Anna Baar: "Als ob sie träumend gingen"
Wallstein-Verlag, 2017
208 Seiten, 20.00 Euro
Ein Leben voller Brüche, Umwälzungen und Kämpfe
Anna Baar erzählt in ihrem zweiten Roman von einem Mann, dem das Leben und die Zeit das Kämpfen aufgezwungen hat. Dem Ich-Erzähler legt sie einprägsame Bilder in den Mund und sie überzeugt auch sonst mit allerhand Positivem.
Da liegt einer in einer Nervenheilanstalt und so wie das Flügelrad des Deckenventilators drehen sich die Erinnerungen in seinem Kopf. Gedanken, Bilder, einzelne Sätze – ein stetiges Schwirren, unterbrochen von Ärzten und Schwestern, die ihn immer wieder ansprechen aus einer Gegenwart, die längst nicht mehr die seine ist.
Morphium und am Ende tot
Klee heißt der Mann, er ist alt, er bekommt Morphium und am Ende des neuen Romans der österreichischen Schriftstellerin Anna Baar ist er gestorben. Bis dahin hat der Leser ihn über zweihundert Seiten lang begleitet – durch ein Leben voller Brüche, Umwälzungen und Kämpfe.
"Als ob sie träumend gingen" ist die poetische Chronik eines Lebens und eines Jahrhunderts. Die Orte der Handlung sind nicht ausdrücklich genannt, "Levante" oder "Illyricum" heißt die Gegend, aus der Klee stammt. Er wächst in einem Dorf auf, das von Armut und Dürre geprägt ist, von strengen Regeln und Aberglauben. Es gibt Jelka, Hebamme, Hexe und Hure, mit der sich Klee, als Kind schon ein Außenseiter, gut versteht. Und es gibt Lily, Freundin aus Kindertagen und lebenslange Liebe, und Ida, die Lehrerin, die er schließlich heiratet.
Immer wieder kämpfen
Vorher überfallen Fremde sein Land, er wird zum Militär eingezogen, überlebt die Kämpfe, das Land wird besetzt, er kehrt ins Dorf zurück. Klee ist unangepasst, widerständig. Er geht in den Untergrund, kämpft wieder. Andere Besatzer kommen, grausamer als die vorherigen.
"Die neuen Männer trugen Schwarz, ihr Schritt war hart, ihr Atem kalt. Ihr Zeichen war der Totenkopf auf Helm und Mantelkragen."
Sie ermorden Lily und spätestens da zerbricht etwas in Klee, das nie mehr zu heilen sein wird. All seine Erinnerungen drehen sich um diesen einen Moment, auch noch Jahrzehnte später. Alles, was danach kam, erscheint bedeutungslos: das Töten, der Sieg über die Besatzer, die Anerkennung. Klee wird zum Helden, Orden bekommt er und ein Denkmal im Dorf, er wird Vater, fährt zur See, kommt herum in der Welt und wieder nachhause. Doch bleibt er abwesend, ganz in sich gekehrt.
Ein ungewöhnlicher Ich-Erzähler
Es ist ein Ich-Erzähler, der Klees Geschichte erzählt. Er ist ebenso wenig identifizierbar wie die Topographie des Klee'schen Lebens. Es könnte eine Frau sein, die erzählt, vielleicht Klees Enkelin. Im letzten, "Andante" überschriebenen Kapitel wird deutlich, dass Klee selbst den Auftrag gegeben hat, seine Geschichte zu erzählen. Schließlich war er selbst es, der dem Erzähler eine Tüte mit besprochenen Tonkassetten überreicht hatte. Welche Lebensschilderungen darauf zu hören sind, welche der Erzähler dazu erfunden hat, erfährt der Leser nicht.
Anna Baar, die mit ihrem Debütroman "Die Farbe des Granatapfels" auf der Shortlist des Bachmann-Wettbewerbs stand, stellt in diesem zweiten Roman erneut ihr außergewöhnliches Sprachgefühl und den Mut zur eigenen Stimme unter Beweis. Sie erzählt assoziativ und zugleich scharf konturiert an der Grenze zwischen Tatsachen und Einbildung, innerer und äußerer Wirklichkeit. Sie schafft Bilder, die sich einprägen, und sie überzeugt durch Lebensernst und Klugheit, Geschichtsbewusstsein und psychologisches Feingefühl.