Anleitung zum Aufregen
Was man in diesem Buch nicht alles erfährt! Ein Zellen-Upgrade in einem US-Knast kostet 82 Dollar pro Nacht. Zeugnisse tragen Mc Donald's-Embleme als Dank fürs Schulkost-Sponsoring. Und für den Tod von Nashörnern in Südafrika werden sechsstellige Summen gezahlt. Die Schlüsse, die der Autor daraus zieht, sind aber eher mager.
In den Medien werden Michael J. Sandel tolle Epitheta angehängt. Was der Ullstein Verlag natürlich ausnutzt. Er druckte auf dem Einband von "Was man für Geld nicht kaufen kann" ein Urteil der ZEIT, die Sandel "zum derzeit wohl populärsten Professor der Welt" erklärt hat.
Typische Sandel-Fragen wären nun: Ist derart grelle Werbung korrekt? Und wenn ja: Sollte ausgerechnet ein Moralphilosofph so marktschreierisch beworben werden? - Sandel schätzt nämlich das Konkrete. Er entwickelt die großen Fragen stets aus dem Anschaulichen, auch wenn er "die moralischen Grenzen des Marktes" auslotet. Vom Zellen-Upgrade im Knast (82 Dollar pro Nacht) über bezahltes Schlangenstehen vor Kongress-Sitzungen (das Warteschlangen-Business rechnet teils 60 Dollar pro Stunde ab) bis zum legalen Abschuss eines Nashorns (Jäger zahlen in Südafrika 150.000 Dollar): Sandel zeigt sich empirisch sattelfest, während er über das Problem der Käuflichkeit von allem und jedem nachdenkt.
Sandels erklärte Gegner sind Ökonomen, die behaupten, das System 'Markt' halte für jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens und der menschlichen Existenzsphäre die effizienteste und darum beste Lösung parat. Sandel sieht das anders. Er glaubt, dass "Märkte tendenziell zersetzend wirken". Das vom kommerziellen Denken und Handeln Zersetzte sind, grob gesagt, die immateriellen Werte, die das Leben für Sandel erst so richtig lebenswert machen. Etwa Freundschaft, Liebe, Solidarität, Gemeinschaft, Gemeinsinn, Verantwortung, auch Würde und Ehre.
Den Märkten traut Sandel nicht zu, "zwischen bewundernswerten und niedrigen Vorlieben", oder kurz: richtig und falsch zu unterscheiden. Ein Betriebs-Manko, für das er Belege im Übermaß hat: Lebensversicherungs-Spekulanten schließen Wetten auf den Tod ab (und nerven die Leute, wenn sie nicht zügig sterben); Konzerne lassen Logos gegen Honorar in die Gesichtshaut von Willigen/Bedürftigen tätowieren; Regierungen lassen Privatunternehmer Kriege führen; Schulzeugnisse tragen Mc Donald's-Embleme, Mc Donald's spendiert dafür guten Schülern Happy Meals und so weiter.
Das Buch ist voll von krassen Fällen. Viele sind geeignet, moralische Empörung gegen den Markt samt seinen Jüngern und willigen Vollstreckern auszulösen. Sandel macht es sich indessen nicht zu leicht. Er gibt zu, dass der Nashorn-Abschuss in Südafrika indirekt tatsächlich arterhaltend wirkt. Er präsentiert unentscheidbare Probleme - wie den der Heroinsüchtigen, die gegen Bezahlung sterilisiert werden soll, um keine weiteren drogenabhängigen Kinder zu gebären. Darf man das? Und wenn ja: Soll man das? Erstaunlich ist allerdings, wie gering Sandels moralphilosophische Argumentationstiefe oft bleibt. Offenbar hofft er letztlich auf die Wirksamkeit jener vorbegrifflichen Instanz, die Kant "das moralische Gesetz in uns" nannte.
So enttäuscht Sandels Buch, weil viele Fragen offen bleiben. Und es überzeugt, weil viele Fragen offen bleiben. Am Ende von Was man für Geld nicht kaufen kann fragt der Autor allen Ernstes: "Gibt es gewisse moralische und staatsbürgerliche Werte, die [...] man für Geld nicht kaufen kann?" Woran man sieht: Sandel ist so selbstbewusst wie selbstironisch (ein Spruch, den Ullstein für Geld nicht kaufen konnte, aber zur Bewerbung der nächsten Auflage nutzen mag).
