?
Sick: Das fragen sich viele. Das ist aber sehr schwierig, denn wer soll sagen, ob ein Wort es wert ist oder eben nicht? Letztlich ist Sprache ja etwas unglaublich Demokratisches. Wir alle entscheiden, welche Wörter verwendet werden, welche Wörter benutzt werden und verbreitet werden. Und der Duden beobachtet das eben nur und hält es dann am Ende fest. Und es haben sich offenbar genügend Fundstellen gefunden für neue Wörter wie "Work-Life-Balance", "Low Carb", Hoodie", "Urban Gardening", "Roadtrip", "Hygge" und "Jumpsuit" und wie sie alle heißen.
von Billerbeck: Das heißt, es müssen nur genug Doofköppe sein, und die müssen ein Wort lange genug falsch verwenden, und dann steht's irgendwann als richtiges im Duden? Zum Beispiel der oder das Zölibat. Ist das denn im Sinne des Sprachwandels wünschenswert?

Die Duden-Redaktion macht ihre Arbeit sehr gründlich

Sick: Dass es bei bestimmten Wörtern mehrere Möglichkeiten gibt, welchen Artikel man ihnen zuordnen soll, dass es da einen Unterschied zwischen der Volkssprache und der Wissenschaftssprache gibt, das war immer schon so. Das ist nicht erst jetzt im neuesten Duden der Fall, und da muss man auch der Duden-Redaktion keinen Vorwurf machen, dass sie ungenau sei oder so etwas. Die macht ihre Arbeit sehr gründlich, und ich bin sehr dankbar dafür, dass es den Duden gibt. Es ist eben immer die Frage, will man deskriptiv arbeiten oder will man normativ arbeiten. Der Duden galt lange Zeit als normatives Standardwerk, das heißt also, er hat festgesetzt, wie die Regeln lauten. Was im Duden stand, das galt. Und heute ist es eben so, dass der Duden gar nicht mehr unbedingt sich als festschreibendes Regelwerk verstehen will, sondern eben als beschreibendes. Festschreiben, wie etwas zu sein hat, das tut ja der Rat für deutsche Rechtschreibung.
von Billerbeck: Aber wenn sich Sprache wandelt, und das hat sie ja schon immer getan, das weiß ja jeder. Ich als Berlinerin weiß, wie viele Berlinismen im Deutschen sind, die gleichzeitig aus dem Französischen, aus dem Jiddischen, aus dem Polnischen kommen. Also Sprachwandel, ist das eher Fortschritt oder eher Verfall?

Die Sprache muss sich wandeln

Sick: Weder noch. Der Wandel gehört zur Natur. Alles wandelt sich, auch draußen, um uns herum. Das Klima zum Beispiel. Und das wissen wir noch nicht, ob das wirklich ein Verfall ist oder ob es nicht einfach nur ein Übergang in etwas anderes ist. So ist es eigentlich immer gewesen, und mit der Sprache auch. Die muss sich wandeln, weil sie sich anpassen muss. Sie muss sich zum Beispiel an die neuen technischen Voraussetzungen anpassen, an die immer neuen Geräte oder Moden, die es gibt, für die wir neue Wörter brauchen. Und diese Wörter sind irgendwann selbstverständlich, und deshalb ist so was wie "appen" oder "Browser" heute praktisch schon Teil des normalen Standardwortschatzes, während das eben noch vor 30, 40 Jahren niemand verstanden hätte.
von Billerbeck: Trotzdem ist es ein deutsches Wort? Alles das, was Sie vorhin schon aufgezählt haben, gehört das in einen Duden?
Sick: Das ist dann ein deutsches Wort, wenn wir Deutschen beschließen, dieses Wort, das aus einer anderen Sprache stammt, zu adoptieren. Und das haben wir ja mit Fremdwörtern immer schon so gemacht. Wir haben zunächst mal aus dem Lateinischen und Griechischen vieles übernommen, und dann aus dem Italienischen und natürlich vor allem aus dem Französischen. Aber vor allem im späten 20. und im 21. Jahrhundert hauptsächlich eben aus dem Englischen, weil das die vorherrschende Weltsprache ist. Aber wenn es in der deutschen Sprache dann aufgenommen ist, dann wird es auch nach den Regeln der deutschen Grammatik behandelt. Das ist zum Beispiel auch bei der Perfektbildung ganz interessant, wenn man sieht, wie wird eigentlich "recycelt" geschrieben oder "gejumpt" oder "gejoggt". Das wird dann natürlich anders geschrieben als das englische Perfekt.
von Billerbeck: Ich habe gerade überlegt, wie es geschrieben wird – Gott – trotzdem ist es ja so, dass in Zeiten des Internets sich das Ganze ja verändert hat. Es ist alles viel schneller geworden. Außerdem kann sich jeder schriftlich äußern, und die ganze Welt kann es lesen. Das heißt, die Fehler, die da gemacht werden, die werden auch salonfähig. Wird darunter unsere Sprache nicht irgendwann leiden?

