Poetin Anna Louisa Karsch

Wo sie war, fielen Verse aus ihr heraus

10:16 Minuten
Porträt der Lyrikerin Anna Louisa Karsch (1722-1791).
Von der Gastwirtstochter zur gefeierten Dichterin: Anna Louisa Karsch war zweimal verheiratet, der zweite Mann war ein Trinker. Ihre Familie brachte sie mit Gedichten durch. © picture alliance / imagebroker / Wilfried Bahnmüller
Ute Pott im Gespräch mit Joachim Scholl · 06.01.2023
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Vergessen war sie nie, erforscht ist sie kaum: Anna Louisa Karsch legte im 18. Jahrhundert eine völlig unwahrscheinliche Karriere hin. In halb Europa gehypet, war sie wohl die erste Schriftstellerin Deutschlands, die von ihrer Poesie leben konnte.
Gastwirtstochter, Gelegenheitsdichterin, gefeierte Poetin in aller Munde – das ist Geschichte von Anna Louisa Karsch. Und sie beginnt vor 300 Jahren, was ihren zeitgenössischen Erfolg und Ruhm noch unwahrscheinlicher macht.
Allerdings hat ihre Bekanntheit nachgelassen. "Sie war nie vergessen, ihre Texte waren immer in Editionen und Anthologien", sagt die Germanistin Ute Pott, die mit Claudia Brandt Karschs Gedichte herausgegeben hat. "Aber sie ist von der Forschung nicht berücksichtigt", sagt die Direktorin des Museums Gleimhaus in Halberstadt, in dem derzeit eine Ausstellung zu Karsch läuft. Den Katalog zu der Schau zu Anna Louisa Karsch hat Pott ebenfalls herausgegeben.

Zweimal Bildungsglück

Der blinde Fleck der Forschung ist umso überraschender, je mehr man über Karsch erfährt, denn sie ist neben Sophie von La Roche wahrscheinlich die erste Berufsschriftstellerin Deutschlands.
"Sie ist Gastwirts- und Bierbrauerstochter gewesen und hätte eigentlich niemals lesen und schreiben gelernt", schildert Pott die Kindheit von Karsch. Ein Großonkel holte die Großmutter zu sich, weil er eine Haushälterin brauchte. Da habe Karsch lesen und schreiben gelernt. "Sie war ungeheuer lernbegierig – die Mutter fand das völlig unnötig."

Ich drang durch tausend Hindernisse
und lies nicht eher ab
bis mir der Ausgang Ehre gab

Anna Lousia Karsch (1788)

Karsch arbeitete dann als Rinderhirtin und hatte ein zweites Mal Bildungsglück. "Man kann schon fast sagen ein Wunder in ihrem Leben", sagt Pott. Sie lernt einen Jungen kennen, der auch Rinder hütet. "Er hat Bücher und sie bekommt Kontakt mit geistlichen Liedern und moderner Literatur." Im Gottesdienst habe sie gemerkt, wie wichtig ihr Sprechen, Singen, Dichten ist. "Sie fängt an, Gelegenheitsgedichte zu schreiben."

Zwei Ehen, viele Kinder

Karsch hat zwei unglückliche Ehen, zum ersten Mal wird sie mit 15 verheiratet, viele Kinder kommen zur Welt. "Nicht alle erreichen das Erwachsenenalter, und der zweite Ehemann, ein Trunkenbold, hat permanent das Geld versoffen", erzählt Pott. "Sie musste zusehen, dass sie irgendwie ihre Kinder ernähren kann. Und sie hat mit Gelegenheitsgedichten angefangen."

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Mit fast 40 Jahren kommt sich nach Berlin, wo sie als spektakuläre Erscheinung wahrgenommen wird. "Wo sie ist, fallen Verse aus ihr heraus", hat ein Zeitgenosse über sie geschrieben.
Finanziell unabhängig wurde sie mit ihrem Debütband "Auserlesene Gedichte". Die Ausgabe sei auf Vorbestellung und vor Bezahlung erschienen, berichtet Pott: "Und hat ihr den größten Gewinn eingebracht, den jemals ein literarisches Werk bis dahin auf dem Markt erzielt hatte". Die Summe belief sich auf 2000 Taler.

Hype und Vorbestellung

Der Erfolg hatte auch mit dem Wirbel vor dem Erscheinen des Buches zu tun. "Karsch ist die Erste, die, modern gesagt, international gehypet wurde von den deutschen Dichtern."
Karschs Freunde hätten dann Anfang der 1760er-Jahre, sie verkehrte in Berlin in Salons, die Ausgabe des Bandes angekündigt: "Und zwar nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland, in der Schweiz, in Österreich, in England, in Frankreich", erzählt Pott. "Und alle waren neugierig, was diese Frau mit der Herkunft zwischen zwei Buchdeckel bringt."
Karsch sei also damals sehr bekannt gewesen. Neben Lob gab es auch Kritik. "Aber sie war wirklich in aller Munde", sagt Pott.

Haus und Bürgerrecht

Nach der Veröffentlichung von "Auserlesene Gedichte" habe sie auf den Erlös zeitlebens Zinsen bezogen, erklärt Pott.
Die Poetin habe zudem immer wieder für Hochzeiten, Todesfälle und andere Gelegenheiten Gedichte verfasst, und auch Geldgeschenke bekommen. Es folgten weitere, kleinere Gedichtausgaben, die ihr kleine Einkünfte brachten.
Schließlich hat der preußische König Friedrich Wilhelm II. ihr ein Haus gebaut. 1789 sei sie eingezogen, aber schon 1791 starb sie. "Aber dieses Haus hat sie zur Bürgerin der Stadt gemacht. Sie hat Mieteinnahmen erzielt und mehrere Tausend Taler vererbt – und das Haus."

Anakreontik und Sturm und Drang

Als Karsch berühmte wurde, befand sich die deutsche Literatur in einer Aufbruchphase. "Es ist eine Phase, in der Literatur sich neu organisiert. Man sucht neue Konzepte, weg vom Barock."
Karsch bringe da ihre natürliche Art der Dichtung ein, schreibt auch Oden im weitesten Sinn: "Das Spektrum ihres Dichtens ist breit, von Versen bei Gelegenheit - Hauruck! -, bis hin zu hochartifiziellen Texten – das sind dann vor allem Liebesgedichte."
Pott stößt in Karschs Werk auch auf Elemente von Anakreontik: leichtfüßige Texte um Liebe, Wein, Weib und Gesang.. Doch die Empfindsamkeit stehe bei ihr im Vordergrund, es gehe auch um, "sehr kühn und vor der Zeit eigentlich, Sturm und Drang".
(mfu)

"Plötzlich Poetin!? Anna Louisa Karsch - Leben und Werk"
Herausgegeben von Ute Pott
Wallstein, Göttingen 2022
289 Seiten, 24 Euro

"Anna Louisa Karsch: Briefe und Gedichte"
Herausgegeben von Claudia Brandt und Ute Pott
Wallstein, Göttingen 2022
416 Seiten, 34 Euro

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