Angriff auf die Gegenwart

Von Jochen Stöckmann |
Wenn Stephan Berg die Führung des Kunstmuseums Bonn übernimmt, steht er vor einigen Problemen: Private Leihgaben werden abgezogen, renommierte Bilder versteigert. Doch der neue Intendant sieht darin eine Chance: Mit Kunst der Gegenwart und der 90er Jahre möchte er für frischen Wind in den Museumshallen sorgen.
Ein interessante Neuerung in der deutschen Museumslandschaft bringt das kommende Jahr mit sich: Als Nachfolger für den Anfang 2008 ausscheidenden Dieter Ronte wird im Kunstmuseum Bonn kein Direktor mehr antreten. Stephan Berg, bislang Leiter des Kunstvereins Hannover, wechselt als "Intendant" an den Rhein.

Allerdings wird die "Hausmacht" des dortigen Kunstmuseums erheblich geschwächt sein, wenn der in Hannover erfolgreiche Ausstellungsmacher am 1. April in Bonn antritt. Mit der privaten Sammlung Ströher, vormals Grothe, wird nämlich, wie seit längerem bekannt, pünktlich zum Ende des ersten Quartals eine Leihgabe abgezogen, die im Kunstmuseum bisher etwa die Hälfte des Bestandes ausmacht.

Nun kommt eine weitere schlechte Nachricht hinzu: Ein Selbstbildnis von August Macke, das seit dreißig Jahren als Dauerleihgabe zu den Attraktionen des Museum zählt, will der private Besitzer zu Geld machen. Das Gemälde wird wohl in die Auktion gehen, ebenso wie Mackes "Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer", das bereits mit 1,5 Millionen Euro in der Angebotsliste des Londoner Aktionshauses Sotheby’s steht.

Rezepte zum Ausgleich dieser Aderlässe hält der seit 2004 an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig lehrende Stephan Berg sicherlich parat: Der promovierte Germanist hat sich Kritiker und Kurator einen Namen gemacht, ist ein gefragter Juror und gilt als exzellenter Netzwerker. Zuletzt war er an der erfolgreichen Ausstellung "Made in Germany" beteiligt, die der Kunstverein Hannover gemeinsam mit dem Sprengel Museum und der Kestnergesellschaft parallel zur Documenta und dem Skulpturenprojekt Münster veranstaltete.

Dass ein promovierter Germanist einen ganz normalen Kunstverein zur ersten Adresse im internationalen Ausstellungsgeschäft macht, ist ungewöhnlich genug. Nun aber übernimmt Stephan Berg, der als Direktor des Kunstvereins Hannover Deutschlandpremieren des Fotografen Gregory Crewdson oder vom Zeichnertalent Marcel van Eden organisierte, das Kunstmuseum in Bonn. Und zwar als "Intendant", also mit einer bis dato unbekannten, penibel ausgetüftelten Vertragskonstruktion:

"Der Vorteil besteht in einer Planungssicherheit über die gesamte Vertragslaufzeit, bei mir sind es acht Jahre. Das heißt, sie verhandeln nicht nur ihren individuellen Vertrag, sondern sie verhandeln an dieser Stelle auch die Etats des Museums. Deswegen haben sich die Verhandlungen auch länger hingezogen: Weil wir jetzt eine Vertragsstruktur haben, bei der, etwas flapsig gesagt, Bonn komplett geflutet werden kann und dennoch kann dem Museum von diesem garantierten Etat innerhalb dieser acht Jahre kein Euro weggenommen werden."

Bei einem ehemaligen Kunstkritiker ohne juristische oder betriebswirtschaftliche Vorkenntnisse erstaunt dieser ebenso nüchterne wie optimistische Realismus im Umgang mit der stets angespannten Finanzlage. Aber während die meisten seiner Kollegen darüber klagen, dass bis zu 70 Prozent ihrer Anstrengungen in Verwaltungsarbeit oder dem Einwerben von Sponsorengeldern bestehen, geht Berg das Problem sozusagen sportlich an:

"Ich bilde mir ein, dass ich tatsächlich eine gewisse Lust an Zahlen, auch an der kreativen Gestaltung von Budgets habe, natürlich immer streng im Rahmen des Legalen. Außerdem habe ich wirklich Spaß daran, organisatorische Zusammenhänge zu denken und eben auch das Potenzial bestimmter Organisationsformen auszuloten und dann auch auszunutzen."