Besprochen von Arno Orzessek
Michael J. Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann - Die moralischen Grenzen des Marktes
Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012
300 Seiten, 19,99 Euro
Typische Sandel-Fragen wären nun: Ist derart grelle Werbung korrekt? Und wenn ja: Sollte ausgerechnet ein Moralphilosofph so marktschreierisch beworben werden? - Sandel schätzt nämlich das Konkrete. Er entwickelt die großen Fragen stets aus dem Anschaulichen, auch wenn er "die moralischen Grenzen des Marktes" auslotet. Vom Zellen-Upgrade im Knast (82 Dollar pro Nacht) über bezahltes Schlangenstehen vor Kongress-Sitzungen (das Warteschlangen-Business rechnet teils 60 Dollar pro Stunde ab) bis zum legalen Abschuss eines Nashorns (Jäger zahlen in Südafrika 150.000 Dollar): Sandel zeigt sich empirisch sattelfest, während er über das Problem der Käuflichkeit von allem und jedem nachdenkt.
Sandels erklärte Gegner sind Ökonomen, die behaupten, das System 'Markt' halte für jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens und der menschlichen Existenzsphäre die effizienteste und darum beste Lösung parat. Sandel sieht das anders. Er glaubt, dass "Märkte tendenziell zersetzend wirken". Das vom kommerziellen Denken und Handeln Zersetzte sind, grob gesagt, die immateriellen Werte, die das Leben für Sandel erst so richtig lebenswert machen. Etwa Freundschaft, Liebe, Solidarität, Gemeinschaft, Gemeinsinn, Verantwortung, auch Würde und Ehre.
Den Märkten traut Sandel nicht zu, "zwischen bewundernswerten und niedrigen Vorlieben", oder kurz: richtig und falsch zu unterscheiden. Ein Betriebs-Manko, für das er Belege im Übermaß hat: Lebensversicherungs-Spekulanten schließen Wetten auf den Tod ab (und nerven die Leute, wenn sie nicht zügig sterben); Konzerne lassen Logos gegen Honorar in die Gesichtshaut von Willigen/Bedürftigen tätowieren; Regierungen lassen Privatunternehmer Kriege führen; Schulzeugnisse tragen Mc Donald's-Embleme, Mc Donald's spendiert dafür guten Schülern Happy Meals und so weiter.
Das Buch ist voll von krassen Fällen. Viele sind geeignet, moralische Empörung gegen den Markt samt seinen Jüngern und willigen Vollstreckern auszulösen. Sandel macht es sich indessen nicht zu leicht. Er gibt zu, dass der Nashorn-Abschuss in Südafrika indirekt tatsächlich arterhaltend wirkt. Er präsentiert unentscheidbare Probleme - wie den der Heroinsüchtigen, die gegen Bezahlung sterilisiert werden soll, um keine weiteren drogenabhängigen Kinder zu gebären. Darf man das? Und wenn ja: Soll man das? Erstaunlich ist allerdings, wie gering Sandels moralphilosophische Argumentationstiefe oft bleibt. Offenbar hofft er letztlich auf die Wirksamkeit jener vorbegrifflichen Instanz, die Kant "das moralische Gesetz in uns" nannte.
So enttäuscht Sandels Buch, weil viele Fragen offen bleiben. Und es überzeugt, weil viele Fragen offen bleiben. Am Ende von Was man für Geld nicht kaufen kann fragt der Autor allen Ernstes: "Gibt es gewisse moralische und staatsbürgerliche Werte, die [...] man für Geld nicht kaufen kann?" Woran man sieht: Sandel ist so selbstbewusst wie selbstironisch (ein Spruch, den Ullstein für Geld nicht kaufen konnte, aber zur Bewerbung der nächsten Auflage nutzen mag).
Besprochen von Arno Orzessek
Michael J. Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann - Die moralischen Grenzen des Marktes
Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012
300 Seiten, 19,99 Euro