Ann Cotten: Verbannt!
Versepos
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
168 Seiten, 16 Euro
Schräge Reime, kuriose Kalauer
Ann Cotten zeigt in ihrem neuen Lyrikband, was Freiheit der Dichtung bedeutet: die zweckfreie Schönheit von Sprache. Im Vordergrund steht das Spiel mit dem Reim – es sind Spenser-Strophen, die einst schon Byron, Keats und Shelley beglückten.
Ist das anmaßend oder genial? Das fragten sich viele, als die 1982 in Iowa geborene, aber in Wien aufgewachsene Schriftstellerin Ann Cotten mit ihrem Debüt "Fremdwörterbuchsonette" 2007 die literarische Bühne betrat. Denn: Wer schrieb noch Sonette – und beförderte diese zugleich mit Hilfe einer gewagten Kombinatorik aus hohem Ton und lakonischem Slang in das 21. Jahrhundert?
Seitdem treibt Ann Cotten ihre Leser und Leserinnen entweder in den Wahnsinn – weil die Lektüre ihrer Bücher, in denen Abweichung von jeder sprachlichen Norm die Norm ist, einer Achterbahnfahrt zwischen Banalität und Tiefsinn gleicht. Oder man ist gebannt von ihrem Mut, mit dem sie uns daran erinnert, dass die Freiheit der Dichtung eben darin besteht, die Sprache keinem Zweck, keinem Sinn zu beugen.
Verbannung auf eine einsame Insel
Nach "Florida-Räume" – einem Zwitter zwischen Prosa und Lyrik – und "Der schaudernde Fächer" – einem Zwitter zwischen Lyrik und philosophischem Traktat – kehrt sie nun zur Lyrik zurück: mit dem Versepos "Verbannt!". Worum es geht, ist – wie immer bei Ann Cotten – schwer zu sagen, denn eine durchgängige Handlung gibt es auch hier nicht. Alles beginnt mit dem Sündenfall einer Fernsehmoderatorin, die auf eine einsame Insel verbannt wird und drei Dinge mitnehmen darf, unter anderem das Meyersche Konversationslexikon.
Die Insel ist allerdings bewohnt: von Matrosen, die einst Qäker waren, nun einer ominösen "Schraubenphilosophie" anhängen und entsetzt sind beim Anblick der Frau, die sich anschickt, die Dinge vor Ort selbst in die Hand zu nehmen. Nichts davon wird wirklich ausgemalt, man muss es sich wortwörtlich zusammen reimen.
Denn à propos Schraubenphilosophie: Auch Ann Cotten verfugt ihre Themen in diesem Text eher lose und mittels abstrakter Gedankensprünge, bei denen auch mal etwas auf der Strecke bleibt. Es geht - schließlich ist ein Konversationslexikon mit im Gepäck - um eine Poetik des Wissens ebenso wie um das Schreiben; es geht um Gender, Geschlecht und Paare und Paarungen. Es geht um Hegel, Blakes Tiger, die griechischen Musen und die Frage, wie man ein Drama schreibt. Es geht um das Internet, um Republikaner und Drohnen – aber auch um die japanische Zeder als Inbegriff einer literarischen Revolution.
Kunst der Verfugung und Verschiebung
Wirklich verstehen im Sinne der Ratio kann man das nicht. Muss man aber auch nicht. Denn Handlung steht hier nicht im Vordergrund – sondern der Reim. "Verbannt" kommt nämlich durchgängig in sogenannten Spenser-Strophen daher, die beliebt waren zu Zeiten von Byron, Keats und Shelley.
Das Deutsche ist für solche Strophen nicht wirklich geeignet, was zu manch schrägem Reim und kuriosem Kalauer führt. An vielen Stellen knirscht es also mächtig im Gefüge. Ann Cotten hat deutlich ihren Spaß daran. Dass ihr am Ende dieses Versepos gar die Puste auszugehen schien: Es kümmert sie nicht. Verfugung, Verschiebung, die Lockerung der Übergänge ist hier alles. "Verbannt!" inthronisiert sie insofern als Königin der Schraubenliteratur.