Da wird der "Netzwerker" erkennbar: 1990 hatte Berg, aufgewachsen in London und Paris, den Kunstverein Freiburg übernommen, seither nicht nur die internationalen Kontakte gepflegt, sondern auch gelernt, die Organisationsklaviatur eines solchen Hauses perfekt zu beherrschen. Für ihn liegen die Vorteile eines Kunstvereins auf der Hand:

"Kurze Entscheidungswege, Schnelligkeit zwischen einer Ideenfindung und dann der späteren Realisierung. Der Nachteil ist natürlich, dass vieles von dem, was wir tun, eine bestimmte Zeit nicht überlebt. Das halte ich aber nicht für einen strukturellen Nachteil, sondern im Gegenteil für ein Identitätsmerkmal von Kunstvereinsarbeit: Fragen stellen ohne die Antworten jetzt schon zu wissen. Das ist einfach ein Unterschied zum Museum."

Nun also kommt der Quantensprung, wohl auch die nächste Stufe auf der Karriereleiter: Ein Museum mit entsprechenden Ansprüchen und einer festen Sammlung, die allerdings in Bonn am 31. März, am Tag vor Bergs Amtsübernahme, um die Hälfte reduziert wird. Die ehemalige Sammlung Grothe, als Leihgabe im Kunstmuseum Bonn, wird von den neuen Besitzern, dem Sammlerpaar Ströher, abgezogen. Für Stephan Berg durchaus die Chance für einen Neustart:

"Es kann nicht darum gehen, wenn man heute ein Museum leitet, ein sozusagen höherer Hausmeister einer Großsammlung zu sein. Das Erpressungspotenzial, das unter den neuen Besitzverhältnissen jetzt auf das Haus zugekommen wäre, dass die Sammler sagen, wir wollen in erster Linie unsere Sammlung nach bestimmten Kriterien repräsentiert sehen, dieses Risiko ist doch sehr hoch gewesen und auch in den Vertragsverhandlungen mit den Ströhers wurde das immer wieder deutlich."

Künftig, so betont der designierte Intendant, wird mit gebotener Distanz über die Aufnahme private Kollektionen in die Obhut des Museums entschieden: Die Konvolute müssen zum Profil des Hauses passen und ihre Qualität soll so etwas wie kunsthistorische Haltbarkeit garantieren. Mit diesen Grundsätzen tritt Berg in Bonn an:

"Dann beginnt in der Tat eine neue Ära und ich stelle mir vor, dass wir, aufbauend auf dem Rheinischen Expressionismus, der deutschen Kunst nach 1945 mit einem Schwerpunkt in den siebziger und auch noch achtziger Jahren tatsächlich jetzt mutig die 90er Jahre und die Gegenwart in Angriff nehmen."

Das hat schon in Hannover, im Künstlerhaus mit seiner neoklassizistischen, großzügigen Raumflucht bestens funktioniert. Eines Tages hingen dort Gemälde von Luc Tuymans, immerhin Millionenwerte:

"Im Falle von Luc Tuymans war es wirklich so, dass er sagte ’Ja, das sind sehr schöne Räume und da sollten wir doch etwas Größeres machen’. Das Kapital war und sind diese auratischen, aber auch sehr benutzbaren, in jede Richtung erweiterbaren, modulierbaren Räume. Das zweite ist sicherlich ein über jetzt zumindest einige Dekaden gewachsenes Vertrauen, das auch internationale Künstler in die Qualität der Ausstellungspolitik dieses Hauses entwickeln konnten."

Die besondere Qualität, das war ein Kunstvereinsprogramm ohne Schielen auf Prominenz und große Namen, nicht glamourös, sondern mit ausschweifender Neugierde formuliert und auf thematisch zugespitzte Schwerpunkte bedacht:

"Einerseits einzelne künstlerische Positionen an Schnittstellen zwischen verschiedenen Disziplinen. Das können Sie etwa bei Leni Hoffmann sehen, die zwischen Bild, Raum, Architektur, Skulptur aber auch Modell schwankt. Und Fragestellungen, die ich versucht habe in größere thematische Ausstellungen zu bringen. Zum Beispiel die Untersuchung von ’Theatralität’, die auf den Werbebereich, die in die Inszenierung der Politik, die in unsere individuellen Selbstentwürfe im gesellschaftlichen Kontext durchschlägt."

Auch die Quote ist für Stephan Berg kein Fremdwort. Um die Besucherzahlen zu erhöhen, hat er sich in Hannover diverse Neuerungen einfallen lassen:

"Mit den talking labels, mit mise en scène, mit den blind dates haben wir versucht, diese Schwellenangst dem Publikum zu nehmen."

Talking labels: auskunftsfreudige Mitarbeiter anstelle eines Hinweisschildes. Mise en scène: Kuratoren und Museumsleute, die über ihre Art, Kunst zu präsentieren berichten. Blind dates: ein Termin zwischen zwei Ausstellungen, an dem "Überraschungskünstler" die Räume für einen Abend bespielen. Dieses Rezept dürfte auch dem Kunstmuseum Bonn gut bekommen.