Anleitung zum Umdenken
Der US-Wissenschaftsjournalist Charles Duhigg beschreibt, wie gute Gewohnheiten eine Gesellschaft zusammenhalten - und wie man mit schlechten bricht. Er stützt sich dabei auf neurobiologische Forschungen, die belegen, wie unser Gehirn umerzogen werden kann.
In der Erziehung von Kindern sind Rituale und feste Gewohnheiten bekanntlich die halbe Miete. Was sich im Familiengefüge als sinnvoll erweist, gilt erst recht für das Gebilde von Gesellschaften, ja, für Zivilisation schlechthin. Sie ist ohne Gewohnheiten überhaupt nicht vorstellbar - ein keineswegs origineller Gedanke. Man muss ihn sich bei der Lektüre des populärwissenschaftlichen Buches "Die Macht der Gewohnheit" des amerikanischen Wissenschaftsjournalist Charles Duhigg dennoch immer wieder vor Augen führen, um zu begreifen, dass hier auf unterschwellige Weise eine ideologische Tendenz am Werk ist.
Duhiggs Ausgangspunkt ist zunächst nicht zu widersprechen: Er unterscheidet zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. Dass diese nicht per se, unabhängig von ihrer moralischen und sittlichen Wirkung, einen Wert darstellen, versteht sich ebenfalls von selbst. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King wäre vermutlich langsamer in Gang gekommen, wenn die 42-jährige Afroamerikanerin Rosa Parks nicht am 1. Dezember 1955 in Alabama von ihrer Gewohnheit abgewichen wäre, ihren Platz im Bus für einen weißen Mann freizumachen.
Problematisch ist allerdings, dass Charles Duhigg solche Beispiele zur Illustrierung einer Argumentationsführung dienen, die Gewohnheitskultur ganz grundsätzlich als renovierungsbedürftig zur Kenntnis nimmt. Kurz gesagt: Charles Duhigg schreibt hier über die Bedingungen der Möglichkeit, dem Zwang der schlechten Gewohnheit (rauchen, trinken, Missmanagement in Wirtschaft, Bürokratie und Politik) zu entkommen und sie durch gute Gewohnheit zu ersetzen (Sport, mäßige Ernährung, effiziente Umstrukturierung von Wirtschaft, Bürokratie und Politik). Er stützt sich dabei auf neurobiologische Forschungsergebnisse, die beweisen, dass und wie unser Gehirn umerzogen werden kann; wie es lernen kann, auf einen Reiz nicht in gewohnter Weise zu reagieren. Das heißt, an der Stelle, wo die Synapsen normalerweise nach einem gezuckerten Schokoladenkeks gieren, auch einen Apfel zu akzeptieren. Gesünder ist dies sicherlich. Problematisch ist indes, dass Duhigg den Sinn der Gewohnheitserhaltung einseitig vernachlässigt zu Gunsten der Gewohnheitsänderung.
Allein der Blick auf das Problem kindlicher Fettsucht widerlegt diese Prämisse. Die Wurzel des Problems liegt ja nicht darin, dass übergewichtige Kinder sich den Konsum von Fastfood und Süßgetränken nur mit größter Mühe abgewöhnen lassen. Die Wurzel des Problems liegt darin, das die Propaganda für diese Drecksernährung es geschafft hat, die hergebrachte Gewohnheitskultur privater Essenszubereitung und familiärer Mahlzeiten zu zerstören. Tausend Beispiele für den Sinn der Gewohnheitsbewahrung ließen sich hier anführen. Duhigg ist daran nicht besonders interessiert. Sie widersprächen diesem Manifest permanenter Selbstveränderung - und neoliberaler Selbstdisziplin, das er in sein Buch einwebt.
Besprochen von Ursula März
Charles Duhigg: Die Macht der Gewohnheit. Warum wir tun, was wir tun
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt
Berlin Verlag, Berlin 2012
416 Seiten, 22,99 Euro
Duhiggs Ausgangspunkt ist zunächst nicht zu widersprechen: Er unterscheidet zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. Dass diese nicht per se, unabhängig von ihrer moralischen und sittlichen Wirkung, einen Wert darstellen, versteht sich ebenfalls von selbst. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King wäre vermutlich langsamer in Gang gekommen, wenn die 42-jährige Afroamerikanerin Rosa Parks nicht am 1. Dezember 1955 in Alabama von ihrer Gewohnheit abgewichen wäre, ihren Platz im Bus für einen weißen Mann freizumachen.
Problematisch ist allerdings, dass Charles Duhigg solche Beispiele zur Illustrierung einer Argumentationsführung dienen, die Gewohnheitskultur ganz grundsätzlich als renovierungsbedürftig zur Kenntnis nimmt. Kurz gesagt: Charles Duhigg schreibt hier über die Bedingungen der Möglichkeit, dem Zwang der schlechten Gewohnheit (rauchen, trinken, Missmanagement in Wirtschaft, Bürokratie und Politik) zu entkommen und sie durch gute Gewohnheit zu ersetzen (Sport, mäßige Ernährung, effiziente Umstrukturierung von Wirtschaft, Bürokratie und Politik). Er stützt sich dabei auf neurobiologische Forschungsergebnisse, die beweisen, dass und wie unser Gehirn umerzogen werden kann; wie es lernen kann, auf einen Reiz nicht in gewohnter Weise zu reagieren. Das heißt, an der Stelle, wo die Synapsen normalerweise nach einem gezuckerten Schokoladenkeks gieren, auch einen Apfel zu akzeptieren. Gesünder ist dies sicherlich. Problematisch ist indes, dass Duhigg den Sinn der Gewohnheitserhaltung einseitig vernachlässigt zu Gunsten der Gewohnheitsänderung.
Allein der Blick auf das Problem kindlicher Fettsucht widerlegt diese Prämisse. Die Wurzel des Problems liegt ja nicht darin, dass übergewichtige Kinder sich den Konsum von Fastfood und Süßgetränken nur mit größter Mühe abgewöhnen lassen. Die Wurzel des Problems liegt darin, das die Propaganda für diese Drecksernährung es geschafft hat, die hergebrachte Gewohnheitskultur privater Essenszubereitung und familiärer Mahlzeiten zu zerstören. Tausend Beispiele für den Sinn der Gewohnheitsbewahrung ließen sich hier anführen. Duhigg ist daran nicht besonders interessiert. Sie widersprächen diesem Manifest permanenter Selbstveränderung - und neoliberaler Selbstdisziplin, das er in sein Buch einwebt.
Besprochen von Ursula März
Charles Duhigg: Die Macht der Gewohnheit. Warum wir tun, was wir tun
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt
Berlin Verlag, Berlin 2012
416 Seiten, 22,99 Euro