Psychologie

Die guten Seiten der Angst

Eine Frau zieht sich die Bettdecke übers Gesicht, nur noch ihre Augen, Stirn und Haaren schauen darunter hervor.
Unter den richtigen Umständen kann es auch Spaß machen, sich zu fürchten und zu erschrecken - zum Beispiel, wenn man im Bett einen Horrorfilm schaut. © Unsplash.com / Alexandra Gorn
Zittern, Schwitzen, Herzrasen: Angst gilt als negatives Gefühl. Doch in der richtigen Dosis hat sie auch lauter positive Auswirkungen. Warum es gut sein kann, sich zu fürchten.
Dass Angst ein wichtiges Gefühl ist, würde wohl niemand bestreiten - schließlich schützt sie uns vor Gefahren. Doch ab und zu Angst zu empfinden ist nicht nur sinnvoll, es kann sich sogar richtig gut anfühlen. Wir stellen vier positive Aspekte der Angst vor.

Angst macht Spaß

Angst kann uns einen besonderen Kick geben. Das können wir zum Beispiel in der Achterbahn erfahren. Wer mitfährt, empfindet eine Mischung aus Angst und Euphorie. Doch warum macht es Spaß, durch die Loopings zu rasen?
"Wenn Sie in einer Achterbahn fahren, da wird Ihnen ja suggeriert, dass Sie in der nächsten Kurve rausfliegen. Und dann werden ganz tüchtig Angsthormone im ganzen Körper ausgeschüttet", sagt Borwin Bandelow, Psychotherapeut an der Universitätsmedizin Göttingen und Deutschlands prominentester Angstforscher. "Gleichzeitig werden aber auch Endorphine ausgeschüttet."
Mit diesen Wohlfühlhormonen, die uns in eine Art Rausch versetzen, erklärt sich der Lust-an-der-Angst-Effekt. Dabei handelt es sich um eine Schutzfunktion des Körpers: "Der Körper denkt ja, ich fliege jetzt raus und bin dann schwer verletzt. Und die Endorphine, die machen Schmerzfreiheit, also für den Aufprall, den man dann hat, und auch ein euphorisches Gefühl."
Auch wenn wir überzeugt sind, dass uns eigentlich nichts passieren kann in dem TÜV-geprüften Fahrgeschäft, reagiert das Gehirn so. Doch da wir nicht aus der Kurve fliegen, verschwindet die Angst wieder. "Aber die Endorphine sind noch im Blut, und die machen ein schönes Gefühl", erklärt Bandelow. "Und dafür zahlen wir dann die acht Euro in der Achterbahn.“

Angst motiviert uns, unser Bestes zu geben

Angst kann uns aber nicht nur in einen Rausch versetzen. Sie kann uns auch zu Höchstleistungen antreiben. Menschen, die Angst hätten, von anderen Leuten zu kritisiert zu werden, würden eine besondere Leistung erbringen, sagt Psychotherapeut Bandelow: "Angst ist der Raketenmotor für Erfolg."
Zu viel Angst vor Kritik dürfen wir aber auch nicht empfinden, damit sie uns anspornt, unser Bestes zu geben. "Ich wurde mal gefragt, was ich dem Bundestrainer raten soll, und da habe ich gesagt: ein mittleres Angstlevel", erzählt Bandelow. "Ein hohes Angstlevel wäre: Du fliegst wieder raus aus der Mannschaft. Das ist nicht gut, das lähmt den Spieler. Aber wenn ich sage, ich nehme dir deinen Lamborghini weg, dann ist es nur ein mittleres Angstlevel."

Angst hilft gegen Angst

Viele Menschen hören gerne blutige True-Crime-Podcasts oder gruseln sich freiwillig in einem Horrorfilm. Sich in diesen Situationen zu fürchten, macht nicht nur Spaß, sondern kann uns außerdem dabei helfen, uns angesichts anderer Ängste zu entspannen. Womöglich erklärt das ein weiteres Phänomen:
"Horrorfilme waren noch nie so beliebt wie in den Jahren der Pandemie. In den Jahren 2020 und 2021 brachen sie alle bisherigen Rekorde bei den Einspielergebnissen", erzählt Mathias Clasen, der an der Aarhus Universität in Dänemark das "Recreational Fear Lab" gegründet hat.
Man könnte meinen, dass Menschen in solchen Situationen Unterhaltung suchen, um sich abzulenken, zu entspannen und sich gut zu fühlen, so Clasen. Doch stattdessen wollten sie sich gerade in der Corona-Pandemie gruseln. "Wir haben uns gefragt, ob Menschen, die viele Horrorfilme schauen, während des Lockdowns psychologisch belastbarer waren. Ob sie mit dem Stress besser umgehen können."
Clasens Forschung zufolge ist das der Fall. "Vielleicht, weil sie mehr Erfahrung damit haben, ihr Stressniveau zu reduzieren", sagt er. "Denn das ist es ja, was man macht, wenn man gruselige Filme schaut. Man nutzt emotionale Strategien, um die eigene Angst zu manipulieren."
In einer weiteren Studie hat Clasen mit seinem Forschungsteam Menschen befragt, die gerne Spukhäuser besuchen. "Diese Untersuchung hat gezeigt, dass solche Gruselattraktionen ihnen helfen, etwas über ihre eigenen Ängste zu lernen, und dass sie diese nutzen können, um ihre Emotionen zu regulieren", berichtet er.

Ohne die Ängste unserer Vorfahren gäbe es uns nicht

Wer sich schnell ängstigt, wünscht sich mitunter den Mut, den andere an den Tag legen. Da kann es tröstlich sein zu hören: Für das Überleben der Menschheit war es evolutionär wichtig, dass es nicht nur Helden, sondern auch Angsthasen gibt.
"Die Angst hat eine Riesenbedeutung in der menschlichen Evolution gehabt", sagt der Biopsychologe Peter Walschburger. An der Freien Universität Berlin hat er viele Jahre zum Thema Angst geforscht. Als der Mensch in kleinen Gruppen lebte, stellten wilde Tiere, andere Stämme und Naturgewalten eine große Bedrohung dar, erklärt er. "Und da war es recht günstig, wenn man sich als Angsthase auch bewähren konnte. Nicht nur als Held. Auch das war wichtig."
Denn die Menschheit wäre ausgestorben, wenn unsere Vorfahren alle Helden gewesen wären, sagt Angstforscher Borwin Bandelow: "Wir sind die Nachfahren der Angsthasen von damals." Menschen hatten ja berechtigterweise Angst vor Säbelzahntigern, Schlangen und Spinnen. "Und alle, die nicht Angst davor hatten, die sind ausgestorben. Aber diejenigen, die das in ihren Genen schon drin hatten, Angst vor diesen gefährlichen Tieren zu haben, die haben überlebt."

jfr, Christine Westerhaus
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