Anna Albinus: "Revolver Christi"
edition.fotoTapeta, Berlin 2021
80 Seiten, 15 Euro
Das Geheimnis, es bleibt
06:05 Minuten
Es geht um eine Schusswaffe und um Reliquienverehrung, um unerklärliche Todesfälle und den christlichen Glauben: Mit "Revolver Christi" hat Anna Albinus eine Kriminal- und Fantasygeschichte der besonderen Art verfasst. Ein herausragendes Debüt.
"Ob er geschossen hat, wird man nicht mehr endgültig feststellen können. Die letzte Untersuchung der Waffe liegt zehn Jahre zurück und auch, wenn die Methoden sich seitdem verbessert haben, ist wenig mehr Erkenntnis über den Vorfall zu erwarten, weswegen man aus konservatorischen Gründen eine neuerliche Analyse ausgeschlossen hat. Die Wallfahrt zum Revolver Christi hat zehn Jahre nach der letzten öffentlichen Schau schon in den ersten drei Wochen alle Besucherrekorde gebrochen. Mehr als hunderttausend Pilger sind bereits zum Schrein in der Kathedrale gezogen, die Hotels der Stadt sind auf Wochen ausgebucht."
Mit dieser realistischen Beschreibung eines touristischen Hotspots beginnt das erzählerische Debüt von Anna Albinus. Irritierend ist erst einmal nur die Waffe, die der Novelle den Titel gibt: ein Revolver Christi? Ansonsten beginnt alles ganz und gar zeitgemäß: Für die Inszenierung im Dom hat man einen Lichtkünstler engagiert.
Es gibt ein strenges Fotografier- und Filmverbot, die Reliquie ist fein drapiert – und dann fällt am dreiundzwanzigsten Ausstellungstag ein Schuss. Die Zeit ist genau notiert: 5. Juli 2018, um 12.07 Uhr. Die Schützin ist rasch überwältigt: Es ist eine 32-jährige Anwaltsfachgehilfin. Sie wird die Geschichte nicht überleben. Ein Ermittler tritt auf den Plan, die Diözese hofft, die Ausstellung offen halten zu können, denn die Gewalttat führt zu gesteigertem Interesse.
Auf dem Revolver lastet ein Fluch
Das ist die Ausgangslage, die konkreter jedoch nicht werden wird, denn dem Genre entsprechend entwickelt sich die Geschichte geheimnisvoll. Deutlich wird allerdings bald, dass zwischen dem Revolver Christi, auf dem ein Fluch lastet, der Rechtsanwaltsfachangestellten und dem sachlichen Kriminalbeamten ein Zusammenhang existiert.
Die Waffe hat sich jedenfalls verdoppelt, das Unglück, das mit ihr einhergeht, wiederholt sich immer wieder und scheint dem christlichen Mythos geschuldet. Man liest gebannt und ist gespannt auf den Ausgang, der jedoch die Erwartungen nach Plot-Auflösung und Eindeutigkeit nicht erfüllt.
Am Ende reibt man sich die Augen, lässt Bibelstellen Revue passieren und fragt sich, ob die christliche Sekte, um die es hier auch geht, tatsächlich existiert hat. Zeit- und Ortssprünge gelingen der 1986 geborenen Autorin, die katholische Theologie, Judaistik und Kunstgeschichte studiert hat, mühelos.
Sie ist eine erstaunlich versierte Erzählerin. Alles ist möglich in dieser Geschichte, nichts löst sich am Ende auf. Das Geheimnis bleibt - und auch das Staunen über die literarische Fertigkeit, die sprachliche Sicherheit dieses Debüts.