Anna Kavan: "Wer bist du?"
Aus dem Englischen von Helma Schleif
Diaphanes Verlag, Zürich 2021
124 Seiten, 16 Euro
Eingepfercht zwischen Hitze und Mann
05:37 Minuten
Die britische Schriftstellerin Anna Kavan wurde von literarischen Größen wie Doris Lessing und J. G. Ballard bewundert. Heute gilt es sie wiederzuentdecken - zum Beispiel mit ihrer scharfen Schilderung einer Ehe im kolonialen Burma.
Dass "Wer bist du?" von Anna Kavan ein Splittertext ist, merkt man ihm schnell an, ohne dass das schlimm wäre: Er ist ungeschliffen, komprimiert, kantig. Der überarbeitete Auszug eines längeren Romans erschien erstmals 1963 im Original, 1984 in einer deutschen Übersetzung, die der Verlag Diaphanes nun wiederaufgelegt hat.
Ehe zwischen Hemmung und Hilflosigkeit
Der Kurzroman handelt von einer jungen Frau, die sich im kolonialen Burma in einer Ehe zwischen Hemmungs- und Hilflosigkeit einrichtet. Es ist – typisch für Kavan, deren Biografie durch psychische Krankheiten, unglückliche Ehen und eine grundsätzliche Rastlosigkeit geprägt ist – eine Szenerie am Rande des Kollapses.
So zeigt das Haus "Spuren des fortschreitenden Verfalls". Auch die Geschichte kann jederzeit kippen: Wenn der 36-jährige Ehemann sich in Anfällen von Selbstmitleid, Männlichkeitspathos und Machtgelüsten an seiner halb so alten Frau auslässt, die davon träumt, fortzugehen und zu studieren, um in ermatteter Angst doch nichts zu unternehmen.
Geschichte der Hitze
"Wann wird der Regen kommen?", fragt sie mit wachsender Erschöpfung. "Bald", so lautet die Antwort ihres Mannes. Tatsächlich ist das Buch auch eine Geschichte der Hitze. Gleichrangig neben der Ehe voller Groll, Wut und Scham steht die Natur samt ihrer Atmosphäre, die sich wie eine Glocke über das Haus legt: "Die Welt hat einen einheitlichen kupferfarbenen Anstrich bekommen, mit orangefarbenen Schattierungen, wie eine Marslandschaft."
In dieser doppelten Gefahrensituation erstarrt die Hauptfigur, gelähmt von einer erbarmungslosen Hitze und einem erbarmungslosen Ehemann, der sie zwingt, mit ihm Tennis zu spielen. Statt eines Balls schießt er Rattenkadaver durch das Haus.
Kolonialismus, Sexismus, häusliche Gewalt
Auch wenn "Wer bist du?" durch den Auftritt eines Europäers, mit dem sich die junge Frau gut versteht, eine rudimentäre Handlung aufrechterhält, besticht der Roman eher durch atmosphärischen und emotionalen Druck. Sujets wie Kolonialismus, Sexismus und häusliche Gewalt sind dem Text eingeschrieben, werden aber nicht mit klarer Positionierung politisch oder moralisch durchdekliniert. Vielmehr werden so die Szenen, die sich in diesem Höllenkreis notgedrungen wiederholen, dämmerig ausgeleuchtet.
Nichts geht hier einem guten Ende entgegen. So wenig wie der Monsun Erleichterung bringt, so wenig finden die Eheleute das Glück. Das ist von Beginn an klar, nimmt Kavans Buch aber nichts von seinem Clou: eine biografische Episode so umzuformen, dass deren Schrecken Gestalt annimmt.
So lässt sich die Erfahrung auf Distanz halten, obwohl ihre Niederschrift zugleich einen innersten Schmerz ausdrückt – von Heilung und Freiheit kann keine Rede sein.
Brutale Realität leuchtet auf
Insgesamt zeichnen sich Kavans Bücher durch eine halluzinatorische Brutalität aus, für die die Realität gleichbedeutend mit Trug, Gewalt und Enttäuschung ist. Diese Erkenntnis treibt ihr Schreiben an und führt sie in schwärzere Bereiche - in die Unvernunft, den Wahnsinn, den Exzess.
Dass ihre Literatur aus dieser Dunkelheit heraus so leuchtet, ist ziemlich einmalig. Schade und gut also, dass viele von Kavans Romanen und Erzählungen darauf warten, endlich ins Deutsche übertragen zu werden.