Doku "Anima – Die Kleider meines Vaters"

Raus aus dem Kleiderschrank

08:09 Minuten
"Wir sind Papst": Regisseurin Uli Decker wollte lieber Papst sein, als in Mädchenkleidern bei der Kommunion mitzulaufen. Auf dem Bild ist sie in einer Collage als kleines Mädchen in Papstrobe zu sehen.
"Wir sind Papst": Regisseurin Uli Decker wollte lieber Papst sein, als in Mädchenkleidern bei der Kommunion mitzulaufen. © Flare Film / Falk Schuster
Uli Decker im Gespräch mit Susanne Burg |
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Seit kurzem läuft der Dokumentarfilm "Anima – Die Kleider meines Vaters“ im Kino. Regisseurin Uli Decker erzählt, warum die persönliche Geschichte über ihren Vater und Familiengeheimnisse auch was über die Bundesrepublik im vorigen Jahrhundert sagt.
Eine vierköpfige Familie im katholischen Bayern: Der Vater ist Lehrer, eine der beiden Töchter ist die Regisseurin Uli Decker. Sie verkleidet sich als Kind gerne als Junge, malt sich gerne einen Bart an.
Und sie liebt ihren Vater, der aber ist häufig distanziert, zurückgezogen. Und er hat mit 63 einen schweren Fahrradunfall. Am Sterbebett erzählt die Mutter vom Familiengeheimnis, von dem sie einige Jahre lang wusste.

"Da war noch viel mehr in diesem Menschen"

„Das kann nicht real sein“ war der erste Gedanke, den die Regisseurin hatte, als sie am Sterbebett ihres Vaters von dessen Geheimnis erfuhr. „Das hat Almodóvar geschrieben, das Drehbuch. Ich habe das nicht mit meinem Vater zusammen gebracht, was ich da gehört habe.“
Als sie die Nacht über an seinem Sterbebett saß, sei sie fast erleichtert gewesen, sagt Uli Decker. „Da war doch viel mehr in diesem Menschen.“ Da sei nicht nur der zurückhaltende Mann in gedeckten Farben gewesen, sondern eben auch eine sehr bunte Seite an ihm.

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Das habe sie ein Stück weit Stolz gemacht. Sie sei aber auch wütend gewesen, weil der Vater sie alleine gelassen hat. „Da war jemand, der genauso nicht reingepasst hat. Und ich hab mich abgearbeitet mit diesem nicht Reinpassen. Und er hat sich nicht zu erkennen gegeben.“
Schon in dem Moment hatte Decker das Gefühl: Das ist eigentlich wie ein Filmdrehbuch, das müsste man irgendwie erzählen. „So viele Spiegelungen, so eine Geschichte, die gibt es wahrscheinlich nicht zweimal.“

Lange Jahre von der Idee zum Film

Ihre erste Idee: Die Geschehnisse zu einem Spielfilm verarbeiten. Vor 16 Jahren habe sie dann aber den ersten Entwurf für einen Dokumentarfilm geschrieben.
Damals habe sie aber schnell gemerkt: „Das ist alles zu nah an mir dran. Das ist mir unheimlich, so erkennbar zu sein.“
Glückliche Familie an der Küste: Familie Decker auf einem älteren Urlaubsfoto.
Glückliche Familie an der Küste: Familie Decker auf einem älteren Urlaubsfoto. © Flare Film / Privatarchiv Familie Decker
Nach einem weiteren Versuch, einen Spielfilm zu drehen, ergab sich die Gelegenheit, zusammen mit Rita Bakacs den Film als Dokumentarfilm zu entwickeln.
Hinter der Fassade
Zu der Zeit wurde in Bayern diskutiert, ob man im Schulunterricht erwähnen sollte, dass es andere Lebensformen gebe.

Die konservativen Argumente klangen so, als gäbe es nur ganz normale Kinder, die man zur irgendwas verführen würde, was völlig außerhalb der Realität ist.

Regisseurin Uli Decker wuchs im oberbayerischen Murnau auf.

In dem Moment habe sie beschlossen, einen Film zu machen, in dem man erkennbar ist; und zu zeigen, was hinter der Fassade einer absolut normalen Familie alles schlummern kann.

Eine ganz normale Familie

„Ich würde heute noch sagen, wir waren eine ganz normale Familie. Ich glaub, in vielen Familien schlummert irgendwas.“
Deckers Vater hatte schon als Bub begonnen, die Kleider seiner Mutter zu tragen – im Geheimen. Das habe er zeitlebens beibehalten. „Ihn hat das unglaublich gequält.“
Gleichzeitig habe er sich viele Gedanken übers Frausein, Mannsein gemacht und wohl auch gemerkt, „dass da viel mehr Facetten sind als das, was ihm so zugestanden wurde“ als er jung war.

Tagebucheinträge des Vaters

Im Film lässt Decker den Vater mittels Tagebucheinträgen sprechen. „Ich wollte nicht nur einen Film über ihn machen, sondern, soweit das ging, auch mit ihm und ihn selbst für sich sprechen lassen“, sagt sie.
„Mir geht es nicht darum, eindeutig weiblich zu sein, sondern im Transzendieren der männlichen Rolle meiner Seele Freiheit zu schaffen“, sagt der Vater etwa.
Sie habe nach den positiven Betrachtungen suchen müssen, viel sei in Depressionen untergegangen.

Der Vater ist seiner Zeit voraus

Gleichwohl habe der Vater schon vor 30, 40, 50 Jahren etwas ausgedrückt, was jetzt im Mainstream ankomme. Das freut Uli Decker.

Jetzt dürfen diese Perlen zum Leuchten kommen, die er so lange versteckt und vergraben hat und für die er sich geschämt hat.

Regisseurin Uli Decker

Im Film kommt neben den Tagebüchern des Vaters die Regisseurin zu Wort. Das sei ein langer Prozess gewesen, sagt Uli Decker.

Beengende Geschlechterrollen

Im Verlaufe hätten sie bei der Arbeit am Film gemerkt, dass die beiden Stimmen in einen Dialog treten müssten – ein Dialog, der im Leben nicht möglich war.
„Mir ging es darum, an meiner Figur zu zeigen, dass diese engen Geschlechterrollen auf beiden Seiten beengend sind“, sagt Uli Decker.
Die Regisseurin Uli Decker im Porträt. Sie blickt nachdenklich-zurückhaltend zur Seite.
Nachdenklich: Regisseurin Uli Decker. © Florentin Skimbiski
Es gehe nicht um eine biologische Anlage, wegen der jemand gerne Frauenkleider trage. „Mir war es wichtig, dieses Verhalten auch als Reaktion auf die gesellschaftlichen Umstände zu deuten und damit diese gesellschaftlichen Umstände auch zu hinterfragen.“

„Anima – Die Kleider meines Vaters“ lief bereits beim Filmfestival Max-Ophüls-Preis und bekam dort sowohl den Preis für den besten Dokumentarfilm als auch den Publikumspreis für Dokumentarfilm. Seit 20. Oktober ist der Film im Kino zu sehen.

(ros)
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