Rumänien/Polen 2011
Buch und Regie: Anca Damian
Musik: Piotr Dziubek
Stimmen im Original: Vlad Ivanov, Sandrine Bonnaire
Länge: 73 Minuten
Unschuldig und vergessen
Der junge Rumäne Claudiu Crulic wird 2007 in Polen verhaftet und zu Unrecht des Diebstahls beschuldigt. Er tritt in den Hungerstreik, um auf sein Schicksal aufmerksam zu machen und stirbt quasi unbemerkt im Januar 2008. Regisseurin Anca Damian erzählt Crulics Geschichte in animierten Rückblenden.
Jemand musste Claudiu Crulic verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hatte, wurde der in Polen lebende Rumäne eines Tages verhaftet. Der Vorwurf: Claudiu soll 2007 einen Richter am Obersten Gerichtshof Polens in Warschau beklaut haben. Zwielichtige Vernehmungen und ein massives Sprachproblem führten dazu, dass Claudiu Crulic ins Gefängnis kam, und das, obwohl er ein Alibi hatte. Er war zum Zeitpunkt des Diebstahls in Italien.
Um seine Unschuld zu beweisen, tritt Claudiu in den Hungerstreik und beginnt an alle möglichen Institutionen Briefe zu schreiben. Doch niemand glaubt ihm. Claudiu Crulic stirbt im Januar 2008 an den Folgen des Hungerstreiks im polnischen Gefängnis. Er wurde 33 Jahre alt.
"Crulic – Weg ins Jenseits" ist ein animierter Dokumentarfilm über den wahren Fall des Claudiu Crulic. Ein Skandal, der damals die düsteren Seiten der polnischen Justiz offenbarte, die Medien in Rumänien schockierte, und im Endeffekt auch zum Rücktritt des damaligen rumänischen Außenministers führte. Doch diese Einzelheiten behält der Film ganz für sich, um sie erst im Abspann einzubetten.
Davor schildert Regisseurin Anca Damian das kurze Leben von Claudiu Crulic. Geschickt ist dabei ihr Kniff, dass Claudiu aus dem Off – also aus dem Jenseits - seinen Weg in den Hungertod selbst kommentiert. Dieser Audiokommentar ist nie larmoyant, sondern ironisch mit einem Hauch von Melancholie.
Besonders effektiv ist das, wenn Claudiu über seine Kindheit in Rumänien spricht, über seine Eltern, die sich kurz nach seiner Geburt haben scheiden lassen; über eine Kindheit ohne Freunde aber mit Hunden, die allerdings einer nach dem anderen starben.
Nach dem Mauerfall ging er nach Polen. Ein junger Mann, ohne Ausbildung, ohne Perspektiven, der – wie er sagt – "ein bisschen Geld machen will", um sich später bei seiner Rückkehr in sein Heimatdorf in Rumänien ein kleines Haus zu bauen. Doch in Polen wartet niemand auf ihn. Er stolpert von Job zu Job, schläft in heruntergekommenen Buden, während sich seine Verwandten gar nicht mehr um ihn kümmern.
Damians Film entwirft so den Typus eines überflüssigen bzw. entbehrlichen Menschen, jemand, der nirgendwo hinzupassen scheint und gerade gut genug ist, um eines Verbrechens beschuldigt zu werden, das er nicht mal begangen hat.
Das Wunderbare an "Crulic – Weg ins Jenseits" ist, dass die Regisseurin den Fall nicht voller Empörung schildert. Ihre Bilder sind lakonisch, wie herausgefallen aus einem Kafka-Band. Hinzukommt, dass die Machart des animierten Dokumentarfilms zur Verfremdung beiträgt und ständig über den geschilderten Fall reflektiert und ihn nie skandalisiert. Dabei verwendet Damian hinreißende Collage-Techniken und Legeanimationen aus echten Bildern, Video-Aufnahmen, gemalten Hintergründen und gebastelten Requisiten, die ganz beiläufig an die Arbeiten des tschechischen Surrealisten Jan Švankmajer erinnern.
Am Ende verlassen Crulic die Kräfte. Dabei gab es so viele Personen, die ihm hätten helfen können. Aber anscheinend gibt es "qualifizierte Arbeitskräfte" und Menschen, auf die niemand gewartet hat. Armutsmigranten heißt das heute. Oder, wie im Unwort des Jahres 2013, Sozialtouristen.
"Crulic – Weg ins Jenseits" gibt einem von ihnen eine Stimme und ist so ein wohltuendes Gegengift gegen die derzeit herrschende Politpolemik.