Anna Mahler – Tochter und Bildhauerin

„Ich bin in mir selbst zu Hause"

52:17 Minuten
Das Foto zeigt die Bildhauerin Anna Mahler (1904 - 1988), die auf einem Sofa sitzt.
Kluge Ratgeberin und Hoffnungsträgerin: die Bildhauerin Anna Mahler. © picture-alliance / ONB Bildarchiv / picturedesk.com
Von Elke Pressler |
Anna Mahler, Tochter von Gustav und Alma Mahler, stand zeitlebens im Schatten ihrer berühmten Eltern. In ihrem eigenen Metier, der Bildhauerei, gelang es ihr dennoch, sich zu behaupten.
Als Anna Mahler im Jahr 1904 zur Welt kommt, hat Gustav Mahler noch sieben Jahre zu leben. Nachdem ihre ältere Schwester Maria an Diphterie gestorben war und Mahler im Mai 1911 einer bakteriellen Herzerkrankung erlag, blieb sie mit ihrer Mutter Alma Mahler allein.

Der erste Befreiungsschlag

Als Teenagerin vollzieht Anna Mahler ihren ersten Befreiungsschlag. In der Klarheit der Kompositionen von J.S. Bach mit ihrer streng konzipierten strukturellen Arbeit findet sie Halt und Sicherheit.
Doch zuerst nimmt Anna Mahler eine Abzweigung. Sie "verliebt" sich in eine Familie. Sie sucht eine "richtige" Mutter und bewundert die Wiener Malerin Broncia Koller. Anna heiratet den Sohn, den Dirigenten Rupert Koller. Sie ist 16 Jahre alt – und nach wenigen Monaten ist alles vorbei.

Mit 17 nach Berlin

Dann begegnet sie dem Komponisten Ernst Krenek. Mit ihm geht sie nach Berlin, 17 Jahre alt. In Berlin besucht sie eine Kunstschule, versucht sich in Malerei, Illustration und Holzschnitt.
Unterdessen wird sie zur literarischen Gestalt und zur Opern-Figur. Oskar Kokoschka, der Geliebte ihrer Mutter Alma, schreibt ein Theaterstück: "Orpheus und Eurydike". Dieses expressionistische Drama basiert auf seiner leidenschaftlichen Liebesbeziehung zu Alma Mahler.

Ausgleichende Dienerin- und Tochterfunktion

In seinem Stück nun erscheint die Tochter als schöne Psyche – in der Mythologie die Verkörperung der menschlichen Seele. Sie tritt auf in einer ausgleichenden Dienerin- und Tochterfunktion: als kluge, jugendliche Ratgeberin der Eurydike und als Begleiterin des Orpheus auf dem Wege in die Unterwelt; nicht zuletzt als Hoffnungsträgerin der nächsten Generation, indem sie die Leier des toten Orpheus übernimmt. Oskar Kokoschka bittet Ernst Krenek, dieses Drama zu vertonen. Anna Mahler selbst fertigt den Klavierauszug an.

Verschiedene Kontinente, verschiedene Ehemänner

Nachdem sie sich von Ehemann Nr. 3, dem Verleger Paul Zsolnay, getrennt hat, wird Anna Mahlers Atelier in Wien zum Künstler-Treffpunkt. Sie portätiert ihre Besucher, modelliert Köpfe, Musiker-Köpfe, Künstler-Köpfe: Wilhelm Furtwängler, Victor de Sabata, Otto Klemperer, Bruno Walter, Rudolf Serkin, Artur Schnabel, Carl Zuckmayer, Hermann Broch, Franz Werfel, Fritz Wotruba und viele andere mehr.

Nie wechselt sie ihren Stil

Sie wechselt die Kontinente, die Länder, die Städte – Wien, London, Los Angeles, Spoleto – ebenso die Liebesbeziehungen und Ehe-Männer: der russische Dirigent Anatole Fistoulari wird Ehemann Nr. 4. Nie jedoch wechselt sie den Stil, nie verlässt sie das Figürliche. Keine andere Strömung, keine neue Kunstrichtung bringt sie ab von ihrem Außenseiter-Weg. Anna Mahler stirbt 1988 im Alter von 84 Jahren, wenige Wochen vor einer großen Einzelausstellung ihrer Werke im Festspielhaus Salzburg.
Produktion Deutschlandradio Kultur 2013

Literaturtipp:
Anna Mahler: "Ich bin in mir selbst zu Hause"
hrsg. von Barbara Weidle und Ursula Seeber
Weidle Verlag 2004

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