Anita Blasberg: "Der Verlust"

"Vertrauen ist die Basis der Demokratie"

12:29 Minuten
Das Cover des Buches "Der Verlust" von Anita Blasberg. Der Titel steht in Großbuchstaben auf weißem Grund, in der Mitte ist eine Art kreisförmiger Lichtpunkt zu sehen, als wäre das Cover an der Stelle überbelichtet worden. Darin stehen der Name der Autorin und der Zusatz: "Warum nicht nur meiner Mutter das Vertrauen in unser Land abhandenkam".
© Rowohlt Verlag

Anita Blasberg

Der Verlust Rowohlt Verlag, Hamburg 2022

400 Seiten

23,00 Euro

Anita Blasberg im Gespräch mit Christian Rabhansl · 10.09.2022
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Warum verliert ein politischer Mensch, der an Umweltschutz und sozialen Themen interessiert ist, das Vertrauen in die Politik und deren Institutionen? Journalistin Anita Blasberg ist dieser Frage nachgegangen. Die Spurensuche beginnt bei ihrer Mutter.
"Glaubst Du eigentlich gar nichts mehr?" Diese Frage stellte die Journalistin Anita Blasberg ihrer Mutter. "Nein, ich glaube tatsächlich an fast gar nichts mehr. Weder an die Politik, noch an die Medien, noch an die Wissenschaft", antwortete die. Das habe sie ziemlich entsetzt, erzählt die Journalistin im Gespräch.

Nach diesem Gespräch habe ich den dringenden Wunsch verspürt, sie zu verstehen. Und zu verstehen, wie ihr Vertrauen, das einmal so riesengroß war, zerbröseln konnte.

Journalistin Anita Blasberg

Die Journalistin, die für "Die Zeit" arbeitet, hatte das Gefühl, dass es wie ihr vielen gehen könnte. Ihre Mutter sei keine Radikale, sie sei ein ziemlich normaler Mensch aus der Mitte der Gesellschaft, sagt sie.

Erste Zweifel kamen mit der Wiedervereinigung

Blasbergs Mutter war ein Arbeiterkind und wuchs im Ruhrgebiet auf. Politisch sozialisiert wurde sie von John F. Kennedy und Willy Brandt, sie war "heiße Helmut-Schmidt-Verehrerin". Die Themen Umwelt und soziale Gerechtigkeit hätten sie schon immer umgetrieben.
Irgendwann, ab den Neunziger Jahren, habe sich etwas verändert. Ihre Mutter habe schon immer Dinge hinterfragt, sei schon immer ein sehr politischer Mensch gewesen. "Jahrzehnte lang wählte diese Frau mit großem Ernst, heute muss sie sich zur Wahl zwingen", schreibt Blasberg. Erste Zweifel seien ihr nach der Wiedervereinigung Deutschlands gekommen.
Ausgelassen feiert eine riesige Menschenmenge in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 vor dem Brandenburger Tor in Berlin die deutsche Wiedervereinigung.
How it started... How it´s going: Die Wiedervereinigung war für Anita Blasbergs Mutter die "Sternstunde ihres politischen Erlebens". © picture-alliance / dpa / Fotoreport
Sie selbst bezeichnet die Wiedervereinigung als "Sternstunde ihres politischen Erlebens": Staatsmänner der unterschiedlichen Länder hätten einander vertraut und sich etwas getraut.
"Alles roch nach Fortschritt", erinnert sich Blasberg, es habe "nicht wenige gegeben, die an das Ende der Geschichte glaubten". Von diesem "Sockel des Vertrauens" sei sie "den Spuren des Verlustes" gefolgt und habe die neuralgischen Punkte, die Kipppunkte, gesucht.

Demokratie basiert auf Vertrauen

Einer dieser Kipppunkte war für die Mutter die Zeit nach der Wende. Sie sehr enttäuscht gewesen, dass die Wirtschaft so im Vordergrund gestanden habe und für ihr Empfinden über die Menschen im Osten hinweg regiert wurde.
Weitere Punkte seien unter anderem die Globalisierung, die Hartz-Reformen oder die Finanzkrise gewesen. All das habe ihr Vertrauen erschüttert. Dabei ist "Vertrauen die Basis der Demokratie", wie Blasberg sagt. Ohne Vertrauen könne sie nicht funktionieren.

Wir müssen den Regierenden absolut vertrauen, dass sie in unserem Sinne handeln. Und wenn sie das nicht tun, müssen wir darauf vertrauen können, dass es genügend Kontrollmechanismen gibt, die das korrigieren können.

Journalistin Anita Blasberg

Dazu zählten etwa das Parlament, die Medien und die Justiz. "Das Problem bekommen wir, wenn wir auch an diese Kontrollmechanismen nicht mehr glauben", sagt Blasberg. "Dann erodiert nicht nur das Vertrauen in einzelne Politiker, sondern in das System als Ganzes."
(ros)
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