Anleitung zum trotzigen Glücklichsein

Der Dichter Heinrich von Kleist hat in diesem Jahr - dem Jahr seines 200. Todestages - mehr Termine als Barack Obama. Gut 15 Kongresse auf der ganzen Welt werden ihm zu Ehren abgehalten, zahlreiche Lesungen, Aufführungen und Buchveröffentlichungen kommen hinzu. Darunter ist auch "Kleist. Vom Glück des Untergangs" von Adam Soboczynski.
Können wir uns Heinrich von Kleist als einen glücklichen Menschen vorstellen? Diesen Selbstmörder vom 21. November 1811, den die herbeigeholten Ärzte mit den eigentümlichen Namen Greif und Sternemann an jenem kalten Herbsttag am Ufer des Kleinen Wannsees bei Berlin finden? Auf die Knie gesunken mit einem "Stück Blei von der Größe einer Bohne" im Hirn? Kleist, der da tot vor seiner letzten Gefährtin Henriette Vogel kniet, der er zuvor in die Brust geschossen hat?

Mit der Beschreibung der eindrücklichen Untergangsszene, jenem Doppelselbstmord, eröffnet der Feuilletonist und Schriftsteller, Philologe und Kleist-Forscher Adam Soboczynski sein kurzes Buch, seinen langen Essay, in dem er die Frage nach dem Glück des Heinrich von Kleist stellt, das ihm im permanenten Unglück zu keimen schien. Neu ist hieran nicht, Heinrich von Kleist von seinem Ende her zu denken, von dieser gut dokumentierten und vollendet kalkulierten Tat zur Sicherung seines Nachruhmes.

Neu ist vielmehr die Sicht auf Kleist nicht als Dichter von trauriger Gestalt, sondern als glücklichen Menschen, der sich das Glücklichsein selbst in den verfahrensten Situationen herausnahm. Der selbst – wie uns beschrieben wird – kurz vor seiner Entleibung lauthals am Ufer des Sees mit seiner Gefährtin schäkerte, Kaffee und Rum aus dem naheliegenden Gasthof konsumierend, herumtollte und sich mit Henriette jagte wie kleine Kinder.

Ein heikel-heiteres Ende, das für Adam Soboczynski symptomatisch steht: Einer Schule der Erfolglosigkeit gleich dekliniert er Kleists öffentliche und private Untergänge durch – um in jedem Scheitern das Frohe und nicht zuletzt Potenzial für das literarische Schaffen zu entdecken. Zunächst die glänzenden Voraussetzungen: Kleist als Abkömmling eines altpommerschen Adelsgeschlechts hat beste Möglichkeiten zur Karriere in Preußen, Gelder sind vorhanden, kein familiär-ideologischer Zwang hätte ihn gehindert, und doch muss man mit Soboczynskis Beschreibungen feststellen: "Was immer Kleist anpackte, es misslang grandios."

Dem Militär wird abgedankt, nachdem ihm dessen Tyrannei aufgeht. Die Studien von Mathematik, Kulturgeschichte über Philosophie, Latein bis zur Physik werden abgebrochen. Diverse Reisen schüren allgemeine Ziellosigkeit. Das Muster ist immer dasselbe: unermesslich hohe Ansprüche münden – da unerfüllt – in absurden Fluchten oder Todesgedanken und schließlich in literarischem Furor.

Auch in der Liebe erweist sich der Dichter als seines Unglücks eigener Schmied – die Verhörbriefe an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge sind legendär, ihre Weigerung, ihm in die Schweiz zu folgen, um ein bäuerliches Leben zu beginnen, wurde von ihm als Liebesverrat gedeutet. Schließlich Kleists Dasein als Dichter: Seiner zeitgenössischen Leserschaft war der Schriftsteller bekanntlich unbekannt, Goethe höchstselbst bescheinigte ihm – wie allerdings manch anderem auch – unheilbare Geisteskrankheit.

Die lebendige Ziellosigkeit, die verqueren Amouren Kleists, seine Preußen-Enttäuschung und dichterische Erfolglosigkeit wirft Soboczynski in kurzen präzisen Skizzen aufs Papier, und verknüpft sie mit Spiegelungen in Kleistschen Texten und Figuren. Drei Kapitel (Leben/Krieg/Liebe), gerahmt von Prolog und Epilog, in aller sprachlicher Eleganz, sind nicht der Vollständigkeit verpflichtet, wohl aber dem Grundgedanken einer Glückssuche in all den Kleistschen Misslagen. Und die gelingt mit Verve und Humor, erfrischend weit entfernt von wissenschaftlicher Prosa oder einem Kotau vor der dichterischen Ausnahmegestalt.

Einen schmalen leuchtenden Band hat der über Kleist promovierte Adam Soboczynski vorgelegt, aus der Kennerschaft geschrieben und doch gewandt von ihr losgelöst: eine aus der Literaturwissenschaft geborgene und durchaus aktuelle Anleitung zum trotzigen Glücklichsein.

Adam Soboczynski: Kleist. Vom Glück des Untergangs
Luchterhand Verlag, München 2011
91 Seiten, 14,99 Euro

Links:
Zum 200. Todestag Heinrich von Kleists
Performance-Gruppe Rimini-Protokoll inszeniert Kleist in Frankfurt/Oder
Autorin Ulrike Draesner über die Bedeutung von Kleist für die Gegenwartsliteratur