In den Salons wird noch die Nase gerümpft

Sick: Ob sie salonfähig geworden sind, das weiß ich noch nicht. In den Salons, in denen ich verkehre, nicht. Da wird noch über so etwas die Nase gerümpft. Aber das ist natürlich immer eine Frage der Betrachtung. Natürlich sind das verschiedene Medien. Wenn ich appe, also mit dem Handy, dem Smartphone arbeite, dann gelten wahrscheinlich auch da andere Maßstäbe, als wenn ich einen formalen Brief schreibe. Aber schon zwischen dem schriftlichen Brief, dem handschriftlichen Brief und der E-Mail waren ja große Qualitätsunterschiede festzustellen. Inzwischen geben sich viele bei der E-Mail deutlich mehr Mühe und sehen das eben als einen offiziellen amtlichen Nachfolger des schriftlichen Briefes an. Und vielleicht gibt man sich auch eines Tages bei WhatsApp oder bei der SMS mehr Mühe, weil man dann doch feststellt, oh, die Beiträge sind ja doch was, was länger Bestand hat und von mehreren Menschen gelesen wird. Wenn es die Zeit überdauert, dann will ich doch bitte, dass man von mir ein möglichst fehlerfreies Bild in Erinnerung behält.
von Billerbeck: Ihr Wort in Gottes Gehörgang, kann ich da nur sagen, denn die Frage lautet ja, wer beherrscht eigentlich noch die deutsche Sprache in allen Feinheiten – von Ihnen abgesehen mal, wenn selbst bei und in Qualitätsmedien immer mehr Fehler auftauchen und auch ausgebildete Journalisten da manchmal nicht so gut aussehen?

Bei vielen Zeitungen gibt es keine Schlussredaktion mehr

Sick: Ja, das ist natürlich einerseits eine Frage der Ausbildung, die offenbar nachgelassen hat, obwohl sich das auch schon wieder ändert. An den Schulen wird schon wieder mehr Wert auf Grammatik und Rechtschreibung gelegt als noch in den 90er-Jahren. Dann ist es aber auch eine Frage der Führung von Zeitungen und Zeitschriften. Welche Prioritäten werden da überhaupt gesetzt? Früher war eine Zeitung eben hauptsächlich ein – das war ein Qualitätsprodukt, das Informationen verbreiten sollte und das sich selbst auch als Bewahrer und Behüter einer sprachlichen Kultur verstand. Und heute sind alle Zeitungen nur noch Wirtschaftsunternehmen, die möglichst billig und schnell produziert werden müssen. Und deshalb gibt es keine Schlussredaktion mehr, keine Korrektorate. Nur noch beim "Spiegel", bei der "Zeit" und der "FAZ" und der "Süddeutschen". Alle anderen haben das abgeschafft, aus Kostengründen. Das mag man bewerten, wie man will, ich finde das nicht sehr gut.
von Billerbeck: Ich war bei einer der genannten Zeitungen, und auch da wurde schon vor zehn Jahren darüber diskutiert, das abzuschaffen. Gott sei Dank ist es nicht geschehen. In Frankreich versteht sich ja die Académie Française als Hüterin der französischen Sprache, und da gibt es sogar ein Gesetz, das verbietet, Anglizismen aufzunehmen ins Französische, seit 1994. Brauchen wir so eine Einrichtung auch?

Plädoyer gegen eine Sprachpolizei

Sick: Ja, das Französische hat seine Kultur immer schon stärker beschützt und abgeschirmt als andere. Ich glaube, wir brauchen das nicht. Das Deutsche ist stark genug, wunderbar genug und reich genug, um mit all dem fertig zu werden, mit dem es fertig werden muss, mit all den Anpassungen ans Englische, an das Technische, an die Moden. Und je mehr Überwachung stattfindet, je mehr reglementiert wird, desto schwieriger wird es dann ja auch für den Einzelnen. Und alle Eingriffe des Staates in die Sprache, das hat man ja in der Geschichte gesehen, haben zu nichts Gutem geführt. Wenn der Staat uns vorschreiben will, wie wir zu sprechen, zu schreiben haben, ist der nächste Schritt, dass er uns auch vorschreiben will, wie wir zu denken haben. Und das haben wir in zwei Diktaturen zu Genüge erlebt und wollen es eigentlich nie wieder haben. Und deshalb ist es eigentlich gut, wenn sich der Staat weitestmöglich raushält aus der Sprache.
von Billerbeck: Das heißt, Bastian Sick ist gegen eine Sprachpolizei.
Sick: Ja, genau. Ich bin ein großer Freund der Polizei und auch der Sprache, aber man muss da keine Alarmsirenen tüten und keine Handschellen klicken lassen, wenn mit der Sprache auf kreative oder eben unkonventionelle Weise umgegangen wird.
von Billerbeck: Heute erscheint der neue Duden. Wir haben darüber gesprochen mit Bastian Sick. Sein neuestes Buch heißt übrigens "Schlagen Sie dem Teufel ein Schnäppchen. Ein Bilderbuch aus dem Irrgarten der deutschen Sprache. Das ist gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, und ab September ist er damit auf Lesereise. Herr Sick, ich danke Ihnen!
Sick: War mir ein Vergnügen. Einen schönen Tag noch!
von Billerbeck: Danke, wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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