Angriff auf das konventionelle Kino

Von Bernd Sobolla |
Der dänische Regisseur Lars von Trier gilt als einer der bedeutendsten europäischen Filmemacher. Werke wie "Breaking the waves", "Dancer in the dark" oder "Dogville" wurden vielfach ausgezeichnet. Aber Lars von Trier und seine Filme sind auch immer für einen Skandal gut. Das Babylon-Kino in Berlin-Mitte widmet dem Regisseur gerade eine Retrospektive.
Filmausschnitt "Idioten"
"Wieso tun sie das? / Das ist eine verdammt gute Frage. / Sie suchen ihren inneren Idioten, Karin. Das kann ihnen keiner abnehmen. Ich meine worin liegt der Sinn einer Gesellschaft, die immer reicher wird, aber niemanden glücklicher macht. In der Steinzeit, da mussten die Idioten sterben."

In dem Film "Idioten" von 1998 lebt eine Gruppe von Leuten zurückgezogen in einem Haus in der dänischen Provinz. Halb Therapiegruppe, halb Hippie-Kommune, bilden sie eine Art Gegengesellschaft, nehmen aber immer wieder Kontakt zu anderen Bürgern auf, um unter den "Normalen" geistig Behinderte zu spielen. Der Film kann durchaus als eine Art Schlüsselwerk von Lars von Trier gesehen werden. Denn um gesellschaftliche Außenseiter geht es bei ihm eigentlich immer. Und die macht er mit Mitteln der Provokation sichtbar:

"Ich stamme aus einer Zeit, da zumindest in Dänemark eine Provokation grundsätzlich als gut angesehen wurde. Denn sie löst einen Denkprozess aus. Du betrachtest die Dinge neu. Das macht dich vielleicht sauer oder vielleicht fühlst dich auch toll. Aber es kommt etwas in Bewegung."

Heute ist bekannt, dass der Filmemacher seit seiner Kindheit unter Depressionen leidet. 1956 wird er als Kind einer Frauenrechtlerin in Kopenhagen geboren. Lange Zeit glaubt der Junge, dass der Ehemann seiner Mutter, ein dänischer Jude, auch sein Vater wäre. Erst 1995 erfährt er, dass sein leiblicher Vater aus einer deutschen Familie stammt. Von Trier wächst in einem antiautoritären, kommunistisch geprägten Elternhaus auf, macht früh erste Filmversuche mit einer Super-8-Kamera. Von 1976 bis 82 studiert er Film an der Universität Kopenhagen. Sein Abschlussfilm "Images of a Relief" thematisiert den Nationalsozialismus. Dann folgt seine "Europa-Trilogie", in der er sich mit der Geschichte und dem Niedergang Europas im 20. Jahrhundert auseinandersetzt. Aber auch Fragen nach Gott und Religion bewegen ihn. Und der Einfluss von Filmemachern wie Ingmar Bergman oder Carl Theodor Dreyer wird sichtbar.

Filmausschnitt "Europa"
"Im Kampf ist das Leben recht einfach. Die wirklichen Komplikationen entstehen hinterher, nicht wahr? Was meinen Sie, Pater? / Sicher, im Krieg ist die Religion wichtiger als danach, wenn die Waffen schweigen und sich Verwirrung unserer Seelen bemächtigt. Wenn wir im Krieg zu Gott beten, können wir mit seiner Unterstützung rechnen – wenn wir nur an unsere Sache glauben. / Entschuldigen Sie, Pater! Aber was ist mit der anderen Seite? Der Feind glaubt doch auch an seine Sache."

Die "Europa-Trilogie", bestehend aus "Element of Crime", "Epidemic" und "Europa" wird mit Preisen überschüttet. Für Lars von Trier ist es der internationale Durchbruch. Und 1995 stellt er mit Thomas Vinterberg unter anderem das Dogma-Manifest in Cannes vor. Die Bewegung lehnt technische Effekte beim Filmemachen ab und wendet sich gegen die Entfremdung des Kinos. Vinterbergs "Das Fest" und von Triers "Idioten" sind 1998 die ersten Dogma-Filme:

"Ich hatte das Gefühl, dass die Filmemacher so genügsam waren. Dass die Leute das alles nicht mehr ernst nahmen. Und wenn du etwas ernsthaft machen willst, dann machst du dir die Dinge schwer. Zuerst steigst du auf den Mount Everest, und beim zweiten Mal besteigst du ihn ohne Seil."

Die Filme, die Lars von Trier seit Mitte der 1990er-Jahre dreht, handeln immer wieder von Menschen, die in Opferrollen gedrängt werden. In "Breaking the waves" glaubt eine junge Frau nach dem Unfall ihres Mannes, der auf einer Ölplattform arbeitet, dass sie Schuld an seiner Querschnittslähmung ist. Denn sie hatte Gott darum gebeten, dass er zu ihr kommen möge. Der Film wird in Cannes mit dem Jury-Preis ausgezeichnet. Und mit "Dancer in the dark" gewinnt Lars von Trier 2000 die Goldene Palme. Das Drama mit der isländischen Sängerin Björk schildert, wie sich eine mittelose junge Frau für ihren Sohn aufopfert, der zu erblinden droht.

2003 beginnt Lars von Trier seine USA-Trilogie mit dem Film "Dogville". Darin spielt Nicole Kidman, die Tochter eines Gangsterbosses, die sich darum bemüht, aus der Kriminalität auszubrechen. In einem unbekannten Dorf, wagt sie einen Neuanfang, wird aber von allen nur ausgebeutet und erniedrigt. Dabei lässt der Regisseur seine Protagonisten auf einer Bühne spielen, auf der Straßen und Häuser nur aufgezeichnet sind. Eine visuelle Reduktion, die an die Grenzen dessen geht, was man unter Kino versteht, aber von großer schauspielerischer Intensität geprägt ist. Auch dieser Film ist ein Angriff auf unser konventionelles Kinoverständnis. Und genau das macht Lars von Triers Werk aus:

"Die Filme, die ich gerne mache, sind Filme, an die man glaubt während man sie sieht. Dann ist man etwas verwirrt. Und am nächsten Tag denkst du: ‚Was verdammt noch mal war das denn?’ Denn dann hat dich der Film emotionale gepackt. Und wenn du immer wieder darüber nachdenkst, hat dich auch die intellektuelle Seite ergriffen."
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