Ann Petry, The street - Die Straße
Aus dem amerikanischen Englisch von Uda Strätling
Nagel & Kimche, München
383 Seiten, 24 Euro
Wie elend die Schwarzen in Harlem lebten
06:11 Minuten
Es war der erste Roman einer Afroamerikanerin: Ann Petrys "The Street". Lutie, die mit ihrem Sohn im Harlem der 40er-Jahre lebt, schlägt sich mit Bürojobs durch und macht die bittere Erfahrung unüberwindlicher Mauern zwischen Schwarzen und Weißen.
Als Ann Petry ihr Debüt 1946 veröffentlichte, war es eine Sensation, wurde preisgekrönt und 1,5 Millionen Mal verkauft. Es war der erste Roman einer Afroamerikanerin. Bereits 1940 hatte ihr Kollege Richard Wright mit seinem Roman "Sohn dieses Landes", der erst im letzten Jahr erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt wurde, Furore gemacht. Schreibende Frauen waren bis dahin prinzipiell weiß. Nun liegt "The Street" in neuer Übersetzung vor.
Mantra der Weißen: Jede junge schwarze Frau ein Flittchen
Ann Petry erzählt die Geschichte der jungen Lutie und ihres achtjährigen Sohnes Bubb im Harlem der 40er Jahre. Lutie hat die Highschool abgeschlossen und früh ihre Jugendliebe geheiratet. Doch ihr Mann Jim findet keine Arbeit - wie die meisten schwarzen Männer zu jener Zeit. So geht sie als Hausmädchen aufs Land, um die Familie zu ernähren. Dort kommt sie mit dem "american dream" in Berührung - jeder kann reich werden, wenn er nur genug arbeitet. Sie erfährt auch das zweite Mantra der weißen reichen Familien: Jede junge schwarze Frau ist ein Flittchen, Lutie ist entsetzt. Als die junge Frau entdeckt, dass Jim sie betrügt, wirft sie ihn raus und zieht zunächst zurück zu ihrem Vater und seinen zahlreichen Freundinnen. Doch sie fürchtet deren schlechten Einfluss auf ihren Sohn. Mit ihrem geringen Verdienst aus einem Bürojob mietet sie eine schäbige, winzige Dachwohnung in der 116ten Straße in Harlem. Daraus entwickelt sich eine turbulente Geschichte - bis hin zur Katastrophe.
Der elende Kreislauf des Lebens in Harlems
Glasklar und einfühlsam schildert die Autorin ihre Personen und deren Milieu: Den schmierigen, teuflischen Hauswart, die jederzeit wachsame, ein Bordell betreibende Nachbarin, den Bandleader, der mit einer Karriere als Sängerin wirbt und Lutie doch nur in sein Bett bekommen will. Auch die unsympathischsten Charaktere zeichnet Ann Petry mit Empathie und zeigt, wie sie aufgrund ihrer prekären Lebensumstände so geworden sind, wie sie sind. Sie beschreibt den elenden Kreislauf des Lebens in Harlem, aus dem sich die Menschen egal mit wieviel Mühe nicht lösen können. Auch Lutie kommt zu dieser deprimierenden Erkenntnis.
Unüberwindbare Mauern zwischen Schwarzen und Weißen
Immer wieder lässt Ann Petry ihre Protagonistin die Situation klar analysieren: die unüberwindbaren Mauern zwischen Schwarzen und Weißen, die auslaugende Situation der schwarzen Frauen, die für wenig Geld für weiße Familien arbeiten und darüber ihre eigene kaputt gehen lassen, sich nicht um ihre eigenen Kinder kümmern können. Und die der schwarzen arbeitslosen Männer, denen ihre Würde genommen wird, was häufig in Alkoholsucht und Gewalttaten endet. Somit scheinen alle Vorurteile der Weißen bestätigt zu werden, die Gewalt gegenüber Schwarzen angeblich rechtfertigen.
In wortgewaltigen Bildern lässt Ann Petry das Leben in der 116ten Straße während des Zweiten Weltkrieges erstehen, ausgezeichnet übersetzt von Uda Strätling. Ein zutiefst berührender und analytischer Roman, der als erster seiner Zeit die Situation der schwarzen Frau in den Blick genommen und leider viel zu wenig an Aktualität verloren hat.