Die Menschen-, die Frauen-Malerin
Die Künstlerin Anita Rée stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie, zeitlebens wehrte sie sich aber dagegen, dass ihre Arbeiten als jüdische Kunst gelte. Ihre sensiblen Portraits sind noch bis Februar in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.
Eine schwarzhaarige Frau auf gelbgrünem Grund, die Arme schützend vor den Oberkörper gelegt, die Hand den Kopf stützend, der dunkeläugige Blick scheint zugleich nach innen und außen gerichtet. Das Selbstbildnis von 1930 ist eine der bekanntesten Arbieten von Anita Rée. Es leuchtet an prominenter Stelle auf steingrauer Wand.
Es ist dieser stille Ernst, mit dem die dargestellten Figuren den Betrachter – oft direkt – ansehen. Sie spiegeln den Blick, mit dem die Künstlerin Anita Rée die Welt gesehen hat: Mit großer Ernsthaftigkeit, auch Melancholie, um Klarheit ringend.
"Ich glaube, das ist nicht nur ein biografisches Moment, sondern innerhalb ihrer Kunst ablesbar und sichtbar. Die Art und Weise, wie sie sich selbst im Selbstbildnis darstellt, ist dermaßen überzeichnet, das man merkt, sie spielt auch mit diesem Selbstbild, Fremdbild. Mit dem was ihr reflektiert wurde. Ich glaube, deshalb ist sie auch in vielerlei Hinsicht sensibler im Umgang gewesen, wenn sie Porträts gezeichnet und gemalt hat von den anderen, im Bewusstsein der eigenen Verfasstheit."
Biografie überlagerte Bedeutung ihrer Arbeiten
Anita Rée wurde lange vor allem als verfolgte Künstlerin rezipiert. Ihre Biografie überlagerte die große kunstgeschichtliche Bedeutung ihrer Arbeiten. Die Kuratorin der Hamburger Ausstellung, Karin Schick hat es sich zum Ziel gesetzt, das Werk in einem neuen Licht zu zeigen.
"Das sind zum Beispiel Postkarten, die sie Ende der 20er-Jahre geschaffen hat, in denen sie in kleinstem Format Worte, Bilder collagiert, zeichnet, tüpfelt, punktet, klebt und mit einem ungeheuren Wortwitz und einer Intensität, einem Temperament und einer Begeisterung kleine Einheiten hinwirft, die ganz tief blicken lassen in ihr Verständnis von Bild und was Bild ist nämlich nicht nur das, was europäische Tradition hergibt über die Jahrhunderte, sondern was indische Miniaturen sagen, was altsyrische Rollsiegel sagen, was afrikanische Masken sagen. Sie war da sehr offen, was ich ungeheuer interessant und auch sehr modern finde."
Anita Rée stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Die Mutter war eine in Venezuela geborene Hahn, die den katholischen Glauben des Vaters angenommen hatte. Anita und ihre Schwester wurden in Hamburg protestantisch getauft. Die Familie war wohlhabend, verkehrte mit den Warburgs, den Dehmels und Melchiors. Die jüdische Religion spielte im Alltag keine große Rolle.
"Ich glaube aber, dass ihre Kraft und ihre Überzeugungsfähigkeit und die Qualität ihrer Kunst genau aus diesem Dazwischen herrührt, aus diesem Interesse für Tradition, aus dieser Faszination für die Moderne, aus der Begeisterung auch für angewandte Kunst, und dann wieder diese ganz starke Zurückgenommenheit, und Distanziertheit von der Realität – das sind die Pole, die Polaritäten innerhalb derer sie gelebt, gedacht, empfunden und innerhalb derer sie ihre Kunst gelebt hat und ich glaube, das macht ihre Stärke aus."
Sah sich als Teil einer Avantgarde
Anita Rées Verhältnis zum Judentum war ambivalent. Sie wandte sich zeitlebens gegen jegliche Festlegung und wehrte sich dagegen, dass ihre Arbeiten als jüdische Kunst gelten sollte. Sie besuchte die kulturwissenschaftliche Bibliothek von Aby Warburg und sah sich als Teil einer Avantgarde, die nach neuen Inhalten und Ausdrucksformen suchte.
"Das verbindende Moment war sicherlich der kritische Geist, das Verständnis, das Zurückschauen in die Jahrhunderte das Verstehen der eigenen Situation auch aus dem Vergangenen. Sie war eine sehr intelligente Frau, sie war sehr gebildet, der aber nicht nur das Studium der Kunst, sondern überhaupt das Studium verwehrt wurde."
Porträts von Freundinnen, Mäzenatinnen, aber auch unbekannter Frauen, gedankenverloren, sinnierend, manche traurig, andere tief schwer, vielleicht sogar abgründig. Anita Rée war eine Menschen- und vor allem eine Frauenmalerin.
"Wir haben in dieser Ausstellung Leihgaben von 91 verschiedenen Leihgebern. Die wenigsten davon sind Museen. Die meisten sind private Leihgeber und das sind ganz häufig auch Leihgeber, die in dritter oder vierter Generation noch in den Familien sind, aus den Familien kommen, die ursprünglich Anita Ree mäzenatisch unterstützt haben. Und diese Werke haben in den Familien überlebt, wurden in den Familien immer geschätzt."
Während der NS Zeit wurden auch Gemälde und Zeichnungen von Anita Rée aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle beschlagnahmt, einige davon wahrscheinlich vernichtet, andere gestohlen, viele gingen mit in die Emigration. Mehrere Gemälde und Zeichnungen gelten bis heute als verschollen.
"Es gibt ein Gemälde, das nennt sich die Ruhe auf der Flucht, die große Ruhe auf der Flucht, ein großformatiges Bild, das leider verloren ist, mit einer nackten Madonna mit dem Kind auf dem Arm und im Hintergrund einem verdorrten, knorrigen, blattlosen Baum. Es gibt ein hinreißendes Porträt von Marielouise Spiegelberg, das leider verschollen ist, in einem Gewächshaus sitzend. Das sind Werke, die hätte man unglaublich gern in einer solchen Ausstellung gezeigt."
In den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde Anita Ree von der feministischen Kunstgeschichte wiederentdeckt, als Verfolgte und vergessene Künstlerin. Es sollte 30 weitere Jahre dauern, bis sie mit einer beeindruckenden Werkschau im größten der Hamburger Museen endlich die umfassende Würdigung erfährt, die ihr zusteht.