Ani DiFranco: "Binary"

Liebeserklärung an ihr Heimatland

US-Singer-Songwriterin Ani DiFranco in Indianapolis, Indiana, USA, 2009.
US-Singer-Songwriterin Ani DiFranco in Indianapolis, Indiana, USA, 2009. © Picture-Alliance /EPA/STEVE C. MITCHELL
Von Kerstin Poppendieck |
Ani DiFranco vereint auf ihrem 20. Album "Binary" Folk mit Funk, Soul und viel Jazz. Die US-Singer-Songwriterin hat mit Gastmusikern eine Liebeserklärung an ihr Heimatland aufgenommen - auch wenn der Beziehungsstatus gerade kompliziert ist.
"Es ist erschreckend. Amerika lernt gerade, wie Faschismus aussieht und wie er entsteht. Mir und meinen Freunden fällt es sehr schwer, morgens überhaupt noch aufzustehen."
Kaum auf ihre aktuelle Sicht auf ihr Heimatland angesprochen, gibt es für die Amerikanerin kein Halten mehr. Es wäre erschreckend sagt sie. Dass Amerika gerade lernen würde, wie Faschismus aussieht, und dass sie morgens kaum noch aus dem Bett komme, weil sie so frustriert sei von der aktuellen Situation. Und so sehr ihr neues Album "Binary" so anmutet, als wäre es ihre Antwort auf das, was gerade in den USA passiert, mit Liedern über gewaltfreie Konfliktlösungen, Empathie und Menschenrechte, dieses Album schrieb sie weit bevor Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewann.
"Ich den mehr als 30 Jahren, in denen ich jetzt schon Songs schreibe, habe ich gelernt, dass in meinen Liedern oft eine Vorahnung steckt. Manchmal schreibe ich Songs und weiß selbst nicht so genau, worum es in ihnen geht. Und dann wird es irgendwann klar und das ist dann immer echt gespenstisch. Aber irgendwie zeigt mir das auch nur, wie sehr unser Unterbewusstsein arbeitet. Da kommt es mir manchmal wirklich so vor, als ob meine Lieder die Zukunft vorhersagen."

"Zeit ist irrelevant"

"Auf der anderen Seite, hab ich mittlerweile so viel Zeit auf diesem Planeten verbracht, dass mir klar geworden ist, dass Zeit nichts Lineares ist. Sondern, dass Zeit eine Illusion unserer limitierten Perspektive ist. Meine Lieder sind für mich der Beweis, dass es keine Vergangenheit und keine Zukunft gibt. Wenn man aus dem Unterbewusstsein heraus schreibt, stellt man fest, dass Zeit tatsächlich irrelevant ist."
Ani DiFranco war gerade mal 14 Jahre alt, als sie ihre ersten Lieder schrieb. Verspielte Teenager-Lovesongs waren nie ihr Ding, von Anfang hat sie sozial- und gesellschaftlich relevante Themen in ihren Liedern verarbeitet und wurde früh zu einer musikalischen Aktivistin und Geschäftsfrau, als sie mit 18 ihr eigenes Label gründete. Sie engagiert sich unter anderem für die Rechte von Homosexuellen, demonstrierte gegen den Golfkrieg und unterstützt Programme für sozial benachteiligte Kinder. Und neben all dem findet sie auch noch die Zeit, Musik zu Machen. 20 Studioalben in knapp 30 Jahren. Ani DiFranco schafft es, mit einfachen und berührenden Worten ihre Botschaft zu vermitteln.
In dem Song "Pacifict´s Lament" zum Beispiel geht es darum, "Entschuldigung" zu sagen. "Es gibt so viele Arten das auszudrücken.Eine Tasse Tee auf dem Nachtisch. Oder ein Licht, das man anlässt, um jemandem die Weg zu leuchten." singt sie. Inspiriert wurde sie zu diesem Text von einem konkreten Erlebnis.
"Vor einigen Jahren wurde ich quasi in den sozialen Medien gekreuzigt, weil ich einen Auftritt in einem Hotel in New Orleans angenommen hatte. Dieses Hotel befand sich auf einem Gelände, wo früher einen Sklavenplantage war. Ein paar Leute meinten, das wäre eine schreckliche Straftat von mir gewesen, an diesem Ort aufzutreten. Ich sah das damals anders. Heute denke ich, ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte damals sagen sollen: es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ihr leidet, und dass ich dieses Leid verursacht habe."

Funk trifft auf Soul, Rock auf Jazz - viel Jazz

Nicht selten wird Ani DiFranco als amerikanische Folk Ikone bezeichnet. Dabei ist ihre Musik mittlerweile so viel mehr als reiner Folk, wie sie auch beeindruckend mit ihrem neuen Album beweist. Da treffen Funk auf Soul und Rock auf Jazz. Viel Jazz. Soviel wie auf keinem anderen ihrer Alben. Gut möglich, dass diese musikalische Vielfalt durch die vielen Gastmusiker kommt, die sie diesmal eingeladen hat. Justin Vernon von Bon Iver zum Beispiel oder Gail Ann Dorsey, jahrelang Bassistin bei David Bowie. Der Jazzeinfluss kommt aber ganz eindeutig vom großartigen Saxophonisten Maceo Parker.
Man hört, wie viel Spaß Ani DiFranco an der Zusammenarbeit mit all diesen Musikern hatte. Das Zusammenspiel ist harmonisch, ihre Stimme klingt warm und entspannt und ihr Fingerpicking auf der Gitarre ist nach wie vor beeindruckend, genauso wie ihre Experimentierfreudigkeit in den einzelnen Liedern. Zum Beispiel beim Song "Spider", der wütend, fast aggressiv klingt. Eigentlich würde diese Stimmung sehr gut zur aktuellen Situation in den USA passen. Aber nicht für Ani DiFranco, die sich schon immer als Patriotin bezeichnet hat. Und so ist dieses Album eine Liebeserklärung an ihr Heimatland, auch wenn der Beziehungsstaus gerade kompliziert ist.
Mehr zum Thema